Moschee ist o.k.

Mitten in Kreuzberg entsteht ein riesiges »gemeinnütziges Zentrum« mit Moschee. Wie finden das eigentlich die Nachbarn? von doris akrap

Kein Gott hat es je gewagt, einen Fuß in diese Stadt zu setzen. Der einzige mythologische Raum Berlins ist die Brache. Doch eine dieser Brachen wird seit einigen Monaten im Namen Gottes entmythologisiert. »So Gott will«, steht auf dem Bauschild am Görlitzer Bahnhof im Stadtteil Kreuzberg zu lesen, wird auf dem ehemaligen »Bolle«-Grundstück ein »gemeinnütziges Zentrum« errichtet werden. Außer den Läden und Büroräumen im Vorderhaus wird im Hinterhof die »Omar Ibn al-Khattab Moschee« gebaut.

Nach der ersten Aufregung um den Bau und seinen mysteriösen Träger, den »Islamischen Verein für wohltätige Projekte« aus dem Umfeld der al-Ahbash-Bewegung, wird im Herzen Kreuzbergs ungestört gearbeitet. Man stelle sich die Situation vor, würde hier ein amerikanischer Schnellimbiss gebaut.

Bereits vier Stockwerke ragt der Rohbau hoch. An den Wänden hängen Gebetsteppiche und Styroporplatten, Transistorradios und Bierkästen hingegen sieht man nicht. Die Bauarbeiter, die hier tätig sind, verbringen ihre Pausen offenbar in einer anderen Weise, als in der Branche üblich. Nur noch drei Etagen und vier Minarette fehlen bis zur Fertigstellung. Das Bautempo ist rasant. Denjenigen, die vielleicht selbst seit Jahren versuchen, irgendwo am Mittelmeer ein Haus zu errichten, aber noch immer nicht über den Rohbau hinausgelangt sind, entgeht das nicht. »Respekt!« sagt ein türkischer Nachbar. »So schnell hätte ich das nicht geschafft.«

Auch Hüseyin Midik, Vorstandsmitglied der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Reli­gion, der die neuen Nachbarn ein paar Häuser weiter skeptisch beäugt, zeigt sich von der Geschwin­digkeit beeindruckt. Seit Jahren hänge ein Bauplan für eine neue Moschee seines vom türkischen Staat beeinflussten Vereins in der Wiener Straße. Auch sie hätten dieses Grundstück gerne gekauft, aber es war zu teuer. Woher die neuen Nachbarn das Geld haben?

Der alttestamentarische Gott wird im Buch Genesis als »Handwerker und Hausbauer« bezeichnet. Woher er das Material nahm, mit dem er die Welt zusammenbaute, weiß bis heute niemand. Warum sollte also der Gott der neuen Moschee mit offenen Karten spielen? Um die Baukosten von rund zehn Millionen Euro sicher zu stellen, habe man in der ganzen Republik Hausbesuche durchgeführt und Spendendosen aufgestellt, erzählt der Vereinssprecher Birol Ucan. Jedenfalls sucht man vergeblich nach den Spendendosen, die hysterischen Zeitungsberichten zufolge in ganz Kreuzberg stehen sollen. »Die werden doch sowieso geklaut«, sagen Geschäftsinhaber rund um den Görlitzer Bahnhof.

Zwar gilt das preußische Gebot, dem zufolge nicht repräsentative Bauten wie katholische Kirchen nur zwischen zwei Gebäuden errichtet werden durften, schon lange nicht mehr. Der Neubau quetscht sich dennoch zwischen zwei Wohnhäuser in der Skalitzer Straße und der Manteuffelstraße. Anfang vorigen Jahres traten schwere Schäden an den angrenzenden Häusern auf, so dass gleich nach dem Beginn der Arbeiten ein sechsmonatiger Baustopp verfügt wurde.

