Job zu vergeben

Heidi Klums Modelcasting-Show ist ungeheuer lehrreich und zeigt: Mannequins müssen dünn, hübsch und flexibel sein. von elke wittich

Schon vor dem Start der Pro7-Show »Ger­many’s next Topmodel« stand die zentrale, weil »prallste« Frage für die Bild-Zeitung ­bereits fest: »Kann man mit Gummi-Busen Top-Model werden?« Das Blatt spielte damit auf zwei der 30 Endrunden-Teilnehmerinnen an: Michaela Schä­fer, »Erotik-Star« und Gewinnerin des Venus-Awards, eines Filmpreises aus der Porno-Branche, sowie auf die Sängerin Missy.

Diese Geschichte von Bild wird allerdings überhaupt nicht im Sinne der Jury gewesen sein. Die setzt nämlich alles daran, ein Image vom Model-Job zu verbreiten, das mit Sex, Drugs und Rock’n’Roll nichts, aber auch gar nichts zu tun hat. Der Traumjob, so wird den Kandidatinnen vom ersten Moment an von der Jury-Chefin Heidi Klum klargemacht, besteht zunächst aus viel Verzicht: auf Schlaf, Komfort, Selbstbestimmung, Launen, geregelte Mahlzeiten, Freizeit. Und die Busengröße spielt zwar eine Rolle, aber nicht so, wie landläufig angenommen: »Unter den aktuellen Topmodels«, sagt Klum sehr energisch, »gibt es so gut wie keine, die sich die Brüste hat vergrößern lassen. Außer bei Wäschemodels sind Brüste nicht gefragt.«

Die Mannequins sollen flachbrüstig sein, und zwar ausnahmslos alle, denn Individualität ist in der Branche nicht gefragt, schließlich ist die Mode der »Couture genormt«, wie Heidi Klum den Bewerberinnen erklärt. Aus diesem Grund müssen Größe, Maße und Gewicht der Kandidatinnen den Model-Standards entsprechen. Dass die von ihnen selbst gemachten Angaben sicherheitshalber nochmals überprüft werden, schockiert die Mädchen dann sichtlich. Aufgeregt stehen sie in der engen Garderobe beieinander und fürchten sich. Schließlich haben so gut wie alle gelogen und sich größer, leichter, dünner gemacht. Was die Jury zunehmend gereizt aufnimmt. Eine Reaktion, die für die Kandidatinnen wiederum so gar nicht nachvollziehbar ist. Schließlich habe man doch nicht bewusst gelogen, die Waage zuhause sei eben anders eingestellt oder das hauseigene Maßband sei irgendwie unzuverlässig.

Am Ende erscheint Heidi Klum und erklärt die Lage. Klar werde in der Model-Welt gemogelt, sagt sie, das habe sie durchaus auch schon getan, aber wenn man dabei ertappt werde, dann solle man gefälligst die Contenance bewahren und auf keinen Fall aufhören, Charme und gute Laune zu versprühen. »Lächeln, lächeln, lächeln!« fordert sie. Wenig später bedeuten die falschen Maße für eine der Frauen das Ende aller Karriereträume. Irina, bei einer Größe von 1,76 Metern 52 Kilo leicht, wird als zu dick befunden.

So hat es jedenfalls die Bild-Zeitung verstanden, die sich des Themas gleich aus arbeitnehmerrechtlicher Sicht annimmt und die unzumutbaren Zugangs­voraussetzungen kritisiert. Warum die Ablehnung einer Bewerberin auf den zu vergebenden Model-Job ein derartiges Drama darstellt, bleibt allerdings unklar. Wer als übergewichtige Person den Drang verspürt, auf einem Laufsteg einer gaffenden Menge Kleider vorzuführen oder stundenlang in gleißendem Schein­werferlicht zu verharren, soll halt abnehmen. Das ist, ein bisschen Willens­stärke vorausgesetzt, die man von jeman­dem, der seinen Traumjob haben will, durchaus erwarten kann, nicht weiter schwierig. Nur weil jemand zu bockig ist, wird die Modebranche ganz sicher nicht ihre Idealvorstellungen ändern und plötzlich auf dicke Mannequins setzen. Nachdem das schon mal geklärt ist, erleben die übrig gebliebenen Kandidatinnen bald schon den ersten Höhepunkt ihrer Model-Karriere. Die gestellten Aufgaben, so hatte Klum erklärt, seien sicherlich hart, aber man wolle ja schließlich auch prüfen, wer genügend Stressresistenz für den Job aufbringe.

