Keine von uns

Nach der Freilassung von Susanne Osthoff von jörn schulz

Die Geschichte einer mutigen Archäologin, die notleidenden Kindern im Bombenhagel Medikamente bringt, würde sich eigentlich gut für ein RTL II-Fernsehspiel (»Der Engel von Babylon«) eignen, oder auch für die Kampagne »Du bist Deutschland«. Doch schon während Susanne Osthoffs Geiselhaft war ein Unbehagen zu spüren. Darf sie das? Denen da nicht nur helfen, sondern durch den Übertritt zum Islam eine von ihnen werden? Einen Ara­ber heiraten, aber dann kein anständiges Fami­lienleben führen, sondern die Tochter im fernen Deutschland lassen?

Nach der Freilassung ist das Urteil fast einhellig. Da sie nicht nach Deutschland zurückkehren will, hat sich Susanne Osthoff des unerlaubten Entfernens aus der Volksgemeinschaft in Tateinheit mit Weihnachtsverweigerung schuldig gemacht. Da kommen insbesondere bei der Revolverpresse viele Fragen auf. »Warum schlägt Ihr Herz für den Irak und nicht für Ihre Mutter?« fragt Franz Josef Wagner in der Bild-Zeitung ganz persönlich nach. »Ich denke, dass für Susanne Osthoff Weihnachts-Lametta schimmliges Moos ist und sie Bratäpfel für Birnen hält«, analysiert er. »Wa­rum gibt Frau Osthoff statt den deutschen Medien al-Jazeera ein Interview?« will die B.Z. wissen, die fast gleichlautend mit Bild die für den Steuerzahler wichtigste Frage stellt: »Wer zahlt, wenn sie wieder entführt wird?«

Die FAZ bemängelt, dass Osthoff als Archäo­login und Helferin »wenig vorzuweisen« habe, und von der Süddeutschen Zeitung, die ihr noch 2004 den Tassilo-Preis für Zivilcourage verlieh, wird sie an ihre patriotische Pflicht erinnert. Es werde »bei künftigen Ent­füh­rungen nun schwerer fallen, die öffentliche Empörung und Aufmerksamkeit zu erregen, die auch nötig ist, um das Leben einer Geisel zu schützen«. Osthoff »verhöhnt ihre Helfer«, sie verkenne »die Bedeutung, die ihre Entführung für das Land hatte«.

Möglicherweise hatte und hat sie andere Probleme, als sich über die Bedeutung ihrer Geiselhaft für den Standort Deutschland Gedanken zu machen. In den Interviews, die sie al-Jazeera und dem ZDF gab, wird offensichtlich, dass sie unter Depressionen, Wahnvorstellungen, Ohnmachtsgefühlen und anderen Symptomen des posttraumatischen Stresses leidet.

Ihre Idealisierung der Täter als »arme Leute«, die Geld nur »für humanitäre Zwecke« wollten, ist seit den siebziger Jahren als »Stockholm-Syndrom« bekannt, die Identi­fikation von Geiseln mit ihren Entführern. Gleichzeitig versucht sie, die Ohnmachtserfahrung zu verarbeiten, indem sie im Widerspruch dazu vom »Verkauf« durch eben diese Täter an Abu Musab al-Zarqawis al-Qaida spricht, und das Erlebte zu verdrängen, indem sie über einen Jahre zurückliegenden Konflikt mit ihrem bayrischen Vermieter spricht. So genannte Terrorismus-Experten wie Rolf Tophoven hindert das nicht daran, über die »Diffamierung des Krisenstabes« zu klagen, weil Osthoff nicht die gebührende Dankbarkeit äußert.

In anderen europäischen Ländern lösten vergleichbare Entführungen Massenmobilisierungen für die Geiseln aus. In Deutschland dagegen fragt man nach dem Gebrauchswert der Entführten. Nachdem sich nun herausgestellt hat, dass sie zu eigensinnig ist, um für patriotische Ziele nutzbar zu sein, sehen die Medien keinen Grund mehr, ihre Ressenti­ments gegen eine Frau zu verbergen, die sich weigert, als dankbare Tochter des Landes heim­zukehren. Es dürfte kein Zufall gewesen sein, dass Osthoff, die bei al-Jazeera nur ein gelockertes Kopftuch trug, sich für das ZDF-­Interview vollständig verschleierte. Offenbar will sie den Deutschen nicht einmal mehr ihr Gesicht zeigen.