Und nach der Werbung: Kultur

Warum es die Kulturmagazine im deutschen Fernsehen echt nicht bringen. von jörg sundermeier

Der große Satiriker Georg Kreisler beschwerte sich vor zwei Jahren in einem Artikel beiläufig über den Zustand der Kulturmagazine im Fernsehen. Er schrieb: »Der österreichische Moderator der Sendung ›Kulturzeit‹ in 3sat, Herr Grandits, sagte gestern sinngemäß: ›Da die Amerikaner im Irak das Recht mit Füßen treten, machen es ihnen andere Völker nach. (…)‹ Die Hetze gegen Amerika war in der Sendung, die behauptet, etwas mit Kultur zu tun zu haben, in den letzten Wochen gnadenlos. Die abstrusesten Themen, wie oben, kamen da zur Sprache, nur um Amerika eins auszuwischen. Vielleicht sollte man allerdings Herrn Grandits zugute halten, dass er zumindest so aussieht, als merkte er das nicht. Die Augen starr auf den Teleprompter gerichtet, leiert er seine Ansagen herunter, verspricht sich, zögert vor Worten mit mehr als drei Silben und betont immer wieder das Falsche.« Kreisler, der im amerikanischen Unterhaltungsbusiness ausgebildete Perfektionist, spricht daher ein vernichtendes Urteil: »Nun gut, sagt man sich, er und diese Sendung sind halt ein weiteres Indiz der Unkultur, die sich in Europa ausbreitet, des Dilettantismus und somit des Kampfes gegen Kunst und Kultur.«

Es ist egal, ob man dieses Urteil teilt oder nicht, Kreisler jedenfalls hat benannt, was die Kulturmagazine im Fernsehen in letzter Zeit so unappetitlich macht. Es ist die merkwürdige Mischung aus Ideen­losigkeit und politischem Anspruch.

Kultur kennt im Fernsehen zwei Formate. Im einen wird das Gespräch gesucht. So etwa im ZDF-Nachtstudio, in dem der manchmal recht hilflos wirkende Volker Panzer Kulturvolk und Wirtschaftsleute empfängt und mit ihnen leichthin über Fragen des Alltags plaudert. Oder aber es geht um Literatur. Dann gibt Elke Heidenreich zusammen mit einem immer neuen Gast begeistert den Imperativ »Lesen!« aus, Denis Scheck eilt von Autor zu Autorin, oder aber Marcel Reich-Ranicki, Iris Radisch, der unerträgliche Hellmuth Karasek und ein mehr oder minder kundiger Gast plaudern über einen längst schon etablierten Autor, dessen Geburts- oder Todestag den Anlass für die fröhliche Runde hergibt.

Die anderen Magazine, also »Aspekte«, »Kulturzeit« oder all jene, die die ARD im kommenden Jahr unter dem Einheitslogo »ttt – Titel, Thesen, Temperamente« zusammenfassen will, müssen eher für alles einstehen, für Theater, Literatur, Musik, bildende Kunst und selbstverständlich für wohlmeinende oder üble Nachrede.

Eine normale Sendung eines solchen Kulturmagazins sieht immer gleich aus: Zunächst macht die Moderatorin oder der Moderator einen, je nach ­Alter und Ansehen, launigen oder moralinsauren Kommentar zu einem aktuellen Vorfall, mit dem sie oder er überleitet zu einem ernsten Thema – ­irgendein Theater in Wien, Zürich, Itzehoe oder Schwerin hat ein Stück von Brecht oder Brasch entweder »entstaubt« oder »verhunzt«, oder aber es wurde ein Filmklassiker »für die Bühne bearbeitet«, woraufhin sich der Regisseur, der entweder Schlingensief, Pollesch oder Petras heißt und in jedem Fall als »neu«, »jung« oder »anders« gilt, wortreich gegen die Angriffe wehrt oder das Lob ablehnt. Alsdann gibt es irgendeine Nachricht aus der Welt der Oper. Dann wollen irgendwelche Philharmoniker einen neuen Dirigenten oder einen neuen Kultursenator, danach kommt ein Interview mit Grass oder Enzensberger, die sich zur Lage der institutionalisierten Literatur äußern, dann wird ein junger Popautor, der gerade Vater geworden ist, mit seinem neuen Buch über Friedrichshain vorgestellt. Dann eine Nachricht aus der Welt der Popmusik, abschließend der Kulturtipp, gern ein Ausflug zu einer Ausstellung in einer Bauernkate in einem entlegenen Örtlein an der Elbemündung.

