»Es wird geduldet, was nicht zu dulden ist«

Björn Böhning

Dürfen Burschenschafter, die dem Dachverband der Deutschen Burschen­schaften (DB) angehören, zugleich Mitglieder der SPD sein? Der Parteitag im November beschloss die Unvereinbarkeit, doch diese Entscheidung wurde in der vorigen Woche vom Parteivorstand revidiert. Stattdessen soll nun jeder Einzelfall geprüft werden. Die Jusos halten das für einen Skandal. Es bestehe kein Zweifel daran, dass sich unter dem Dach der DB viele Burschenschaften organisieren, die als rechtsextrem, revanchistisch und antisemitisch einzustufen seien, erklärten sie vorige Woche.

Mit Björn Böhning, dem Bundesvorsitzenden der Jusos, sprach Sven Kienscherf.

Wie wollen die Jusos jetzt weiter vorgehen?

Es ist offensichtlich, dass eine klare Abgrenzung zu rechtsextremen Bestrebungen in der SPD neu diskutiert werden muss. Dafür werden wir uns weiter innerhalb der Gremien, aber auch in der Öffentlichkeit einsetzen. Die Jusos werden von ihrer Forderung nach einem Unvereinbarkeitsbeschluss nicht abrücken.

Was sagt es über den Zustand der SPD aus, wenn der Vorstand ein Votum des Parteitags ignoriert?

Ich bin darüber sehr erschrocken, dass der Beschluss eines Parteitags offenbar nicht so viel Wert ist, dass der Vorstand ihm auch folgt. Ich weiß aber auch, dass sich wegen dieses Beschlusses eine ganze Menge »Alter Herren« mit Briefen und Initiativen an den Vorstand gewandt haben. Leider hat ihre Kam­pagne offensichtlich Folgen gehabt.

Wen rechnen Sie zu der Lobby der Burschen­schaften, die dafür geworben hat, den Parteitagsbeschluss zu kippen? Sigmar Gabriel und Kurt Beck sollen sich gegen den Unvereinbarkeitsbeschluss ausgesprochen haben.

Es hilft nicht weiter, Personen zu brandmarken. Aber die Grundüberzeugung, dass eine klare Abgrenzung zu rechtsextremen Intellektuellen notwendig ist, scheint nicht überall geteilt zu werden.

Gibt es noch andere Gründe dafür, dass sich der Parteivorstand gegen die Unvereinbarkeit ausgesprochen hat?

Besonders merkwürdig finde ich die Ansicht, dass Unvereinbarkeitsbeschlüsse per se undemokratisch seien. Erst recht ist der Verweis auf den – damals unnötigen – Unvereinbarkeitsbeschluss gegenüber dem ­Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) historischer Unsinn. Ich glaube, Unvereinbarkeitsbeschlüsse sind immer auch ein Mittel, um eine Debatte auszulösen, die geführt werden muss. Rechtsextreme Bestrebungen haben in unserer Partei nichts zu suchen. Mit dem nun gefundenen Beschluss hat man dafür überhaupt keine Handhabe.

Könnte ein Grund für den Beschluss des Vorstands auch sein, dass man den Koali­tionspartner CDU oder Vertreter der Wirt­schaft nicht verprellen wollte?

Das glaube ich nicht, das ist eine interne Debatte der SPD. Aber offensichtlich haben sich viele Sozialdemokraten mit dem Thema der rechtsextremen Burschenschaften lange Zeit zu wenig beschäftigt. In manchen Teilen der Sozialdemokratie herrscht immer noch die Meinung vor, dass Rechtsextremismus nur als Gewalt auf der Straße existiere. Daneben gibt es aber auch eine Intellektualisierung. Dass dieser Gefahr im Besonderen an den Hoch­schulen entgegengetreten werden muss, muss auch der SPD klar werden.

Was könnte für einen Burschenschafter mit völkischer Ideologie den Beitritt zur SPD interessant machen?

Es ist natürlich klar, dass Auftritte von Sozialdemokraten auf Veranstaltungen rechtsextremer Burschenschaften oder ein sozialdemokratisches Parteibuch ein Feigenblatt für das verdeckte Agieren solcher Burschenschaften sind. Und es gibt zum Beispiel Sascha Jung, den Sprecher der rechtsextremen Burschenschaft Danubia aus München, der damit wirbt, ein Sozialdemokrat zu sein, und sich damit eine fragwürdige Legitimation gibt. Wir müssen erreichen, dass Rechtsextremismus in der sozialdemokratischen Partei stigmatisiert wird und solcherlei Positionen nicht hoffähig gemacht werden.

