Waldi am Olymp

Die Demütigung des deutschen Sportmoderators Waldemar »Waldi« Hartmann durch Harald »Harry« Schmidt in der ARD ist eine gelungene Selbstdemontage des deutschen Sportjournalismus. von martin schwarz

Von Sportjournalisten kann man eigentlich traditionell nicht viel erwarten. Das ist nicht zwangsläufig die Schuld der Sportjournalisten. Sondern des Sports an und für sich. Denn im Sport gibt es nur zweierlei: Sieg. Oder Niederlage eben. Und dazwischen die eher flachen Gefühlswelten durchtrainierter Körper, deren verbale Ausdruckskraft auf Quietschenten-Niveau dahin grummelt. Und deshalb gibt es nach jedem Skirennen und jeder Rodelpartie die ewig gleichen Interviews mit Siegern und Verlierern. Die ersten »fühlen sich gut«, die zweiten rätseln, »woran’s gelegen sein kann«. Dies wiederum macht meist erst eine »Videoanalyse klar«, die aber eben erst nach den Interviews stattfindet und daher den Erkenntnisstand des Zusehers nicht wesentlich aufpolstert. Also haben sich in den letzten Jahren die Sportreporter noch ein bisschen mehr ausgedacht, um die Emotionen des Zusehers hochzupeitschen angesichts dieser trägen Interviews, die irgendwie alle nach dem Echo-Effekt ablaufen: Die Frage des Reporters baut der Sportler meist einfach in eine Antwort um.

Hochgepeitscht werden die Emotionen des Zusehers daher lediglich durch platten Patriotismus, durch das schmierige schulterklopfende Andocken an den Sportler. Waldemar »Waldi« Hartmann beherrscht diese Disziplin wie kein anderer. Der Bayer steht für alles, was schlechten Journalismus ausmacht. Kein Sportler, der seiner verbalen Kampfkuschelei entkommen kann, kein Trainer, der sich aus Waldis klebrigen Liebesbekundungen entwinden kann. Und: keine Sportlerin, die nach einem Interview mit dem bayerischen Paradeekel keine mentalen Würgemale mustergültigen Macho-Gehabes davon trägt.

Doch jetzt hat Waldi einen Partner bekommen. Einen, den er sich vielleicht nicht gewünscht hat. Einen, den ihm die ARD zur Seite gestellt hat. Vielleicht, um ihn zu entschärfen, vielleicht, um ihn endgültig zu demontieren. Harry. Harald Schmidt. Spät abends nach einem anstrengenden Olympia-Tag moderieren die beiden gemeinsam »Waldi und Harry«, und schon nach der ersten Sendung war klar, dass einer dominiert, dessen Wortanteil eigentlich gering ist: der Schmidt. Wie der Manuel Andrack in seiner eigenen Show sitzt er am Rand der Bühne im deutschen Haus in Sestriere und schaut meist vergnügt zu, wenn Waldi mit seiner legendären Fragetechnik Triumphe feiert. Wie etwa in der Vorwoche bei seinem großartigen Interview mit einem deutschen Langläufer. Der nämlich soll für einen Teamwettbewerb noch Verstärkung bekommen. Und Waldi lief zu Hochform auf: »Wenn dann noch einer kommt, ist das ja auch eine Verstärkung für Dich. Ist das eine Verstärkung?« Was soll man da noch antworten, wenn Waldi sich derart in komplizierte Satzkonstruktionen flüchtet und die Grenzen der Kausalität neu zieht? Dabei bemüht sich Waldi redlich, einen monumentalen Spannungsbogen aufzubauen bei seinen Fragen. Die nämlich leitet er stets mit einem laut vernehmlichen Schmatzen ein. Wenn Waldi schmatzt, dann weiß der Zuseher, dass jetzt das große investigative Repertoire vom Stapel gelassen wird. Überhaupt: der Waldi gibt gerne mal den einen oder anderen Laut von sich. Als Harald Schmidt in einer kleinen Kochshow Schinkenbrötchen bastelt, grunzt Waldi gerne aus dem Off in die andächtige Stille. Vor Amusement. Gegönnt sei es ihm.