Um diesen routinierten Betrieb, der einzig von seiner vermeintlichen Gegenwartsbezogenheit lebt und in dem Kritik, ja selbst Meinung schon nichts mehr zu suchen hat, nicht allzu sehr auffallen zu lassen, sucht man gern nach seinem Skandal. Doch um das Ärgernis, das der offizielle oder offiziell inoffizielle Kulturbetrieb darstellt, nicht zu thematisieren, wenden sich Kulturmagazine des Öfteren den Wissenschaften oder der Politik zu, und daher muss Hannelore Elsner nun gezwungenermaßen ihre Ansichten zur Gendebatte kundtun, oder es wird Eichendorff zitiert, der schon Anfang des 19. Jahrhunderts ahnte, was der jetzige Außenminister sagen werde.

Damit aber machen die Verantwortlichen für die Kulturmagazine alles falsch, was sie falsch machen können. Denn sie übersetzen das, was das Feuilleton seit einigen Jahren macht, ohne Bedenken in Fernsehbilder und wundern sich nicht, dass es so noch hohler wirkt.

Sind nämlich bereits die Feuilletons in der merkwürdigen Lage, dass ihre Auffassung von Kultur, namentlich deutscher Kultur, keine gläubigen Abnehmer mehr findet, so ist das Fernsehen, das sich in seinen Sendungen oft selbst als verantwortlich für diesen Kulturverfall ansieht, noch nicht einmal dazu fähig, diese Kultur irgendwie zu beschreiben.

Daher fügen sich die Kulturmagazine in ihre Rolle und bilden ab, was das Feuilleton vorgibt. Sie zeigen die Bücher, über die man andernorts schreibt, weil sie neu sind, bespricht die Inszenierungen, die ein Großteil der Zuschauer nicht besuchen kann, weist auf Ausstellungen und Platten hin und versucht damit, den Eindruck zu erhalten, dass es nicht nur eine Kultur, sondern vor ­allem ein Kulturgeschehen gäbe, dass also die von den Kulturmagazinen selbst propagierte »neue Informationsgesellschaft« eigentlich doch eine vom bürgerlichen Bildungsideal geprägte Gemeinde sei. Dafür aber fehlt alle Vorraussetzung, jedweder Kanon ist kritisiert, jedwede Provokation gemacht worden, sodass zurzeit nichts als Betrieb bleibt.

Dabei hätte ein Feuilleton im Fernsehen, das die Eigenheiten des Mediums zur Kenntnis nähme, durchaus alle Chancen, etwas Ansehnliches hervorzubringen – noch vor 15, 20 Jahren gab es beispielsweise Diskussionsrunden, in denen nicht nur dieses Bildungsideal noch präsent war, es wurde auf seiner Grundlage zugleich lebhaft darüber gesprochen, wie es zu erhalten, zu verändern, zu besetzen oder auch zu überwinden sei.

Diese Sendungen allerdings halfen jenes Bildungsideal, das ja auch schon damals mehr behauptet als vertreten wurde, da es im postnazistischen Deutschland an einem Bürgertum, das diesen Namen verdient, mangelte, nicht zu überwinden. Vielmehr waren es der Kampf gegen den allgemein gebildeten Menschen an den Universitäten einerseits und das Ende des Kalten Krieges andererseits, was die Annahme, man habe eine gemeinsame Kultur, zu der Rede von individualisierten »Kulturen« versuppen ließ, die wiederum Gespräche über gemeinsame Kunsterfahrungen verunmöglichte.

Dem kommt das Kulturmagazin heute insofern entgegen, als es seinen Kundinnen und Kunden mit Häppchen den Eindruck gibt, sie hätten da noch viel miteinander zu bereden. Diesen Eindruck zu vermitteln, das ist ihre Dienstleistung.