Doch die Nachbarn sind echte Kreuzberger und finden Hauseigentümer und Vermieter blöd, so dass sich alle einig sind: »Moschee ist schon o.k.« Die deutsche Nachbarin wohnt »wegen der Leute, die so anders sind als wir«, seit 20 Jahren hier, und auch der Hipster vom Paul-Lincke-Ufer kann nicht anders, als das »sympathische südländische Temperament« der künftigen Nutzer zu loben. Wenn erst die Moschee fertig ist, geht es hier so richtig authentisch zu – oder, wie ein Punk auf dem Weg in die Kneipe »Intertank« herüberruft: »Einfach cool!«

»Moschee ist o.k.«, meint auch die türkische Nachbarin. »Aber ich bete nur zu Hause«, sagt sie, während die nächste erzählt, dass sie nicht mehr laufen könne und deshalb der Moschee fernbleiben werde. Ein dritter hat seine eigene Moschee . »Aber ich freue mich schon auf das neue Einkaufszentrum«, sagt der Herr mit der eigenen Moschee, der vor 20 Jahren noch bei »Bolle« eingekauft hatte, bevor das Gebäude bei den Krawallen am 1. Mai 1987 abbrannte. Ist das der Grund, weshalb all die Leute, die gar nicht in die Moschee gehen wollen, sich über sie freuen? Die eigentliche Moschee wird jedenfalls im Hinterhof gebaut. An der Straßenseite soll das »Maschari-Center« entstehen.

Der Kellner im benachbarten »Café Morgenland« hält es in jedem Fall für eine clevere Geschäftsidee, sich aus Spendengeldern ein Einkaufszentrum bauen zu lassen. Und der türkische Besitzer des direkt neben der Moschee liegenden Hotels und Restaurants »Deutsches Haus« ist froh: »Endlich ist die Schmuddelecke weg, und wir bekommen vielleicht mehr Touristen.«

Auch wenn der Marktplatz seinen Ursprung im heiligen Kultort hat, ist doch die gemeinsame Konzeption von Konsum- und Gottestempel keineswegs üblich. In orthodox islamischen Kreisen gelten die al-Ahbashi ohnehin als Ungläubige. Aus religionswissenschaftlicher Perspektive werden sie als Antwort der Sufis, einer mystischen Strömung des Islam, auf den Islamismus eingeschätzt. Einer der Vorwürfe an die Häretiker lautet, sie produzierten westliche Musik. Konkret wurde ihnen die Imitation der Musik von James Last zur Last gelegt. Diesem schwer wiegenden Vorwurf kann Vereinsprecher Ucan lachend begegnen: »Es geht um die Handtrommeln«, sagt er. »Wissen Sie, in Afrika gibt es auch andere Traditionen als in Europa. Wir wollen ein offenes Haus im Kiez sein!«

Ursprünglich im Libanon gegründet, gingen viele Mitglieder von al-Ahbash während des Bürgerkriegs ins Exil in die USA und nach Europa. In ihren Erklärungen distanzieren sie sich von jeglicher politischen Instrumentalisierung des Islam. Der im Jahr 1995 von palästinensischen Attentätern ermordete Vorsitzende Sheich Nizar al-Halabi hatte sich wiederholt öffentlich gegen den Fundamentalismus ausgesprochen. Jedoch werden in dem voriges Jahr veröffentlichten so genannten Mehlis-Report der UN-Untersuchungskommission, die sich mit der Ermordung des ehemaligen libanesischen Premierministers Rafik Hariri beschäftigte, Mitglieder der al-Ahbash verdächtigt. »Alles nur Gerüchte und Verleumdungen«, meint Ucan.

Vor der evangelischen Emmaus-Gemeinde am Lausitzer Platz versammeln sich Obdachlose zum Frühstück. Einige von ihnen haben schon mal im »Deutschen Haus« gewohnt, das mit dem Sozialamt zusammenarbeitet. Sie alle sind der Meinung, dass der Islam in Kreuzberg immer mehr zum Problem werde. Ein nicht minder großes Problem ist die nächste warme Mahlzeit. »Wenn die so offen sind und mir was zu essen geben, schau ich vielleicht mal rein.« Der Küster redet zwar von Dialogbereitschaft, doch als er davon spricht, dass der »Islam über uns kommt«, scheint sein Gesicht den Spruch auf dem Portal seiner Kirche widerzuspiegeln: »Oh Herr, bleib bei uns, denn es will Abend werden!«