Gibt es noch andere Burschenschafter, die versucht haben, ihren Einfluss in der SPD geltend zu machen?

Namentlich kann ich niemanden benennen. Sicher ist nur, dass der politische Wille einer generellen Unvereinbarkeit manche »Alten Herren« auf den Plan gerufen hat. Man muss daran gehen, den Graubereich zwischen Rechtsex­tremismus und etablierten Parteien, auch der SPD, offen zu legen.

Wie viele Burschenschafter gibt es denn in der SPD?

Das lässt sich nicht genau beziffern. Es geht auch vielmehr darum, dass die SPD ein klares Signal sendet und der Ankündigung der Parteiführung, konsequent gegen Rechtsextreme vorzugehen, Taten folgen. Zu einer antifaschistischen Politik gehört nicht nur die Auseinandersetzung mit Rechten in den Parlamenten, sondern auch die ideologische Auseinandersetzung.

Hätten im Falle einer Unvereinbarkeit diejenigen Parteimitglieder, die auch einer Burschenschaft der DB angehören, aus einer der beiden Organisationen austreten müssen?

Klar wäre gewesen, dass SPD-Mitglieder, die Deutsche Burschenschafter sind, aus der Partei ausgeschlossen werden könnten. Die jetzige Regelung, die euphemistisch als »Einzelfallregelung« bezeichnet wird, sieht im Prinzip nichts anderes vor, als dass man Ausschlussverfahren in Gang setzen kann. Das ist prinzipiell aber immer möglich. Das zieht allerdings lange Verfahren nach sich, und es wird schwierig sein, dort »Gewissenstests« durchzuführen. Denn kein Rechtsex­tremist ist so dumm, antisemitische Schriften unter seinem Namen zu verbreiten. In­sofern wird weiter geduldet, was nicht zu dulden ist.

Bei einem Unvereinbarkeitsbeschluss wären Burschenschafter sofort aus der Partei ausgeschlossen worden?

Ja, im Zweifel wäre es dann direkt zu einem Ausschluss gekommen. Natürlich muss man Leuten, die seit 40 Jahren der Deutschen Burschenschaft angehören, die Gelegenheit dazu geben, sich von dieser Organisation zu verabschieden, die es zwar schon seit 200 Jah­ren gibt, die mittlerweile aber eindeutig rechtsextrem ist. Diese Auseinandersetzung ist offensichtlich nicht gewollt.

Egon Bahr ist im vergangenen Jahr zusammen mit dem rechtslastigen Professor Bernd Rabehl vor der Berliner Burschenschaft Gothia aufgetreten, die dem Dachverband der Deutschen Burschenschaft angehört, und hat sich dort gegen einen EU-Beitritt der Türkei ausgesprochen. Zuvor hatten Sie und einige andere SPD-Mitglieder ihm einen offenen Brief geschrieben. Gab es darauf eine Reaktion?

Nein. Ich habe Egon Bahr dazu aufgefordert, den Vortrag abzusagen. Er hat ihn trotzdem gehalten. Dass einige Sozialdemokraten vor rechtsradikalen Bur­schenschaften sprechen, halte ich für eine fatale Entwicklung. Diese Auftritte dienen den Burschenschaften natürlich als Aushängeschild. Darüber hinaus lehne ich es ebenfalls ab, wenn Sozialdemokraten Blättern wie der Jungen Freiheit Interviews geben. Das führt lediglich dazu, dass rechtsextreme Ideologie in der Mitte der Gesellschaft hoffähig wird.

Andererseits gibt es nicht erst seit Kurt Schumacher eine national-konservative Tradition in der SPD.

Es ist wahr, dass nationale Ideologien in der Geschichte der SPD durchaus ver­treten waren, allerdings muss man sich heute davon klar abgrenzen. Die Anknüpfungspunkte an Deutschtümelei, an Nationalismus, sofern sie heute noch existieren, müssen offen gelegt und bekämpft werden.