»Was tun mit Fanatikern?«

Ein Gespräch mit dem türkischen Karikaturisten Metin Üstündag

Metin Üstündag ist einer der bekanntesten Satiriker der Türkei und Herausgeber der oppositionellen Wochenzeitschrift Penguen. Der heute 40jährige begann in den achtziger Jahren als Zeichner beim Satireblatt Girgir, das damals eine Auflage bis 600 000 Exemplare hatte. Später arbeitete er bei der Zeitschrift Leman, von der er sich vor fünf Jahren mit einigen Kollegen trennte und Penguen gründete. Penguen verkauft wöchentlich 60 000 Exemplare; zu dem Verlag gehören ferner die Comicmagazine Lombak und Kemik sowie die Kulturzeitschrift Hayvan. Üstündag zeichnet die Cartoonrubrik »Sonntagsliebende« und schreibt Kolumnen. Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan hat eine Beleidigungsklage gegen Penguen angestrengt, Kulturminister Atilla Koç prozessiert gegen »Mansur Sebboy«, ein Pseudonym Üstündags.

Die Affäre um die dänischen Mohammed-Karikaturen sind auch in der Türkei ein Thema. Aber keine Zeitung oder Zeitschrift hat sie veröffentlicht. Wird Penguen dies in der nächsten Ausgabe nachholen?

Dass niemand sie dokumentiert hat, liegt wohl daran, dass man nicht den Anschein erwecken will, man mache sich diese Darstellung zu eigen. Wir werden sie nicht drucken, weil wir uns nicht über Dinge lustig machen, die den Menschen heilig sind, ebenso wie wir uns nicht über Behinderungen von Menschen amüsieren. Wobei ich die dänischen Karikaturen nicht gesehen habe und nicht weiß, ob man ihnen dies vorwerfen kann.

Religion ist doch für Penguen immer wieder ein Thema. Ich erinnere mich an einen Cartoon Ihres Kollegen Erdil Yasaroglu. Darauf ist ein Gläubiger zu sehen, der im Paradies erschrocken feststellt, dass es sich bei den versprochenen Jungfrauen um lüsterne Eselinnen handelt.

Es geht aber immer um die Gedanken und die Psyche der Menschen, wenn sie gerade beten oder beichten oder andere religiöse Handlungen vollziehen. Diese Cartoons sind oft hart und unerbittlich. Aber wir attackieren nicht den Glauben an sich. Mir ist es auch nie in den Sinn gekommen, den Propheten Mohammed zu zeichnen. Nicht weil dies nicht zulässig wäre, sondern weil es ein handwerkliches Problem gibt. Von Mohammed existieren keine Darstellungen, die man aufgreifen und karikieren könnte. Eine Karikatur funktioniert dadurch, dass man etwas, das es schon gibt und das die Leute kennen, überzeichnet. Man kann nichts karikieren, von dem es kein Bild gibt.

Gibt es denn moralische Grenzen der Satire? In Deutschland etwa würde kaum ein Zeichner oder Humorist Witze über Juden machen.

Ich verstehe diese Bedenken. Wir machen auch keine Witze über die Minderheiten in der Türkei. Die haben es schwer genug, unsere Aufgabe ist es nicht, Witze auf ihre Kosten zu machen, sondern auf Kosten derer, die ihnen das Leben erschweren. Ich will aber keine universellen Regeln aufstellen, sondern kann nur für die satirische Tradition sprechen, in der wir stehen. Dazu gehört, dass wir auf Seiten der Unterdrückten und der Minderheiten stehen. Unsere Kritik richtet sich gegen die Mächtigen im Staat und in der Wirtschaft, nicht gegen das Volk.

Was ist mit der Unterdrückung innerhalb der Gesellschaft? Etwa die Unterdrückung, die von der Religion ausgeht?

Natürlich sind das auch Themen. Meine Rubrik in Penguen beschäftigt sich mit Liebe, Sexualität und Zweierbeziehungen. Indem ich mich über gesellschaftliche Rollenbilder von Frauen und Männern lustig mache, kritisere ich diese. Grundsätzlich auf der Seite des Volkes zu stehen, heißt nicht, sich ihm in einer opportunistischen Weise anzubiedern.

