Soli-Bewegung für die Regierung

Linke Illusionen über Lateinamerika von horst pankow

Die aktivistische Linke schaut mal wieder nach Lateinamerika. Das hat sie zwar schon oft getan, aber derzeit schaut sie mit einem besonderen Interesse. Nicht mehr bewaffnete Kämpfe, um irgendeinem »schwächsten Kettenglied des Imperialismus« den Garaus zu machen, erregen die wohlwollende Aufmerksamkeit des linksaktivistischen Blicks, sondern soziale Bewegungen und – ja, tatsächlich – Regierungen.

Die Beobachtung des Vogelflugs galt »Sehern« im antiken Griechenland als probates Mittel zur Erkennung der Chancen künftigen Glücks oder Unglücks. Zeitgenössische linke »Seher« setzen statt auf Ornitho- lieber auf Soziologie. Seit nun drei Jahrzehnten steigen soziale Bewegungen vor diesem Publikum auf – und wieder ab. »Fortschrittliches«, gar Emanzipatorisches ist dabei zumeist nicht herausgekommen, dafür aber manchmal Regierungen und öfter Regierungsbeteiligungen. Die mexikanischen Zapatisten, für deutsche Linke der Archetypus einer sozialen Bewegung in Lateinamerika, können mit Recht die Urheberschaft der massentouristischen Events, die heute als »Weltsozialforen« zelebriert werden, beanspruchen. Die zapatistischen »intergalaktischen Kongresse im lakandonischen Urwald« der neunziger Jahre zeichneten sich durch intellektuelle Skrupellosigkeit aus. Niemand scherte sich darum, dass der völkisch-vaterländische Zirkus – »Würde«, »Heimat«, »Nation« – in seiner Frühphase als Aufstand mehrere Dutzend Menschen das Leben gekostet hatte, keiner nahm die zapatistischen Sauberkeitskampagnen gegen Prostitution und Drogen zum Anlass, deren Konsequenzen für nicht ehe- und familienorientierte Frauen, für Jugendliche und alle, denen ein noch so »würdevolles« Dahinexistieren in ländlich-traditionellen Verhältnissen ein Gräuel ist, kritisch zu reflektieren.

Eben diese Skrupellosigkeit kennzeichnet auch das diesjährige Weltsozialforum, das erstmals »polyzentrisch« stattfindet: Seit Dienstag im Caracas der »bolivarischen« Chávez-Regierung, in Bamako, der Haupt­stadt Malis, und im pakistanischen Karatschi. Der letzte Veranstaltungsort hat als Zentrum des islamistischen »Widerstands« gegen »westliche Dekadenz, US-Imperialismus und Zionismus« besondere Symbolkraft.

Zugegeben: Antiamerikanismus hat nicht an jedem Ort der Welt dieselbe antizivilisatorische Konnotation und ist nicht in jedem Fall Ausdruck eines sekundären Antisemitismus, wie zu Recht Beunruhigte befürchten: Wenn rot-braune Sympathisanten der Linkspartei hierzulande mit der Parole »Gegen die Amerikanisierung Deutschlands« hausieren gehen, ist das anders zu bewerten als ähnliche Slogans in Lateinamerika, wo schon jede sozialreformerische Tendenz den Argwohn des starken Nachbarn nördlich des Rio Grande provoziert. Und was dies zur Folge haben kann, lehren nicht nur die blutigen Erfahrungen Chiles und Argentiniens in den siebziger und die Zentralamerikas in den achtziger Jahren.

Das kann aber Schweigen oder diplomatisch gestimmtes Weghören angesichts der Ausfälle eines Chávez, die wohl nicht ganz zu Unrecht den Verdacht des Antisemitismus auf sich gezogen haben, niemals rechtfertigen, ebenso wenig wie die ethno-chauvinistische Demagogie des Pullovermanns Evo Morales aus Bolivien. Und was ist von den sowohl von Chávez, Morales und auch von Kubas Fidel Castro geäußerten Sympathiebekundungen für die ach so »friedliche Nutzung der Atom­ener­gie« im Iran zu halten? Rückkehrer vom Weltsozialforum sollten auf eindringliche Fragen vorbereitet sein.