Ungünstiges Bild

Der Antisemitismus des iranischen Präsidenten von jörn schulz

»Heute regieren die Juden die Welt durch Vertreter«, sagte der Regierungschef. »Sie haben den Sozialismus, den Kommunismus, die Menschenrechte und die Demokratie erfunden und gefördert, damit es falsch erscheint, sie zu verfolgen, und sie gleiche Rechte genießen können. Damit haben sie die Kontrolle über die mächtigsten Länder gewonnen.« Doch er gebe die Hoffnung auf eine Strategie nicht auf, »mit der wir den Endsieg gewinnen können«.

Nicht der iranische Präsident Mahmoud Ahmedinejad, sondern der damalige malaysische Premierminister Mahathir Mohammed richtete diese Worte im Oktober 2003 an die Vertreter von 57 Staaten, die sich in der Organisation der Islamischen Konferenz (OIC) zusammengeschlossen haben. Keiner der Anwesenden mochte in Mahathirs Aussagen Antisemitismus erkennen, und das OIC-Sekretariat erklärte die Rede zu einem offiziellen Konferenzdokument. Antisemitische Ressentiments hegen nicht nur die Regierungsvertreter, bei einer im Juli veröffentlichten Umfrage des Pew Research Center in mehreren Staaten des Nahen und Mittleren Ostens gaben zwischen 60 (Türkei) und 100 Prozent (Jordanien) der Befragten an, ein »ungünstiges Bild« von »den Juden« zu haben.

Ahmedinejad steht also nicht auf verlorenem Posten, wenn er »Israel von der Landkarte fegen« oder zumindest nach Europa oder Nordamerika verlegen will und die Shoah zum »Märchen« erklärt. Antijüdische Vorurteile und antisemitischer Vernichtungswahn sind nicht das Gleiche, doch wenn Ahmedinejad offen ausspricht, was Mahathir nur andeutet, kann er hoffen, street credibility zu gewinnen und den regionalen Führungsanspruch des Iran wieder geltend machen zu können.

Der Präsident stammt nicht aus den Reihen der Geistlichkeit, die weiterhin den Staats­apparat kontrolliert. Er stützt sich auf Militär und Milizen sowie Teile des Kleinbürgertums und der armen Bevölkerung. Für diese Klien­tel könnte die Verbindung von antisemitischer Hetze und militärischer Machtentfaltung ein wirksames Mittel der ideologischen Mobilisierung sein, das Ahmedinejad im innenpolitischen Machtkampf hilft.

In diesem Machtkampf geht es nicht um grundsätzliche, sondern um taktische Fragen. Zu Recht betont Ahmedinejad, dass er nur wiederhole, was bereits Ayatollah Khomeini gesagt und zur Staatsdoktrin erhoben hat. Andere iranische Politiker, unter ihnen Ahmedinejads bei den Wahlen unterlegener Konkurrent Hashemi Rafsanjani, kritisieren seine bewusst provokante Rhetorik. Schließlich dauern die Verhandlungen über das iranische Atomprogramm noch an, und die Bomben sind noch nicht fertig. Zudem könnte die Isolierung des Iran negative wirtschaftliche und politische Auswirkungen haben. Sein Vorgänger Muhammad Khatami hatte sich noch um einen »Dialog der Zivilisationen« bemüht, um die globale Akzeptanz des islamistische Regimes zu erhöhen. Ahmedinejad legt darauf keinen Wert.

Die US-Regierung kann sich einen weiteren Krieg leisten, und die EU wird wahrscheinlich nach der Abgabe etwas schärfer formulierter Protestnoten wieder zur Tagesordnung übergehen. Für ein Veto gegen eventuell doch drohende UN-Sanktionen stehen noch Russland und China bereit, und das Risiko eines israelischen Luftangriffs hält Ahmedinejad offenbar für gering.

Die Arroganz einer aufstrebenden Regionalmacht so deutlich zu demonstrieren, ist riskant. Doch Ahmedinejad könnte Recht behalten, wenn er diplomatische Rücksichtnahme für überflüssig hält.