»Islam und Demokratie müssen kompatibel sein«

Cem Özdemir
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Für Cem Özdemir liegt der Zusammen­hang zwischen der Integrationsdebatte und der Eskalation rund um die Mohammed-Karikaturen auf der Hand. Das, so erklärte er, zeigten schon die gegenwärtigen Diskussionen um Einbürgerung und den so genannten Muslim-Test. Özdemir ist Abgeordneter des Europäischen Parlaments und Mitglied der Fraktion Die Grünen/ Freie Europäische Allianz. 2002 wurde er vom World Economic Forum zum »Global Leader for Tomorrow« ernannt. 1997 zeichnete ihn der SFB als »Multikulti-Mann des Jahres« aus. Mit ihm sprach Ivo Bozic

Wie erklären Sie, dass die Reaktionen auf die Mohammed-Karikaturen in Deutschland und Europa in den muslimischen Communities bisher relativ gelassen waren?

Dass es nicht zu Gewalt kam, liegt daran, dass demokratische Gesellschaften Möglich­kei­ten bieten, seiner Empörung Ausdruck zu verleihen, ohne dass man Botschaften anzündet. Damit meine ich nicht nur Demonstrationen, sondern eben auch eine freie Presse, die auch so etwas zum Ausdruck bringen kann. Das Problem in geschlossenen, autoritären Gesellschaften ist, dass sie keinerlei Ventil anbieten für eine demokratische Ausdrucksweise. Wir sollten daher geradezu dankbar sein, dass sich die Türkei nicht den Iran oder Syrien zum Vorbild nimmt, sondern Europa.

Der aktuelle Konflikt ist also ein Argument für den EU-Beitritt der Türkei?

Man muss sich schon das Gehirn rausoperieren lassen, um das anders zu sehen. Wir sollten froh sein, dass die Menschen in der Türkei einen weltoffenen Islam praktizieren. Und die Türkei trägt längst das Ihre dazu bei, jene Kräfte in der islamischen Welt zu stärken, die in Richtung Demokratie und europäische Werte streben.

Der türkische Ministerpräsident Erdogan hat als Reaktion auf die Mohammed-Karikaturen erstmal eine Einschränkung der Pressefreiheit gefordert.

Auch Erdogan weiß doch, dass man so etwas nicht mit Gesetzen klären kann. Wir müssen darauf vertrauen, dass Journalisten und Herausgeber ihre Freiheit als Freiheit mit Verantwortung verstehen.

Die Grünen haben statt auf Integration bisher insbesondere auf das multikulturelle Nebeneinander gesetzt…

Das sehe ich nicht als Widerspruch. Integration ist die Voraussetzung für eine multikulturelle Gesellschaft, die ich nicht als einen positiven oder negativen Wert sehe, sondern als Zustandsbeschreibung. Die Frage ist, wie man sich so eine multikulturelle Gesellschaft vorstellt.

Da geht es halt immer um Respekt für andere Kulturen, andere Religionen. Ganz ähnlich, wie jetzt viele in Bezug auf den Karikaturen-Streit argumentieren. Wie viel Toleranz für ein anti-emanzipatives Gesellschaftsbild darf eine aufgeklärte Gesellschaft aufbringen?

Jede demokratische Gesellschaft muss damit leben, dass es Menschen gibt, die andere Einstellungen haben, als es der gesellschaftliche Konsens ausdrückt. Entscheidend ist erstens, dass Gewalt in keiner Weise toleriert werden kann. Und zwar nicht nur Gewalt gegen Andersdenkende, sondern auch Gewalt gegen eigene Leute, also im privaten Bereich, in der Erziehung, gegen Frauen, nichts davon kann toleriert werden. Zweitens muss klar werden, dass wir alle in dieser Gesellschaft in einer gemeinsamen Werteordnung leben, und das ist nun mal das Grundgesetz. Auf dieser Grundlage kann man es auch aushalten, dass unterschiedliche Meinungen bestehen.

Die Grünen fordern einen verstärkten Dia­log mit der muslimischen Welt, vom Dialog war auch beim Iran immer die Rede. Irgendwie erscheint dieser Dialog immer mehr als ein gegenseitiger Monolog.

