Pipelines statt Panzer

Die EU-Staaten werden sich aus der Abhängigkeit von russischem Gas kaum lösen können. von markus bickel

Mit seiner Meinung stand Andris Piebalgs in Europa ziemlich allein. »Das war ein klarer wirtschaftlicher Streit mit politischen Folgen«, erklärte der lettische EU-Energiekommissar, nachdem Russland und die Ukraine ihren Konflikt um höhere Gaspreise Mitte voriger Woche beigelegt hatten. Zu militärischen Metaphern hingegen griff ein Kommentator der schwedischen Tageszeitung Dagens Nyheter: »Der Gas-Krieg zwischen Russland und der Ukraine ist beendet. Der Sieger heißt Russland. Das Land hat Energie als seine neue Waffe präsentiert.«

Und im südlichen Nachbarland des EU-Kommissars polterte Respublika: »Um Putins Politik zu verstehen, muss man gar nicht so auf die Beziehungen zwischen Russland und der Ukraine achten, es geht ihm mehr um eine neo-stalinistische geopolitische Logik: Das bedeutet die Einteilung in eigenes Gebiet, Pufferzonen und Einflussbereiche.«

Der Ärger in Litauen ist verständlich: Die drei baltischen Staaten beziehen ihre Erdgasimporte zu 100 Prozent aus Russland. Das von Piebalgs und Österreichs Wirtschaftsminister Martin Bartenstein im Namen der EU-Ratspräsidentschaft verkündete Ziel, innerhalb des 25-Staaten-Bundes künftig auf einen Energiemix zu setzen, klingt hier reichlich weltfremd.

Ob das bis zum EU-Gipfel Ende März angekündigte Grünbuch für eine gemeinsame europäische Energiepolitik viel Neues bringen wird, erscheint daher mehr als fraglich. Schließlich ist das seit der Krise zwischen Moskau und Kiew wieder einmal gepflegte Gerede von der Diversifizierung der Energieträger so alt wie die Abhängigkeit der Industriestaaten von Gas und Öl. Und dagegen, dass sich die EU ausgerechnet aus dem Griff des Landes mit den weltweit größten Gasreserven lösen kann - Studien des Energiekonzerns BP zufolge liegen mit 48 Billionen Kubikmetern mehr als ein Viertel der globalen Vorräte unter russischem Boden -, spricht schon die wirtschaftliche Verwicklung ihrer wichtigsten Mitgliedsstaaten mit der mehrheitlich staatseigenen Gazprom.

So betragen die russischen Gasimporte der EU rund 120 Milliarden Kubikmeter im Jahr, etwas mehr als ein Drittel ihres Gesamtbedarfs. Zwar könnten die Einfuhren aus Algerien, Katar und Nigeria erhöht werden, doch selbst politisch und vertraglich zuverlässigere Produzenten wie Norwegen haben bereits klar gemacht, dass sie am Rande ihrer Kapazitäten angelangt sind. Außerdem lassen sich viele, teils vor Jahren mit Gazprom geschlossene Ver­träge westeuropäischer Energiefirmen nicht so einfach auflösen. Beispiel Eon Ruhrgas: Der Kontrakt über jährliche Importe von 20 Milliarden Kubikmeter aus Russland läuft bis 2030. Beispiel Gas de France: Ein Viertel des französischen Gasbedarfs deckt Gazprom, der 2003 geschlossen Vertrag läuft noch bis 2015.

Zudem haben Eon Ruhrgas, Gas de France, aber auch die BASF-Tochter Winters­hall weitergehende Interessen an einer engen Zusammenarbeit mit dem russischen Monopolisten. In unterschiedlichen Konsortien miteinander verflochten, sind sie sowohl in auf dem osteuropäischen Energiemarkt tätigen Joint Ventures aktiv wie bei der Privatisierung und dem Neubau von Transitpipelines aus Russland nach Westeuropa. So etwa durch Beteiligung an der Nordeuropa-Gaspipeline-Gesellschaft, die durch den Einstieg des ehemaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder im Dezember zu plötzlicher Prominenz gelangte. »Die langfristige Beteiligung an unserem Erdgaslieferanten ist strategischer Natur«, erklärte eine Sprecherin von Eon Ruhrgas, das über sechs Prozent Gazprom-Anteile hält, vorige Woche dem Manager-Magazin.

Um seinen neuen russischen Arbeitgeber vor weiterem Ärger zu bewahren, dürfte auf Aufsichtsratschef Schröder deshalb in den kommenden Monaten mehr Arbeit zukommen als gedacht. Schließlich sitzt Russland seit Jahresbeginn den G8-Staaten vor, deren Regierungschefs sicherlich weniger kompromissbereit sind als Viktor Juschtschenko.