Dazu gehört anscheinend auch das Vorführen von Kleidern an dafür nicht vorgesehenen Orten. Ein Reisebus bringt die Frauen zu einer höchst un­idyllisch gelegenen und ziemlich unglamourös wirkenden Kohlezeche. Alle rümpfen die Nase, schütteln sich bei der Vorstellung, dass das Publikum aus Kumpeln besteht. Dass man auch als Topmodel davon ausgehen muss, nicht ausschließlich von Popstars und in coolen Branchen tätigen Multimillionären angeguckt zu werden, sondern durchaus auch als Traumfrau oder sogar Wichsvorlage für Durchschnitts­typen dient, wird den Wannabe-Fotomodellen spätestens jetzt klar. Die Reaktionen auf die Zumutung, vor mehreren hundert Berg­arbeitern in einem ungeheuer hässlichen beige-braunen Badeanzug über den mitten in der Zeche aufgebauten Laufsteg zu spazieren, fallen entsprechend unterschiedlich aus. Einige wenige schlendern betont professionell über den improvisierten Catwalk, andere bemühen sich, verächtlich auf die Menge Mann zu schauen, beeilen sich aber gleichzeitig sehr. Die Männer von der Tagschicht zeigen sich dabei als sehr interessierte und aufmerksame, in keinem Fall aber zudringliche, vor allem aber wohlwollende und dankbare Zuschauer.

Schließlich sieht nicht jede Möchtegern-Kleidervorführerin optimal aus. Denn vor der Show waren die zugestandenen zehn Minuten Schminkzeit zu einer Art Contest geworden. Schätzungsweise zehn dicht nebeneinander hängende Spiegel und mehr als 20 schminkwillige Frauen ergeben ein ernstes Platzpro­blem. Das sei halt wie im richtigen Leben, erklärt Heidi Klum, manche hätten es geschafft, sich ganz nach vorne zu drängeln, andere, die nicht so durchsetzungsfähig seien, müssten halt eben von hinten neidisch auf die vor ihnen Stehenden schauen. So sei es eben, das Leben.

Die Kritik der Jury nach dem Lauf über den Zechen-Catwalk fällt entsprechend hart aus. Laufstil, Gesichtsausdruck, Aufmachung, alles wird beurteilt. »Du hast auf dem Laufsteg ständig nach rechts und links geguckt, als ob du schauen wolltest, ob ein Auto kommt«, wird beispielsweise der blonden Luise mitgeteilt. »Du bist doch keine Schildkröte, streck den Kopf nicht so vor«, wird Jennifer belehrt, und eine andere kriegt zu hören: »Dir fehlt einfach das gewisse Etwas.« Zwölf bleiben am Ende übrig, die nun mit Heidi Klum nach New York fliegen dürfen. Für eine der jungen Frauen etwas zu viel Aufregung, sie kippt um. Was sie ganz sicher auf die Beobachtungsliste der Jury gebracht haben dürfte, denn Kreislaufzusammenbrüche sind unprofessionell.

Aber das gilt wohl nicht nur für die Model-Branche. Auch wer draußen im richtigen Arbeitsleben bei einem sehr nachdrücklich geführten Bewerbungsgespräch mit an­schlie­ßen­dem Eignungstest ohnmächtig zusammen­bricht, wird damit seine Chancen auf den Job nicht wesentlich erhöhen. Immerhin, bei »Ger­many’s next Topmodel« hat man als Zuschauer eine Menge gelernt: Heidi Klum trägt im Alltag keine Fruchtgummis zwischen den Zehen, zukünftige Models werden ganz sicher keine Bergarbeiter heiraten, und Umfallen gilt nicht. Aber irgendwie hat man das auch vorher schon alles geahnt.