Warlords ohne Grenzen

Der Konflikt zwischen dem Sudan und dem Tschad könnte zu einem Krieg eskalieren. Größer noch ist die Gefahr des transnationalen Staatszerfalls. von thomas schmidinger

In letzter Minute konnten sich die Regierungen der Afrikanischen Union (AU) bei ihrem Gipfel in Khartoum auf einen Kompromiss einigen. Nicht wie üblich der Gastgeber, sondern Denis Sassou-Nguessou, der Präsident von Kongo-Brazza­ville, übernahm am Dienstag der vergangenen Woche den Vorsitz der AU. »Sonst hätte die AU-Führung ihre Glaubwürdigkeit verloren«, kommentierte Siphamandla Zondi, Direktor des Institute for Global Dialogue in Johannesburg. Um den Affront für den sudanesischen Präsidenten Umar al-Bashir erträglicher zu machen, wurde er mit dem Vizevorsitz der AU-Ratsversammlung betraut.

Menschenrechtsgruppen, internationale Organisationen und westliche Regierungen hatten vor dem Gipfel dagegen protestiert, dass einem Regime, dem genozidale Vertreibungen in der westsudanesischen Provinz Darfur vorgeworfen werden, die Führung einer Organisation zugesprochen werden sollte, deren Ziel die »Förderung von Frieden, Sicherheit und Stabilität« ist. Das von Bashir geführte islamistische Militärregime hätte mit dem AU-Vorsitz auch das Kommando über deren Friedenstruppen in Darfur übernommen, die nicht zuletzt die Zivilbevölkerung vor den Massakern seiner eigenen Regierung schützen sollte. Die Guerillagruppen in Darfur hatten angekündigt, sich in diesem Fall sofort von den Friedensverhandlungen zurückzuziehen.

Vor allem dieser unübersehbare Interessenkonflikt dürfte die Staats- und Regierungschefs der AU bewogen haben, Bashir zum Verzicht auf den Vorsitz zu drängen. Zudem droht der Konflikt in Darfur zu einem regionalen Krieg zu eskalieren. Bereits Ende Dezember hatte die Regierung des Tschad erklärt, sich im »Kriegszustand« mit dem benachbarten Sudan zu befinden. Diesem »Feind der Nation« wird vorgeworfen, einen Angriff der tschadischen Guerillagruppe »Sammlung für Demokratie und Freiheit« auf die Stadt Adre unterstützt zu haben, bei dem etwa 100 Menschen getötet wurden. Die sudanesische Regierung kontert mit der Beschuldigung, der Tschad helfe den in Darfur operierenden Guerillaorganisationen.

Sudanesische Truppen und insbesondere der Regierung nahe stehende Janjawid-Milizen sind seit Beginn des Krieges in Darfur immer wieder über die Grenze in den Tschad vorgedrungen, um Flüchtlinge zu verfolgen. Mittlerweile halten sich rund 200 000 Flüchtlinge aus Darfur im Tschad auf. Unter ihnen finden sich auch Guerilleros, die weiterhin politisch aktiv sind.

Auch das tschadische Regime der Patriotischen Rettungsbewegung von Präsident Idriss Déby hat die Kontrolle über Teile seines Staatsgebiets verloren. Im Norden gibt es seit Jahren zwei Guerillabewegungen. Bedrohlicher noch für Déby ist der Zerfall seines Regimes und seiner Armee. Mitte November scheiterte ein weiterer Versuch eines Militärputsches, bereits im Mai 2004 hatte sich aus Deserteuren der Streitkräfte eine neue Guerillabewegung gebildet, die »Plattform für nationalen Wandel, Einheit und Demokratie« (Scud). Sie ist unter der Führung von Yaya Dillo Djerou im Osttschad an der Grenze zu Darfur aktiv.

