Verrat am Gottesstaat

Streik in Teheran von udo wolter

Die Medienberichterstattung über den Iran vermittelt den Eindruck, dass die Massen durch nichts anderes zu mobilisieren sind als die Empörung über den Westen und dort verbreitete Mohammed-Karikaturen oder Israels Existenz. Doch es gibt im Iran auch Kämpfe gegen die zunehmend schlechteren Lebens- und Arbeitsbedingungen. Die Busfahrer der Millionenmetropole Teheran etwa haben im vergangenen Jahr eine Gewerkschaft für den Nahverkehrsbereich im Großraum der Hauptstadt gegründet.

Die Gründe dafür sind mannigfaltig: unter anderem miserable Löhne, seit langem ausstehende Zahlungen für Überstunden, schlechte Wohnverhältnisse der Beschäftigten und ihrer Familien. Außerdem gibt es keine den heutigen Verhältnissen angepassten Tarifverträge, da die letzten noch vor der so genannten islamischen Revolution vor 25 Jahren abgeschlossen wurden. Danach wurde die Gewerkschaft aufgelöst.

Die Bildung regierungsunabhängiger Organisationen ist im Staat der Ayatollahs verboten. Die islamistische Einheitsdoktrin sieht Interessenkonflikte nicht vor, in den Betrieben lässt die islamistische Diktatur nur regimetreue »Islamische Räte« zu. Arbeitskämpfe würden derzeit zudem den Widerpruch zwischen der von Präsident Mahmoud Ahmadinejad versprochenen »Politik der Gerechtigkeit für die Armen« und der tristen Realität offenbaren.

Entsprechend repressiv gingen die Sicherheitskräfte des Regimes von Anfang an gegen die Gewerkschaft vor. Seit Mai 2005 wurden mehrere Betriebsversammlungen durch gewalttätige Angriffe von Geheimpolizisten, Sicherheitskräften und regimetreuen Arbeitern behindert. Der Gewerkschaftsvorsitzende Mansour Ossanlou wurde dabei einmal durch 23 Messerstiche verletzt. Im Dezember wurden schließlich zwölf Führungsmitglieder der Gewerkschaft verhaftet. Die Arbeiter haben durch mehrere Streiks und Protestaktionen die Freilassung von einigen Gefangenen erreicht. Ossanlou allerdings blieb weiter in Haft, ihm soll ein politischer Prozess wegen angeblicher Spionage und »Landesverrats« gemacht werden.

Die Situation eskalierte, als die Gewerkschaft für den 28. Januar zu einem Streik aufrief, der den gesamten Nahverkehr der 14-Millionen-Metropole lahm legen sollte. Forderungen waren die Freilassung von Ossanlou und weiteren inhaftierten Kollegen, die Anerkennung ihrer Gewerkschaft und der Abschluss eines Manteltarifvertrags. Es kam zu Hausdurchsuchungen und weiteren Verhaftungen, ein Teil der Gewerkschaftsführung sah sich gezwungen, abzutauchen und den Streik klandestin zu organisieren.

Am 28. Januar verhinderte ein Großaufgebot an Sicherheitskräften mit äußerst brutalem Vorgehen den Streik. Es kam zu wüsten Prügel- und Tränengaseinsätzen, die Busfahrer mussten unter Bewachung von Sicherheitskräften ihren Dienst verrichten. Die Wohnungen von Gewerkschaftern wurden gestürmt und sogar Familienmitglieder verhaftet. In Berichten der Gewerkschaft und verschiedener iranischer Oppositionsgruppen ist von 500 bis 1 200 Verhaftungen die Rede. Amnesty international verlangt die sofortige Freilassung der Inhaftierten, die immer noch ohne Zugang zu Anwälten im berüchtigten Teheraner Evin-Gefängnis einsitzen und dort inzwischen mit Hungerstreiks begonnen haben sollen.

In den deutschen Medien war davon bislang fast nichts zu erfahren. Ein Aufruf zu einer Solidaritätskundgebung verschiedener iranischer Oppositionsgruppen in Berlin bezeichnete denn auch das »Schweigen der deutschen Öffentlichkeit« zu diesen Vorgängen vor dem Hintergrund des Atomkonflikts als »erstaunlich«.