Das perfekte Verbrechen

Als Polizisten getarnt haben Räuber in Großbritannien bis zu 50 Millionen Pfund erbeutet. Es war der größte Bankraub in der Geschichte des Landes. von fabian frenzel, sheffield

Manche Verbrechen sind nicht nur außerordentlich spektakulär, sondern erwecken auch noch große Sympathie beim Publikum. Es gibt eine Moral des »anständigen« Verbrechens und sie lautet, dass es kein unschuldiges Opfer geben darf, dafür aber smarte und letztlich gutherzige Verbrecher vorhanden sein müssen und Opfer, denen es nicht wirklich schadet und denen man es vor allem auch irgendwie gönnt, endlich mal bestohlen zu werden.

Die Bande, die in der vorigen Woche bis zu 50 Millionen Pfund aus einem Depot der privaten Geldtransportfirma Securitas in Tonbridge in der Grafschaft Kent in Südwestengland entwendete, quali­fiziert sich in gewisser Hinsicht für diesen Status. Folgt man den bisher verfügbaren Informationen über den Tathergang, waren die Täter zwar weder mit Robin Hood noch mit Georg Clooneys Gruppe im Film »Ocean’s Eleven« zu vergleichen. Sie haben es aber geschafft, den vermutlich größten Bargeldraub der Geschichte Großbritanniens über die Bühne zu bringen, ohne einen Menschen zu verletzen. Ihre Methode war smart, allerdings auch nicht gerade die feine englische Art.

Verkleidet als Polizisten stoppten sie am Dienstag­abend vergangener Woche zunächst den Manager des Gelddepots, Colin Dixon, auf seinem Nachhauseweg von der Arbeit. Sie nutzten dabei ein normales Auto, an dessen Kühlergrill blaue blinkende Lichter angebracht waren, um dem Wagen den Anschein einer Zivilstreife zu geben. Dixon gab zu Protokoll, die beiden falschen Polizisten hätten ihn aufgefordert auszusteigen, ihn dann mit Handschellen gefesselt und entführt. Etwas später brachten zwei weitere Gangmitglieder die Frau und den neunjährigen Sohn Dixons mit dem gleichen Trick in ihre Gewalt. Nachdem sie der Frau an der Haustür berichtet hatten, ihr Mann sei in einen Autounfall verwickelt worden, liefen die beiden ahnungslos in die Falle.

Mit Frau und Kind in ihren Händen zwangen die Räuber den Depotchef zu kooperieren. Dixon öffnete das Depot und ermöglichte ihnen, durch sämtliche Sicherheitsvorkehrungen direkt zu dem gelagerten Bargeld zu kommen. 15 weitere Mitarbeiter von Securitas, die von der maskierten sechsköpfigen Bande an Ort und Stelle überwältigt und gefesselt worden waren, sahen dann dabei zu, wie die Männer die riesige Menge erbeuteten Bargelds mit Gabelstaplern in einen weißen LKW verluden. Die Geldscheine müssen rund eine Tonne gewogen haben.

Eine Schlüsselfigur zu entführen, die wie Dixon im Sicherheitsbereich einer Bank oder eines Bargelddepots tätig ist, scheint zur bevorzugten Methode bei großen Raubüberfällen zu avancieren, um aufwändige und ausgefeilte Sicherheitstechniken zu überwinden. Diese Technik, die offiziell als »Tiger-Entführung« bezeichnet wird, wurde auch bei dem bisher nicht aufgeklärten Überfall auf die nordirische Nationalbank im Dezember 2004 angewendet (Jungle World, 9/05). Damals erbeuteten die Räuber 26 Millionen Pfund. Die Medien spekulieren nach wie vor über die mögliche Beteiligung der Irish Republican Army (IRA), die auf eine lange Geschichte von Banküberfällen zurückblicken kann. Verhaftet und verurteilt wurden bisher lediglich drei Männer, die keinerlei Verbindungen zu der IRA haben. Allerdings war einer der Täter ein Mitarbeiter der Bank.