Es kommt darauf an, mit wem man den Dialog führt. Mit dem Religionsminister in der Türkei, der an der Modernisierung der muslimischen Welt interessiert ist, lohnt sich mit Sicherheit ein Dialog. Auch lohnt sich der Dialog mit der aufkommen­den iranischen Zivilgesellschaft; mit Ahma­dinejad lohnt er sich nicht. Worüber soll man mit ihm reden? Weder das Existenzrecht Israels noch die Frage nach Nuklear­waffen für den Iran sind verhandelbar. Wir müssen auch unsere Wertebasis verteidigen und einfordern, dass sie nicht in Frage gestellt wird. Das muss für jeden Dialog gelten.

Der iranische Präsident hat für die Ver­öffentlichung der Karikaturen eine »jüdische Verschwörung« verantwortlich gemacht. Tatsächlich bringen Islamisten die Entrüstung über zwölf Karikaturen aus Dänemark mit ihrer Ablehnung der USA und Israels in Einklang.

Das ist der organisierte Versuch, die Reihen zu schließen. Es wird Israel noch lange geben, wenn Ahmadinejad und sein Regime längst abgetreten sind und der Iran in die Gemeinschaft der Demokratien zurückgekehrt ist.

Muslimische Repräsentanten, aber auch viele Linke, auch Grüne, behaupten, dass die Empörung unter den Mus­limen deshalb so groß sei, weil die islamische Welt sich durch den Irak-Krieg und durch die israelische Besatzung gedemütigt fühle. Wie weit reicht das Verständnis für die islamistische Rase­rei?

Die Hauptdemütigung ist der Missbrauch der Religion durch Selbstmord­attentäter, durch selbst ernannte Führer der islamischen Welt, die nicht demokratisch legitimiert sind. Sie besteht auch darin, dass Jugendlichen Zukunfts­chancen und Bildung vorenthalten werden und dass die Frauen in den meisten islamischen Ländern nicht den ihnen zustehenden Platz einnehmen können.

Ihr Parteifreund Christian Ströbele behauptet, dass die USA einen Krieg gegen den Iran vorbereiteten, und bringt das in Zusammenhang mit dem Karikaturenstreit, so als werde der vom Westen geschürt, um einen solchen Krieg zu rechtfertigen.

Die Reaktionen in den USA waren doch ganz andere als in Europa. In den USA äußerte man viel eher Verständnis dafür, dass religiöse Gefühle verletzt worden sein könnten. Da muss man aufpassen, dass man keine Verschwörungstheorien aufbaut.

Muss angesichts der Re-Islamisierung ganzer Gesellschaften in der Integrationspolitik mehr darauf geachtet werden, eine solche Entwicklung hier aufzuhalten?

Das Problem ist doch nicht, dass Menschen religiös sind. Aber unser Anspruch muss sein, dass Islam und Demokratie nicht inkompatibel sein dürfen.

Aber sind nicht gerade eher fundamentalistische Tendenzen in den muslimischen Communities zu beobachten?

Wenn man etwas gegen religiösen, aber auch nationalen Fundamentalismus tun möchte, dann sollte man sich darum kümmern, dass männliche Jugendliche, die vor allem die Problemfälle dar­stellen, eine vernünftige Ausbildung bekommen, Deutsch lernen und eine Arbeit haben. Die Pisa-Studie hat doch gezeigt, dass es einen Zusammenhang zwischen der Bildungspolitik und den Problemen von Jugendlichen gibt, die sich zunehmend der Gesellschaft entziehen.

Also alles nur ein soziales Problem?

Die Gesellschaft muss den Migranten auch ein Gefühl vermitteln, dass sie dazu gehören, dass sie Staatsbürger, dass sie Europäer werden sollen. Viele Politiker vermitteln eher den Eindruck, dass es für sie eine schlechte Nachricht ist, wenn sich jemand einbürgern lassen will. Das beste Beispiel dafür ist dieser Muslim-Test. Wenn ich Innenminister wäre, würde ich genau das Gegenteil machen. Ich würde Familien aufsuchen, die 30, 40 Jahre hier leben und nicht Staatsbürger werden, und sie fragen, warum sie sich nicht zu dieser Gesellschaft bekennen wollen.