Wer ist mein Daddy?

Bret Easton Ellis zitiert sich in »Lunar Park« selbst. von thomas blum

Es gab einmal eine Zeit, in der der US-amerikanische Schriftsteller Bret Easton Ellis ein Kulturpessimist und ein sarkastischer Gesellschaftsanalytiker war, obwohl er sehr jung war, Anfang zwanzig. Das war in den achtziger Jahren, als seine frühen Romane bevölkert waren von rich kids aus den weißen, reichen Vierteln von Los Angeles, haltlos, exzessiv und vollständig gleichgültig gegenüber allem, was nicht Sex, Wodka oder Kokain war. Gleichzeitig war der zur permanenten Selbstbespiegelung neigende Autor ein pessimistischer Moralist. Die Dekadenz, die psychischen Defekte und die Genusssucht seiner Altersgenossen der Ära Ronald Reagans stellte er aus, indem er sie ihre eigene Verdinglichung aussprechen ließ. Das in formaler Hinsicht Moderne und Verstörende an diesen seinerzeit als Popliteratur missverstandenen schwarzen Satiren war, dass es ihm nicht mehr darum ging, eine schlüssige, nach einer herkömmlichen Dramaturgie aufgebaute Geschichte zu erzählen, sondern darum, wie auf einem Tableau das alltägliche, ritualisierte Treiben gelangweilter, gefühlskalter und egoistischer Heranwachsender literarisch abzubilden. Das Ergebnis waren finster-komische Milieustudien, deren Personal seinen Überdruss an sich selbst und am Dasein mit der permanenten Einnahme diverser Drogencocktails betäubt.

Den Ton des blasierten, angeödeten Ich-Erzählers fand man auch im Roman »American Psycho« wieder, der Geschichte eines New Yorker Aktienhändlers und psychopathischen Serienkillers, der mit demselben Ennui, mit dem er sich das Frühstücksfernsehen ansieht, Frauen schlachtet und zerstückelt.

Das dauerkoksende und Xanax-Tabletten schluckende Yuppiemilieu in Easton Ellis’ neuem Werk »Lunar Park« ist vordergründig dasselbe geblieben, nur ist es mit dem Autor gealtert: Die Hauptfigur des zu Beginn pseudoautobiografisch erzählten Romans heißt bezeichnenderweise Bret Easton Ellis und ist ein überaus erfolgreicher Schriftsteller, der in maßlosen Drogenexzessen versinkt, bevor er beschließt, sich mit seiner Lebensgefährtin, einer berühmten Schauspielerin, und zwei Kindern ins New Yorker Vorstadtleben zu verabschieden. Doch das Leben lebt nicht in Ellis’ Prosa, und wenn doch, geschehen hässliche Dinge.

Die literarische Fiktion »Lunar Park«, in die Wirklichkeitspartikel eingewoben sind und die vorgibt, Realität zu sein, enthält gleichzeitig wiederum auch fiktionale Elemente aus dem realen Prosawerk des realen Ellis, welche wiederum in der Fiktion »Lunar Park« als Realität Einzug halten.

Nach der Funktionsweise einer semipermeablen Membran durchdringen sich Realität, Fiktion, fiktionale Realität und reale Fiktion ständig. In der Fiktion ist alles wahr, und doch stimmt nichts wirklich, obwohl doch Sämtliches der Realität ähnelt. Keiner hat gesagt, dass moderne Literatur einfach ist.

So schreibt etwa auch die Romanfigur Ellis, ähnlich wie der reale Ellis einst an »American Psycho«, an einem die bürgerlichen Geschmacksgrenzen überschreitenden, pornografischen Reißer mit dem Titel »Teenage Pussy«, in dem eine weibliche Figur »vor dem Sex ›Gib mir einen Knochen‹ und wenn er sie penetriert hat ›Wer ist mein Daddy?‹ zu sagen hat. Er reibt Kokain auf ihre Klitoris. Er zwingt sie, Milan-Kundera-Taschenbücher zu lesen und sich ›Jeopardy!‹ anzusehen.«

Es bleibt in »Lunar Park« jedoch nicht nur bei derlei Reminiszenzen des Autors an sein von Obsessionen durchwirktes, nihilistisches Frühwerk. Mit seiner Schilderung einer nur an der Oberfläche perfekt gestylten Vorstadtwelt, in der schwerreiche, tablettensüchtige Psychowracks sich mitsamt ihren ebenso wie sie selbst auf Leistung und Konsum konditionierten, medikamentensüchtigen Kleinkindern zur verlogenen Illusion eines intakten Familienglücks zwingen, setzt er sein Thema fort, das beschädigte Leben und der scheiternde Versuch, ihm zu entrinnen: Party, Sex, Rausch.

