Patronage, Charisma und Gewalt

Der Historiker Stefan Breuer untersucht in seiner vergleichenden Studie den Faschismus in Deutschland, Frankreich und Italien. von stefan vogt

Der Faschismus kehrt nach Deutschland zurück. Glücklicherweise nicht in der Weise, wie dies gerade in der Linken immer prophezeit wurde. Zwar sind Neonazi-Banden unverändert aktiv, und auch manche fundamentalistische Strömung zeigt Ähnlichkeiten mit faschistischen Ideologien, doch eine Rückkehr des Faschismus als politisch relevante Kraft ist derzeit nicht zu erwarten. Nein, der Faschismus kehrt als geschichtswissenschaftliche Kategorie nach Deutschland zurück, und dies kann man nur begrüßen. Im internationalen Wissenschaftsbetrieb ist die Faschismusforschung seit langem eine anerkannte Teildisziplin. Geprägt von Wissenschaftlern wie George Mosse, Eugene Weber oder Zeev Sternhell entwickelte sich dort eine lebhafte Diskussion um die Ausgestaltung und die Tragfähigkeit dieses Konzeptes. An Deutschland ist diese Entwicklung bisher fast spurlos vorübergegangen, und auch Ausnahmen wie Wolfgang Wippermann bestätigen diese Regel nur. Dies, so scheint es zumindest, beginnt sich nun zu ändern.

Nachdem vor etwa zwei Jahren Sven Reichardts Studie über »Faschistische Kampfbünde« für Aufsehen gesorgt und seinem Autor immerhin eine Juniorprofessur eingebracht hat, hat nun auch Stefan Breuer eine Studie zum Faschismus vorgelegt, mit der er pointiert und kenntnisreich in die Debatte eingreift. Er ist mit mehreren einschlägigen Studien zur Ideologiegeschichte der deutschen Rechten hervorgetreten. In seinem jüngsten Buch unternimmt er eine Analyse des Faschismus in Frankreich, Italien und Deutschland, deren Ziel jedoch weniger ein Vergleich dieser drei Länder denn eine Neudefinition des Faschismusbegriffs ist.

Die Mehrheit der Forscher definiert den Faschismus anhand seiner Ideologie und stellt dabei den Nationalismus in den Mittelpunkt. Roger Griffin etwa bestimmte ihn als »palingenetische Form populistischen Ultra-Nationalismus«. Zeev Sternhell fasste ihn als »Synthese aus organischem Nationalismus und antimarxistischem Sozialismus«. Breuer bestreitet die Tragfähigkeit dieser ideologiegeschichtlichen Konzepte und schlägt stattdessen eine Definition des Faschismus anhand seiner politischen Praxis vor. Dies ist nicht neu, sondern wurde vor allem von Robert Paxton immer wieder programmatisch formuliert, und auch Sven Reichardt sieht sich diesem »praxeologischen« Ansatz verpflichtet.

Neu hingegen ist, dass Breuers Kategorien wie auch deren inhaltliche Bestimmung strikt Max Webers Herrschaftssoziologie folgen. Demnach ist eine Partei eine faschistische, wenn ihre Praxis durch Patronage, Charisma und Gewalt bestimmt ist. Die Studie bemüht sich dann allerdings nicht darum, diese Begriffe am Gegenstand auszuarbeiten. Stattdessen entfaltet Breuer das ideologische Spektrum der faschistischen Bewegungen in Frankreich, Italien und Deutschland, um anhand der unterschiedlichen Varianten von Nationalismus innerhalb dieser Bewegungen zu zeigen, dass die Ideologie keinen einheitlichen Faschismusbegriff begründen kann.

Für die Differenzierungen des Nationalismus greift der Historiker auf die in seinen früheren Werken entfaltete Typologie zurück. Dabei zeigt sich, dass eine an Weber geschulte politische Soziologie durchaus wichtige Einsichten bereit hält. Überzeugend kritisiert Breuer die in der Geschichtswissenschaft bis heute vorherrschende Vorstellung, dass sich der Nationalismus im Laufe des 19. Jahrhunderts von einer linken zu einer rechten Ideologie gewandelt habe. Entscheidend ist vielmehr, dass sich die Einstellung des Nationalismus gegenüber den auf Partizipation drängenden Massen änderte und er diese als eigene Legitima­tionsquelle zu erschließen begann. Dieser »neue Nationalismus« war anschlussfähig für soziale Bewegungen und könnte daher mit einigem Recht auch als »linke« Ideologie charakterisiert werden.