Djerou gehört wie Déby der Bevölkerungsgruppe der Zaghawa an, er betont, dass sein Aufstand nichts mit ethnischen Differenzen zu tun habe. Viele seiner Kämpfer sind von der tschadischen Armee nach Darfur vertrieben worden. Es wäre wenig erstaunlich, hätten sich einige von ihnen der ebenfalls von Zaghawa dominierten Guerillagruppe JEM in Darfur angeschlossen.

Auch der tschadische Präsident kann seine Sympathie für die von der sudanesischen Armee und ihren verbündeten Milizen verfolgten Zaghawa und Fur jenseits der Grenze nicht verbergen. Déby, dessen Putsch 1990 vom ein Jahr zuvor an die Macht gekommenen sudanesischen Regime unterstützt worden war, geriet anfangs in einen Loyalitätskonflikt. Einige Zaghawa-Oppositionelle werfen ihm ein zu lasches Handeln im Darfur-Konflikt vor und fordern mehr Solidarität mit den Guerillagruppen jenseits der Grenze. Andererseits bekannte sich Abdelwahid Aboud Makaye, ein hoher Führungskader der tschadischen Guerilla, Mitte Januar zu engen Beziehungen mit der sudanesischen Regierung.

Welche Bedeutung die militärische und finanzielle Unterstützung der beiden Regierungen für die diversen Guerillagruppen hat, ist nicht überprüfbar. Sicher ist, dass nicht ausländische Hilfe die bewaffneten Konflikte verursacht hat. Michael A. Weinstein von der NGO Power and Interest News Report spricht von einem »Zyklus der Instabilität« im Tschad. Obwohl es mittlerweile ein Mehrparteiensystem gebe, führe der Mangel an gesellschaftlicher Integration immer wieder dazu, dass »Überläufer aus dem inneren Kreis« sich im »Kampf um die Beute« gegen das Regime wenden.

Im Sudan versucht die Oligarchie des Nordens seit der Unabhängigkeit, die politische Macht und die ökonomischen Ressourcen zu monopolisieren. Der Konflikt in Darfur begann als Vernichtungskrieg regierungstreuer Janjawid-Milizen, die im Bündnis mit den Militärs gegen Guerillagruppen und ökonomisch marginalisierte Bevölkerungsgruppen wie Fur, Masalit, Berti oder Zaghawa vorgehen. Schätzungen der Uno zufolge starben mehr als 180 000 Menschen, etwa zwei Millionen mussten vor den Massakern der Janjawid aus ihren Dörfern fliehen. Kriegsverbrechen werden aber auch den Guerillagruppen vorgeworfen.

Der Konflikt entwickelt eine Eigendynamik. Lokale Warlords, deren Herrschaft auf der Fortsetzung des Kampfs und der Plünderungen basiert, können sich dem Kommando ihrer Auftraggeber entziehen, und es ist unklar, wie weit das Regime in Khartoum seine Milizen noch unter Kontrolle hat. Die Versuche, einzelne Mitglieder der Janjawid für Kriegsverbrechen zu bestrafen, waren bisher eher eine mediale Inszenierung für die internationale Öffentlichkeit als ein ernsthafter Versuch, die Gewalt zu beenden. Die Friedenstruppen der AU können auch nach ihrer Aufstockung auf 6 000 Mann die Massaker nicht beenden, manchmal gerieten sie selbst ins Kreuzfeuer zwischen der Regierung und den Guerillas.

Eine Eskalation des Konflikts zwischen dem Tschad und dem Sudan zum Krieg ist möglich, die Hauptgefahr ist jedoch das Fortschreiten der Warlordisierung in beiden Staaten, ein transnationaler Staatszerfall. Grenzüberschreitende Kämpfe und Bündnisse lokaler Paramilitärs, Guerillagruppen und Warlords sind nur der logische nächste Schritt, der sich aus einer Schwächung von Staaten ergibt, in denen nur der Repressionsapparat funktioniert und deren klientelistische Oligarchie viele Bevölkerungsgruppen marginalisiert. Angehörige von Regierungen, die sich wie Warlords benehmen, brauchen sich nicht zu wundern, wenn ihr Land am Ende von Warlords regiert wird.