Fest der Fans

Sportjournalisten wehren sich gegen die Pflicht zur positiven Berichterstattung

»Fühlen Sie sich als Partisanen?« fragte Hans Leyendecker von der Süddeutschen Zeitung vor wenigen Tagen Jens Weinreich, den Sportchef der Berliner Zeitung. Denn »Stacheln statt Kuscheln« lautete die Devise bei der Podiumsdiskussion zur Krise des Sportjournalismus auf dem bundesweiten Treffen des Netzwerks Recherche in Berlin. Und Weinreich bejahte die Frage begeistert und sprach von inzwischen fast 300 Mitkämpfern und Mitkämpferinnen.

Einen Tag zuvor hatten er und mit ihm zwei Dutzend Kollegen öffentlich ihren Austritt aus dem Verband Deutscher Sportjournalisten (VDS) erklärt und ein unabhängiges Netzwerk gegründet. Unterschrieben ist der Offene Brief, in dem der Austritt begründet wird, vor allem von Sportredakteuren der großen deutschen Tageszeitungen wie der Süddeutschen Zeitung oder der FAZ, aber auch von Springers Welt. Seit langem hatte man sich schon informell ausgetauscht, doch eskaliert war die Situation, als Franz Beckenbauer, Chef des Organisationskomitees zur Fußball-WM 2006, einige Sportjournalisten als »Besserwisser« und Miesmacher beschimpft hatte. Dabei hatten sie nur ausführlich über die von einer Untersuchung der »Stiftung Warentest« aufgezeigten Sicherheitsmängel in den deutschen WM-Stadien berichtet.

In den letzten Jahren war Weinreich in der Berliner Zeitung dadurch aufgefallen, dass er die Bewerbung von Leipzig für die Olympischen Spiele 2012 nicht vorbehaltlos unterstützte, sondern auch Fragen nach Personalquerelen, Rücktritten und dubiosen Finanzgeschäften nachging. Jetzt will er auch bei der Fußball-WM 2006 wissen, »was der Spaß den Steuerzahler kostet«, also eine Standardfrage des bürgerlichen Journalismus stellen. Und er will wissen, wie viel die Stadt und der Bund einnehmen, wenn die Eintrittskarten steuerbefreit seien? Gehört die Aufforderung des Fußball-Weltverbandes (FIFA) zum »City-Dressing« und seine gesellschaftlichen Auswirkungen nicht auch auf die Sportseiten? Warum ist es vielen Blättern nicht mehr als fünf Zeilen wert, wenn im November 2005 in Zürich bei Joseph Blatter, dem Präsidenten der FIFA, eine Hausdurchsuchung wegen verschwundener Millionen stattfindet?

Unterstützung fand Weinreich unter anderem bei einem Sportjournalisten aus Mainz, der erklärte, der dortige Fußballclub 1. FSV Mainz 05 sei für die Stadt so identitätsgebend, dass eine kritische Berichterstattung nahezu unmöglich sei. Keiner wolle den »Netzbeschmutzer« machen. Vielmehr, so Weinreich, seien inzwischen viele Reporter »Sportfans, die den Sprung über den Graben geschafft haben«, insbesondere im Fernsehen, »dem Leitmedium für die Sportberichterstattung«. Beispielhaft präsentierte Kuno Haberbusch vom NDR einen Filmausschnitt von der Meisterfeier des SV Werder Bremen im Jahr 2004, als der Reporter und das Kamerateam der ARD jegliche Distanz verloren und auf dem Balkon des Bremer Rathauses mithüpften. »Diese Fan­perspektive« verhindere journalistische Standards, sagt Weinreich.

Allerdings halten die »Sport-Partisanen« damit ein Ideal einer neutralen bürgerlichen Publizistik hoch, das in den letzten Jahrzehnten zu Recht kritisiert worden ist. Doch in einer Welt, in der viele einfach nur noch »in Medien machen«, braucht es vielleicht wieder diesen journalistischen Qualitätsanspruch, bevor die Sportberichterstattung vollends ins Unterhaltungsressort abdriftet. In ihrem offenen Brief geht es den Verfassern »um Recherche statt Quote, Distanz statt Nähe, um Analyse statt Stimmungsmache, um Berichterstattung statt Präsentation«. Dies reicht im WM-Jahr 2006 offensichtlich schon zum Partisanendasein.

christoph villinger

www.sportnetzwerk.org