»Wir sind kein Teil der Kulturindustrie«

Blixa Bargeld

Was machen eigentlich die Einstürzenden Neubauten? Im Jahr 2002 begann die Band, sich von ihrer Plattenfirma unabhängig zu machen, und versuchte, ihre neuen Alben über das Internet direkt an die Fans zu verkaufen, und zwar in einer Art Subskriptionsverfahren. Die Unterstützer überwiesen 325 Dollar an die Einstürzenden Neubauten und konnten dafür den Produktionsprozess live im Internet verfolgen. Die CD, die sie dann erhielten, war in den Plattenläden nicht zu kaufen. Inzwischen geht dieses Projekt in seine dritte Phase.

Stefan Wirner besuchte Blixa Bargeld früh morgens in seinem Berliner Büro.

Können wir anfangen?

Ja. Mal sehen, wie es ist, wenn man während eines Interviews aufwacht.

Wie denken Sie über das Mozart-Jahr?

Ich habe bemerkt, dass es ein Mozart-Jahr gibt.

Hat klassische Musik für die Einstürzenden Neubauten jemals eine Rolle gespielt?

Nein.

Befassen Sie sich heute mit solcher Musik?

Ich bin nicht ganz unbeleckt, ich kenne mich ein bisschen aus. Natürlich eher im 20. Jahrhundert und im 21. Jahrhundert, auch da gibt es ja Dinge, die in den Ständer »klassische Musik« eingeordnet werden. Aber ob »befassen« das richtige Wort ist, das weiß ich nicht.

Was hören Sie aus dem 20. Jahrhundert?

Bela Bartok etwa. Ich habe mir gerade »Mikrokosmos« gekauft. Das ist so eine Art Klavierschule. Kleine Stückchen, in deren Titel es um formale Dinge geht. Stücke in bulgarischem Rhythmus, doppelte Arpeggi.

Das Mozart-Jahr ist ja vor allem ein riesiges Geschäft. Es geht um Merchandising, alles, was sonst im Laden stehen bleibt, kann jetzt verkauft werden. Glauben Sie, dass die Einstürzenden Neubauten auch ein Teil dieser Kulturindustrie geworden sind?

Wenn Sie schon das Merchandising erwähnen, dann muss ich sagen: eben nicht. Sonst würde es uns wahrscheinlich finanziell besser gehen.

Die Einstürzenden Neubauten haben eine CD produziert, die von den Unterstützern vorab finanziert wurde, in einer Art Sub­skriptionsverfahren. Sind das Versuche, die Kulturindustrie zu unterlaufen?

Diese CD mit dem Titel »Grundstück« können Sie nicht kaufen. Sie ist nur unseren Unterstützern zugänglich, also nur denjenigen, die vorher subskribiert haben. Sie hat ein richtig aufwendiges Cover, ein Booklet von 24 Seiten, eine DVD gehört auch dazu. Das ist das neue Album der Neubauten.

Es handelt sich um die zweite CD, die auf diese Art entstanden ist, nun haben wir mit der dritten begonnen. Wir haben seither kein öffentliches Album mehr produziert. Als wir das das erste Mal gemacht haben, haben wir ein Album für die Unterstützer gemacht, das »Supporter Album #1«, und dann ein weiteres für die Öffentlichkeit. Bei der zweiten haben wir schon kein öffentliches Album mehr gemacht.

Warum nicht?

Nicht, weil wir die Öffentlichkeit scheuen würden oder weil es unbedingt hermetisch sein soll oder so esoterisch wie möglich. Der Grund ist einfach der: Die Plattenfirma wollte nichts von dem Material, das die Unterstützer schon von uns bekommen haben. Nicht wegen der Qualität des Materials, sie wollte nur eine Platte, die die Unterstützer noch nicht erhalten haben. Wir können da eine ganz einfache ökonomische Rechnung aufstellen und kommen zu dem Schluss: Es lohnt sich für uns, ein Album für die Subskribenten zu machen, ein öffentliches Album lohnt sich nicht.

Handelt es sich um den Versuch, die herkömmlichen Verbreitungswege zu umgehen?

