Erst der Sex und dann die Sorgen

Die US-Serie »Queer as Folk« auf ProSieben gilt als Meilenstein schwuler Emanzipation im Fernsehen. von tjark kunstreich

Mit »Queer as Folk« kommt mal wieder eine Serie aus dem »prüden« Amerika, in der Sex im Mittelpunkt steht. Und abermals kommt kaum eine Besprechung ohne die Erwähnung dieses scheinbaren Widerspruchs aus. Dabei geht es in US-amerikanischen Serien natürlich genau deshalb um Sex, weil das Land prüde ist und die unterdrückten Phantasien an den Film delegiert. Und zwar im Fall von »Queer as Folk« an die Schwulen, denen man auch in Eu­ro­pa per se unterstellt, Experten in Sachen enthemmter Sexualität zu sein. Der 17jährige Justin, süß und unschuldig, will es endlich wissen: Er geht abends auf die Liberty Avenue in Pittsburgh, Pennsylvania, und sucht die sexuelle Begegnung mit einem Mann. Auf wen er dort treffen wird, ahnt man schon. Wurde doch mit Brian gerade erst der Prototyp eines Aufreißers vorgestellt. »Queer as Folk« beginnt dann auch dort, wo offensichtlich alle das Zentrum des schwulen Lebens vermuten: in einer Disco mit Darkroom. Hier treiben sich auch Brian und seine Freunde Michael, Ted und Emmett herum ­– Durchschnittsschwule, die »alle 9 Sekunden an Sex denken«, wie die Off-Erzähler-Stimme erklärt.

Auf diese Clique trifft nun der unbedarfte Justin, um auch die heterosexuellen Zuschauer in die Geschichte hineinzuziehen. Er ist noch genauso unwissend wie sie, aber er wird in dieser ersten Serienfolge sehr viel lernen.

Das Coming-out ist das geeignete schwule bzw. lesbische Narrativ, um auch den heterosexuellen Mainstream anzusprechen, weil der unerfahrene schwule Protagonist noch nichts von der Welt der Homosexuellen weiß und nun ebenso wie das Publikum in die Community eingeführt wird.

»Queer as Folk« versucht beides, die Serie will ein queeres und ein heterosexuelles Publikum zugleich ansprechen – und beweist nebenbei, dass die Vorliebe für schlechten Humor unabängig von der sexuellen Orientierung ist. Das Klischee über die Schwulen hat es zu weitgehender Deckungsgleichheit mit dem schwulen Klischee gebracht. So ist es auch stimmig, dass »Queer as Folk« bei ProSieben läuft. Der Sender versucht, sich mit tumben sexgeladenen Komödien zu profilieren. Völlig debil ist die ProSieben-Eigenproduktion »Alles außer Sex«, die als deutsches Pendant zur US-Erfolgsserie »Sex and the City« verkauft wurde.

Ende Dezember kam dann der Tiefpunkt. Hier bewies das unterirdisch schlechte Fernsehspiel »Andersrum« mit Heiner Lauterbach als dauergeilem Vorzeige-Macho und Mark Keller als tuntigem Heterosexuellen, wie eng schwuler und homophober Humor zusammenhängen. »Es gibt Judenwitze und es gibt jüdische Witze. Schwulenwitze sind immer gleich«, hat Ronald M. Schernikau einmal geschrieben. In »Andersrum«, wo Heiner Lauterbach zusammen mit Mark Keller auch noch Regie führte, wurde der alte Schwulenwitz inszeniert, der auch in vielen Comedy-Sendungen als Brüller gilt. Kaum wackelt ein Mann mit dem Arsch, fangen alle an zu lachen.

Nun ist »Queer as Folk« nicht mit der ekelerregenden Lauterbach-Klamotte zu vergleichen. Allerdings gelingt es ProSieben, durch die Synchronisation das Niveau der Serie noch weiter abzusenken. Was im Original als trockene Bemerkung daherkommt, gerät in der Übersetzung zur Brüllnummer mit Bitte-jetzt-lachen-Appell.