Auch im jüngsten Großraub deuten einige Fakten auf eine Beteiligung von Insidern hin.

Zum Zeitpunkt des Raubes waren im Depot mindestens 25 Millionen Pfund der englischen Nationalbank gelagert, die in den Morgenstunden an Geschäfte und Banken in der Region verteilt werden sollten. Darüber hinaus lagerte in dem Depot aber auch eine bisher unbekannte Menge an Geld, welches Securitas von Kunden am Abend zuvor eingesammelt hatte. Die Täter mussten genaue Informationen über die Sicherheitsvorkehrungen und Geldflüsse haben. Die reibungslose Durch­führung des Raubes deutet auf eine präzise Planung und hohe Professionalität der Bande hin. Die Polizei ermittelt auf Hochtouren und hofft, mit der von den Versicherungen ausgesetzten Rekordbelohnung von zwei Millionen Pfund kooperationswillige Zeugen aus dem Umfeld der Täter zu finden. Es ist ihr inzwischen immerhin gelungen, den Tathergang zu ermitteln sowie mehrere der im Raub benutzten Fahrzeuge sicherzustellen.

Im Kontext mit dem Verbrechen wurden bereits sechs Leute festgenommen, zwei Frauen und vier Männer. In den meisten Fällen blieb jedoch der genaue Zusammenhang mit dem Tathergang der Festnahmen zunächst unklar, und die Festgenommenen wurden auf Kaution wieder entlassen. Das gilt auch für eine 41jährige Frau, die versuchte, mit 6 000 Pfund Bargeld aus der Beute in London ein Konto zu eröffnen.

Glaubt man den Aussagen der Polizei, könnte die Geldwäsche eines der größten Probleme der Täter werden. Bei der Beute handelt es sich zum Teil um frisch gedruckte Geldnoten, deren Seriennummern vermerkt sind. Sie dürften daher kaum mehr in Umlauf zu bringen sein. Die Täter scheinen dies bereits erkannt zu haben. Als am vergangenen Samstag einer der Transporter gefunden wurde, mit dem mutmaßlich der Raub durchgeführt wurde, fand man in ihm auch rund 1,3 Millionen Pfund in frisch gedruckten Banknoten. Die Täter hatten sie schlicht zurückgelassen.

Allerdings gibt es bei einem großen Teil der Beute solche Probleme wohl nicht. Die bereits benutzten Banknoten aus dem Raub können zwar nicht en gros bei einer Bank in Großbritannien eingezahlt werden, weil nach den neuen Gesetzen gegen Geldwäsche Bargeldeinladen über 5 000 Pfund gemeldet werden müssen. In den Me­dien wird allerdings ohnehin spekuliert, dass sich die Hauptverantwortlichen des Raubs mit der Beute bereits ins Ausland abgesetzt haben, weil eines der Tatfahrzeuge in Ashford, nahe am Terminal des Kanal-Tunnels, gefunden wurde. Und auf der anderen Seite des Tunnels gibt es, so wusste zum Beispiel ein »Geldwäsche-Experte« in der Tageszeitung Independent zu berichten, von Liechtenstein bis zum Balkan eine ganze Reihe von Möglichkeiten, die Beute in »sauberes« Geld zu verwandeln.

Die Tatsache, dass ein Teil des Geldes von der englischen Nationalbank stammt, löste auch eine Reihe von Leserkommentaren im Internetforum der BBC aus. »Was ist schon ein Raub von einigen Millionen Pfund gegen den ständigen Raub des Staates von seinen Bürgern«, ereiferte sich dort ein Leser. Und im Forum der Tageszeitung Guardian hagelte es klassenbewusste Literaturhinweise von Charles Dickens »Oliver Twist« bis zur »Dreigroschenoper« von Bertolt Brecht: »Was ist ein größeres Verbrechen, eine Bank auszurauben oder eine Bank zu besitzen?«