Es ist der Versuch, unsere Musik zu produzieren, ohne dass wir den üblichen Druck des Marktes und der Verwertungsschiene der Plattenfirmen folgen müssen. Man kriegt heute vielleicht 50 000 Euro als Vorschuss. Von dem darf ich nach dem Vertrag die Platte produzieren. Nun haben die Neubauten immer sehr aufwändig produziert. Wir brauchen 50000 Euro, um die Platte aufzunehmen. Das heißt, es bleibt nichts übrig. Null. Wir veröffentlichen eine Platte, sie kommt in die Läden, dann wird ein Strich darunter gezogen, und bei uns kommt Null oder ein Minus raus. Vom letzten öffentlichen Album haben wir annähernd 50 000 Stück verkauft. Weltweit. Und wir haben kein Plus damit gemacht. Umgekehrt kann ich diese Platte mit den Subskribenten machen, noch dazu eine DVD, und es bleibt tatsächlich Geld übrig. Obwohl ich sie nur ein paar Tausend Leuten schicke.

Wie ist das Verhältnis der Neubauten zur Nation und zum deutschen Pop? Sie haben einerseits immer einen recht lässigen Umgang mit deutschen Symbolen gepflegt. Auf dem Album »Fünf auf der nach oben offenen Richterskala« etwa war ein abstürzender Bundesadler zu sehen. Andererseits sind sie in einer Zeit bekannt geworden, als viele Bands selbstbewusst deutsch gesungen haben.

Wir kommen zwar tatsächlich aus einer Zeit, in der das Singen auf Deutsch anfing akzeptabel zu werden. Aber im Gegensatz zu vielen unserer Kollegen waren die Neubauten immer eine sehr international orientierte deutsche Band. Die ersten Touren führten 1982/83 ins Ausland, eine Zeitlang haben wir gar nicht mehr in Deutschland gespielt. Das beschreibt meinVerhältnis zur deutschen Popmusik. Wir haben damit ziemlich wenig zu tun.

Seltsamerweise aber ist meine musikalische Ausbildung deutsch. Da geht es um die Bands Can, Kraftwerk, Neu, nicht zu vergessen Ton Steine Scherben. Als wir jedoch selbst anfingen, Musik zu machen, war das Selbstverständnis der Band eher ein internationales.

In der Musik der Neubauten war immer viel von Berlin, dieser Stadt mit der Mauer, zu spüren. Auch der Müll, aus denen Sie die Instrumente gebastelt haben, hat etwas mit dieser Ruinen­stadt zu tun. Wie sehen Sie heute Berlin?

Ich lebe nicht mehr in Berlin. Ich habe keine Ahnung davon.

Sie waren mit Ihrem Soloprojekt »Rede/ Speech« in den USA auf einer Tournee. Wie ist es denn, zurückzukommen und zu sehen, wie sich diese Stadt verändert?

Es war keine Tour durch die USA. Ich gab sieben Konzerte an der Westcoast. Ich war in San Diego, Los Angeles, San Francisco, Portland, Seattle, Vancouver und Calgary. Davor war ich in Peking.

Wenn ich zurückkehre, sehe ich die Veränderungen immer nur sprunghaft. Ich komme eigentlich nur noch zum Arbeiten hierher. Ich verlasse das Flugzeug und fahre direkt in unser Studio in Wedding. Ich sehe, wie sich Wedding langsam nicht verändert. Wedding bleibt ziemlich gleich.

Wie war denn die Resonanz in den USA auf »Rede/Speech«?

Die Resonanz war gut. Es gibt ja keine Veröffentlichung, die mit diesem Projekt zusammenhängt. Niemand wusste, was ihn oder sie erwartet

Sie haben einmal gesagt, Musik sei eine Mischung aus »Macht, Magie und Wahnsinn«.

Das wird meistens falsch zitiert. Ich akzeptiere diesen Trilogismus auch, aber eigentlich habe ich gesagt »Macht, Magie und Wahrheit«.

Würden Sie heute etwas davon wegnehmen oder etwas dazutun?

Nein. Ab und zu bin ich dankbar, wenn ich mit alten Zitaten konfrontiert werde. An dieses habe ich schon lange nicht mehr gedacht.

Sie haben in verschiedenen Bereichen gearbeitet: Theater, Musik, Literatur. Welcher ist Ihnen am liebsten?

Musik. Immer noch. Ich dilettiere in den anderen Bereichen.