Nicht die üblichen Verdächtigen

Vor allem militante Sunniten beteiligten sich an den Angriffen auf ein christliches Viertel und die dänische Botschaft in der libanesischen Hauptstadt. von markus bickel, beirut

Die zweite Anklagewelle fiel gelinde aus für die Angehörigen des im Libanon so verhassten Nachbarlandes. 75 Personen, darunter nur sechs Syrer, klagte der Beiruter Richter Jean Fahd Ende voriger Woche für ihre Rolle beim Angriff auf die dänische Botschaft und die anschließenden Krawalle im Ostteil der libanesischen Hauptstadt an. Unmittelbar nach dem Sturm auf die Vertretung am 5. Februar hatten der Führer der Parlamentsmehrheit, Saad Hariri, und Innenminister Hassan Saaba noch aus Damaskus gesteuerte Provokateure für die Ausschreitungen im christlich dominierten Stadtviertel Ashrafieh verantwortlich gemacht.

Eine Version des Tathergangs, die allzu gut in das seit einem Jahr im Libanon geschürte antisyrische Ressentiment passt. Denn seit dem Mord an dem ehemaligen Premierminister Rafik Hariri, der sich am Dienstag zum ersten Mal jährte, sieht es für Bürger der über Dekaden als arabischer Bruderstaat gepriesenen Regionalmacht schlecht aus. Dutzende, vor allem in der Baubranche ausgebeutete Gastarbeiter wurden Opfer rassistischer Angriffe. Der kleine Grenzverkehr, der vielen syrischen Taxifahrern in ihren alten gelben Chevrolets ein Dasein sicherte, kam zeitweise völlig zum Erliegen.

Von höchster Stelle erfolgte deshalb die Anweisung, möglichst viele Syrer zu verhaften. Das berichteten die Stiftung für Menschen- und humanitäre Rechte und die linke Organisation Hayyabina unter Berufung auf Rechtsanwälte, die einige der Inhaftierten vertreten. Noch während die Krawalle in vollem Gange waren, verhafteten Soldaten und Polizisten in mehreren Unterkünften syrische und palästinensische Gastarbeiter, einige von ihnen noch in ihren Schlafanzügen. Nur so gelang es dem noch am Abend des Botschaftsbrandes zurückgetretenen Innenminister Saaba, die Zahl von angeblich 77 syrischen und 42 palästinensischen Drahtziehern für die Ausschreitungen zu präsentieren.

Der Grund für das Ablenkungsmanöver dürfte der Kampf um das Monopol für die Vertretung der sunnitischen Muslime sein. Rafik Hariri hatte es fest in der Hand, doch seit seiner Ermordung ist die Position des unangefochtenen Führers der nach den Schiiten zweitgrößten konfessionellen Gruppe im Libanon vakant. Während Hizbollah-Generalsekretär Hassan Nasrallah und Parlamentspräsident Nabih Berri die überwältigende Mehrheit des schiitischen Spektrums repräsentieren und auf christlicher Seite der ehemalige General Michel Aoun von der Freien Patriotischen Bewegung sowie der Führer der Forces Libanaises ihre Community vertreten, muss Hariri Junior seine Führungsfähigkeiten erst noch unter Beweis stellen.

Ein schwieriges Unterfangen. Denn das von dem ermordeten Bau- und Medienmogul gepflegte Bild der sunnitischen Gemeinschaft als tolerant, weltgewandt und wirtschaftlich erfolgreich trifft nur auf eine kleine, in Frankreich oder den USA ausgebildete Schicht zu. Die große Mehrheit der in der Provinz oder den Vorstädten lebenden Sunniten aber schlägt sich mit schlecht bezahlten Jobs durch und ist durchaus offen für fundamentalistische Angebote. So steigt seit dem Beginn des Irak-Kriegs die Zahl der Libanesen, die sich den Truppen Abu Musab al-Zarqawis und anderer islamistischer Gruppen anschließen.

Das Vorhaben Hariris, den Tausenden Demonstranten, die aus allen Landesteilen in die Hauptstadt gekarrt wurden, die Möglichkeit zum militanten Protest zu geben, um so sein muslimisches Image aufzupolieren, kann also durchaus scheitern. Dann nämlich, wenn es unter Hariri Senior marginalisierten islamistischen Organisationen wie dem libanesischen Ableger der Muslimbruderschaft, Jamaa Islamiyya, gelingt, den im Parlament vertretenen moderaten Sunniten ihren Führungsanspruch streitig zu machen.