Einige der dänischen Karikaturen befassen sich mit dem islamistischen Terror.

Daran ist überhaupt nichts auszusetzen. Dafür braucht es keine Zeichnung von Mohammed. Und selbst wenn, wäre das unwichtig, weil es gegen die geht, die die Religion für ihre Zwecke benutzen. Mit dem Zeichner dieser Karikaturen könnte ich mich verständigen. Aber was machen wir mit den Fanatikern, die auf solche Provokationen nur warten?

Sie fürchten religiöse Fanatiker mehr als staatliche Autoritäten?

Diese Leute sind lebende Bomben. Da ist ein Kerl, der glaubt an etwas und ist dazu bereit, sich dafür in die Luft zu sprengen. Egal ob er an irgendwelche Jungfrauen denkt oder nicht, er will ins Paradies und fürchtet sich vor nichts. Natürlich muss man sich vor solchen Leuten fürchten.

Wie konnten ein paar Karikaturen zu einem weltpolitischen Thema werden?

Ohne den amerikanischen Krieg gegen den Irak, ohne das arrogante und militante Gebaren der USA wäre dies sicher nicht möglich gewesen. Ich will die Anschläge vom 11. September 2001 nicht verharmlosen oder gar billigen, aber man muss sehen, dass die USA sie als Vorwand dazu nutzen, um überall zu tun, was sie wollen. Darüber gibt es eine große Wut. Und es gibt Leute, die diese Stimmung für ihre Zwecke ausnutzen. Eine solche Gelegenheit haben die dänischen Kollegen vielleicht unfreiwillig geliefert.

Welche Folgen könnte die Affäre in der Türkei haben?

Sie wird diejenigen stärken, die einen Beitritt in die EU ablehnen. Sie werden sagen: »Seht, wir haben immer gesagt, dass die Europäer uns Muslime nicht respektieren und alles angreifen, was uns heilig ist. Sie werden uns deshalb sowieso nicht aufnehmen.«

Das klingt alles viel zurückhaltender, als man von einem linken, intellektuellen Oppositionellen aus der Türkei erwarten könnte.

Zu uns kommen Journalisten aus Europa und führen sich als große Brüder auf, fast so, als gehörten sie einer höher entwickelten menschlichen Gattung an. Uns oppositionelle Schriftsteller, Journalisten und Zeichner betrachten sie als ihnen nahe stehende, aber bemitleidenswerte Kreaturen. Sie verlangen, dass wir bei ihnen unseren Staat anschwärzen. Sie sagen: »Weint euch bei uns aus, dann werden wir euch Zuspruch und Beistand geben.« Wir sollen uns die Köpfe einschlagen, damit sie Stoff haben, über den sie berichten können. Und dann verschwinden sie wieder. Aber ich lebe hier, meine Familie lebt hier, ich muss mit dieser Gesellschaft auskommen.

Jeder autoritäre Politiker verbietet sich Einmischung aus dem Ausland, um ungestört die Bevölkerung drangsalieren zu können.

Ich sage ja nicht, dass bei uns in der Türkei oder in den islamischen Ländern oder in der ganzen so genannten Dritten Welt alles bestens wäre. Hier gibt es viele Dinge zu verändern, auch das Verhältnis von Religion und Gesellschaft. Aber diese Reformen müssen wir selbst durchführen, so wie die Europäer in ihrer Geschichte bestimmte Auseinandersetzungen geführt haben.

Mich stört die Art, mit der viele Europäer, oft die, die sich uns Oppositionellen verbunden fühlen, auf uns herabblicken und sich dabei so aufplustern, als seien sie weiß Gott wie großartig. Wenn sie dann unsere Satirezeitschriften in die Hand bekommen, staunen sie, wie entwickelt und vielfältig unser Zeichenstil ist, wie reich unser Humor ist. Und sie sind überrascht, wie radikal und freizügig unsere Publikationen sind. »Bei uns gibt es keine Zeitung mit einer so hohen Auflage, die sich solche Dinge trauen würde«, sagen sie dann.

interview: deniz yücel