Die gestörte Kommunikation mit den Kindern ist, wie die Romanfigur Ellis einmal sagt, »wie ein beschissenes Beckett-Stück, und wir proben es von morgens bis abends«. Selbst der familieneigene Hund hat »bereits eine Hydro­therapie und Akupunktursitzungen durch­gemacht und war zum Chiroprak­tiker geschleppt worden, und schließlich musste er zum Hundepsychologen, der ihm Cloinicalm verschrieb, was nichts anderes ist als Prozac für Hunde (…) Aber er mochte es weiterhin nicht, allein mit mir in einem Zimmer zu sein.« Hinter allem High-Society-Gehabe und dem dazugehörenden wahnhaften Design-, Dekor- und Markenfetischismus lugen, wie schon in »American Psycho«, mit fortschreitendem Verlauf des Geschehens die kommunikationsgestörte Tristesse, die nackte Paranoia, der Wahnsinn und die Waren­förmigkeit allen Seins unentwegt hervor.

Wo man es in Ellis’ frühen Romanen einst mit abgestumpften Kids auf der Suche nach dem letzten Kick zu tun hatte, hat man es nun mit nicht weniger narzisstischen, egoistischen, verkorksten, neureichen Erwachsenen zu tun, die den unerfüllbarsten aller Wünsche mit sich herumtragen, den nach ein bisschen Authentizität, ein bisschen Leben, ein wenig Liebe.

So weit das Beruhigende. Noch immer sind Ellis’ Romane Dokumente des Scheiterns und des Niedergangs. »Kein Ausgang«, das sind die letzten beiden Worte in »American Psycho«. Das Beunruhigende jedoch ist, dass Bret Easton Ellis sich bei seinem neuen Roman in den Kopf gesetzt hat, ihn nach einem konventionellen Muster zu erzählen und mehr und mehr zur allzu gewöhnlichen Horrorthrillerkolportage mutieren zu lassen: Stofftiere beginnen plötz­lich, lebendig und bedrohlich zu werden, beunruhigende Geräusche reißen einen aus dem Schlaf, Kratzspuren und Fußabdrücke unbekannter Herkunft finden sich im Haus, Möbelstücke sind über Nacht wie von Geisterhand umgestellt worden, mysteriöse E-Mails und Videobotschaften treffen ein, Kinder aus der Gegend verschwinden spurlos, kurz: es ist die wenig originelle Aneinanderreihung einschlägiger Versatzstücke aus dem Horror-Genre. Zu dem Zweck, eine zeitgenössische Gruselgeschichte zu erzählen, hat sich der Autor großzügig aus dem entsprechenden Arsenal kulturindustrieller Artefakte bedient. Zitiert und geplündert wird unter anderem aus den Filmen von David Lynch, »Poltergeist«, »Chucky«, »The Shining« und anderen Romanen von Stephen King.

Was zunächst beginnt als mit reihenweise von ironischen Selbstzitaten durch­setztes, postmodernes Verwirrspiel, verkümmert zu einem plagiatsversessenen und traditionell erzählten Wirrwarr von Einzelteilen aus dem Horrorfundus.

Man lese also das Frühwerk, von dem die Romanfigur Ellis behauptet, sie habe es »in Los Angeles auf dem Boden meines Schlafzimmers liegend in einem achtwöchigen Crystal-Methedrinexzess runtergehackt«. Ja, so entsteht große Kunst.

Bret Easton Ellis: Lunar Park. Aus dem Englischen von Clara Drechsler und Harald Hellmann, Kiepenheuer und Witsch, Köln 2006, 457 Seiten, 22,90 Euro