Natürlich hatten die beiden Gegenpole Waldi und Harry besonders in der ersten gemeinsamen Sendung Schwierigkeiten, sich aneinander zu gewöhnen. Die beiden in das gleiche Studio zu setzen, ist wohl vergleichbar mit dem Versuch, Franz Beckenbauer und den Dalai Lama zu einem gemeinsamen Campingurlaub zu überreden. Da prallen Welten aufeinander. Zwangsläufig. Nur schlecht fanden die beiden ein gemeinsames Thema, das sie miteinander weiterspinnen konnten in der ersten Sendung: Schmidt versuchte erfolglos, seine Late Night Show einfach von Köln in die italienischen Alpen zu transferieren, Hartmann schien Probleme damit zu haben, eine Moderation mit jemandem realisieren zu müssen, der Fragen nicht in Antworten umpolt, der nicht zum Anfassen und Mentalknuddeln geeignet war. Also begann Schmidt recht schnell zu schweigen. Und Hartmann stoppte den Kollegen bei jeder Gelegenheit mit dem Hinweis auf dessen Millionengage. »Da streift der die ›Mörderkohle‹ ein und sagt nichts.« Geschockt war Hartmann wohl auch, als Schmidt einen der Hauptsponsoren der Sendung ziemlich ungalant abkanzelte: »Waldi, jetzt sülz’ doch bitte nicht so. Sag' doch, dass jetzt die Scheißnummer kommt, die dieser Sponsor uns reingedrückt hat.« Die Scheißnummer ist tatsächlich eine Scheißnummer, so viel ist sicher. Die Gäste der Sendung müssen mit Schneebällen auf eine Zielscheibe werfen, und jeder Treffer bedeutet 1 000 Euro für die deutsche Sporthilfe – und vor allem 30 Sekunden Sendezeit für »Payback«, ein Bonusprogramm im Internet.

Mit jeder Sendung wuchs der Wortanteil Schmidts. Und die Sendung wurde besser. Erträglicher wurden gar Hartmanns zotige Kneipengags – etwa, als er gegenüber einer Sportlerin meinte, sie hätte sich »sicher für Harry freigemacht, äh, hättest dir Zeit genommen«. Darüber grunzt ein Waldi. Darüber staunt der Zuseher und fragt sich manchmal mit Schrecken, ob der auch so ist, wenn die Scheinwerfer ausgeschaltet sind. Einer, der schon als Jugendlicher nur in der Geisterbahn gefahren ist, damit er grapschen kann. Wohltuend sind da Schmidts Repliken auf Hartmanns offensichtlich unstillbaren Hunger nach praller Weiblichkeit: Als das Thema Vogelgrippe auch bis ins Studio nach Sestriere schwappte, entgegnete Schmidt ziemlich lässig, dass bei Waldi »die Hühner ohnehin nicht das Zimmer verlassen dürfen«. Womit eigentlich auch schon geklärt ist, dass der Waldi auch im wirklichen Leben eine Bedrohung für die Seele darstellt.

Gelungen ist das durchaus gewagte Experiment der ARD auf jeden Fall, denn gerade weil die beiden in jeder Sendeminute grandios aneinander vorbei reden, gelingt die wunderbare Demontage von Journalistendarstellern wie Waldemar »Waldi« Hartmann und damit des ganzen deutschen Sportjournalismus. Schon ist geplant, ähnliches bei der Fußball WM im Sommer zu machen, und weil dort die patriotischen Pusteln wohl noch stärker aufplatzen als bei den Olympischen Spielen, könnte es eine Sternstunde deutscher Fernsehunterhaltung werden. Freilich: Auch ein Schmidt kann eine Sendung unter der Leitung eines Waldemar Hartmann nicht retten, aber er kann intellektuelle Blindgänger wie Hartmann immerhin als solche entlarven. Was er bei einer der Sendungen – es ging um die Snowboard-Wettbewerbe – auch recht eindeutig getan hat: »Ich moderiere hier ja nicht in der Halfpipe, sondern mit einer Vollpfeife.« Dem ist nichts mehr hinzuzufügen.