Dennoch wird »Queer as Folk« als ein weiterer Meilenstein der homosexuellen Emanzipation gefeiert, weil Schwule als Protagonisten auftreten und nicht nur als Stichwortgeber wie bei unzähligen Sitcoms. »Queer as Folk« ist dramaturgisch vergleichbar mit »Desperate House­wives«, wo mit der erzählerischen Oberfläche und dem darunter liegenden Geheimnis gespielt wird. Bei den Schwulen geht es aber nur um das Darunter, und so haben die Protagonisten schon in der ersten Folge kein Geheimnis mehr, so scheint es jedenfalls, weil man schon jede sexuelle Vorliebe mitgeteilt bekommt.

Dass in den kommenden Folgen die Untiefen der Figuren ausgelotet werden und sich zeigt, dass sie ganz normale Sorgen haben – und zwar von der Sorte, mit der Serien normalerweise beginnen, um den Zuschauern Identifikationsangebote zu machen –, zeigt, dass hier die Erzählprinzipien der Serie verkehrt wurden. Mit dem scheinbar Intimsten, dem Sex und der Not mit dem Sex, wird die Serie begonnen, das scheinbar Alltägliche wird erst später enthüllt, als sei es das eigentliche Geheimnis.

Nach diesem Prinzip arbeitete das britische Original von »Queer as Folk«, das in den neunziger Jahren von Channel 4 produziert wurde. Allerdings stand hier der erklärte Wille dahinter, die schwul-homophobe Witzigkeit zu denunzieren und das Bild vom gut gelaunten, wohlhabenden, sorgenfreien Großstadtschwulen zu zerstören. In der Hochzeit der Political Correctness ging es um die Korrektur einer Sichtweise. Den Anspruch hat die amerikanische Version dann aufgegeben; in den USA ist die Selbstethnisierung viel weiter vorangeschritten als in Europa, die Identität wird als eigene Schöpfung wahrgenommen und zelebriert. US-Serien sind deswegen häufig unfreiwillige Ethnografien, eben so, wie sich verschiedene Gruppen präsentieren und repräsentiert werden. Das Schema ist immer das gleiche, von »Huch, sind die fremd« zu »Die lachen über die gleichen Sachen wie ich« bis »Huch, die sind wie ich«. Wo das britische Original manchmal regelrecht agitierte, ist die amerikanische Version freundlich und verständnisvoll; beides hat Vor- und Nachteile, sympathischer ist letztgenanntes.

So aber sind Brian, Ted, Michael und Emmett nicht nur einfach Schwule, sondern Angehörige einer quasi ethnischen Minderheit, mit ihren eigenen Sprachregelungen, Ritualen und Schwierigkeiten; sie sind Exemplare, im Moment der Konfrontation sowohl mit der Homophobie als auch mit der »eigenen Kultur«.

Dieser Blick auf schwules Leben ist ungewohnt, aber lohnenswert, denn trotz des späten Sendeplatzes sahen 12,6 Prozent der werberelevanten Zuschauergruppe von 14 bis 49 Jahren zu. Sicherlich waren darunter viele Schwule und Lesben, die als konsumfreudig gelten; »Queer as Folk« verspricht, ein gutes Geschäft zu werden. Eine sich selbst erfüllende Prophezeiung: Hier sehen sich die Schwulen, wie sie gesehen werden wollen, und sie sehen sich, wie andere sie sehen, und es gibt keinen Unterschied. Wenn sowohl der Homophobe wie der Schwule von den gleichen Annahmen und Bildern ausgehen und nur deren Bewertung sich partiell noch unterscheidet, ist die Aufklärung an ihrem Ende angekommen, denn Bewertungen sind Meinungen, Meinungen Projektionen und Projektionen nicht aufklärbar, sondern nur in einer unverstellten Erfahrung aufhebbar.

Genau diese liefert aber kein Produkt der Kulturindustrie. Erst gar nicht so zu tun, als könne sie Erfahrung substituieren, diesen Vorteil hat die amerikanische Version von »Queer as Folk« gegenüber der britischen, die immer dann unerträglich wurde, wenn sie subversiv sein wollte und tatsächlich nur belehrend war. Hier gibt es keine Klage über die Kommerzialisierung der Subkultur oder über ihre angebliche Reduktion auf den Sex; die Subkultur ist zur Kultur geworden, in der es sich gut leben lässt. Dass das allein nicht glücklich mache, ist eine der Annahmen, die Schwule und Homophobe miteinander teilen.

Montags um 23.45 Uhr auf ProSieben