Ebenso kann Breuer zeigen, dass sich innerhalb der faschistischen Bewegungen sehr unterschiedliche nationalistische Ideologien finden. Im Nationalsozialismus etwa macht er einen völkischen Nationalismus, einen neuen Nationalismus und einen Rassenaristokratismus aus, wobei letztgenannter bereits nicht mehr als Nationalismus gelten könne, da der höchste Wert nicht die Nation, sondern die Rasse sei. In Italien treffen linksnationalistische Syndikalisten und rechte Nationalisten der Associazione Nazionalista Italiana mit Anhängern des Futurismus zusammen, die nach Breuers Definitionen wiederum kaum als Nationalisten gelten können. In Frankreich schließlich ist das Spektrum so heterogen, dass es erst gar nicht zur Bildung einer schlagkräftigen faschistischen Partei kommen kann. Ideologie, und insbesondere nationalistische Ideologie tauge also nicht zur Bestimmung dessen, was Faschismus ist. »Der Faschismus«, lautet das Fazit, »ist eben keine Ideologie, sondern ein Aggregat von Ideologien, das durch Faktoren nicht primär ideologisch-weltanschaulicher Art zusammengehalten wird. (…) Faschistische Parteien aggregieren unterschiedliche Strömungen der Rechten, und sie tun dies mittels charismatischer Vergemeinschaftung.«

Dies alles ist nicht zu bestreiten, aber es fragt sich, ob damit einer Definition des Faschismus näher zu kommen ist. Die von Breuer angebotenen »nicht primär ideologisch-weltanschaulichen« Faktoren Patronage, Charisma und Gewalt können kaum als exklusive und schon gar nicht als erschöpfende Merkmale faschistischer Bewegungen gelten. Bereits auf der Ebene der Praxis müssten weitere, vor allem konkretere Merkmale dazu kommen, die insbesondere die Beziehung des Faschismus zu seinem gesellschaftlichen Umfeld beschreiben, etwa die verschiedenen Formen der Kooperation mit den konservativen Eliten. Darüber hinaus lässt sich der Faschismus aber nur verstehen, wenn man ihn in Bezug zum ideologischen Kosmos stellt, in dem er entstanden ist.

Dies ist nun allerdings eine Ebene, die sich mit den Kategorien Max Webers, jedenfalls in der buchstabengetreuen Auslegung Breuers, nicht in den Blick nehmen lässt. Hier kommt es nämlich gerade darauf an, die Zusammenhänge und Übergänge zwischen verschiedenen Varianten des Nationalismus, aber auch zwischen Nationalismus und Rassismus oder zwischen Nationalismus und Sozialismus zu untersuchen. Wenn die einzelnen Bestandteile des Aggregats nur möglichst fein säuberlich voneinander unterschieden werden, anstatt die dynamische Widersprüchlichkeit innerhalb dieses Aggregats in seinem Verhältnis zur Umgebung zu erfassen, dann zielt die Analyse am eigentlichen Gegenstand vorbei. Max Webers Methode erweist sich für Breuer so als ein »stahlhartes« Kategoriengehäuse, in das der Gegenstand gepresst wird und aus dem es dann tatsächlich kein Entrinnen gibt.

Vor diesem Hintergrund erscheinen dann beispielsweise die verschiedenen Strömungen innerhalb des Nationalsozialismus als eigenständige Fraktionen, die nur von der Person Hitlers zusammengehalten wurden. Da der neue Nationalismus der Gebrüder Strasser einer anderen Kategorie angehört als der »Ras­sen­aris­to­kra­tismus« Himmlers, ist es für Breuer ausgeschlossen, dass beide irgendetwas miteinander zu tun haben. Die Frage, ob Nationalismus und Rassismus nicht notwendig zusammenhängen, auch wenn sie unterschiedliche Prioritäten setzen, kann so gar nicht erst aufkommen. Als Erklärung für die zunehmende Radikalisierung des Nationalsozialismus bis hin zum systematischen Massenmord an den Juden bleibt der Historiker dann auch nur der Verweis auf die »Folgeprobleme, die sich aus der militärischen Expansion in Osteuropa ab 1941 ergaben«.

Im Gegensatz dazu bietet etwa die Analyse des französischen Faschismus durch Sternhell ganz entscheidende Erkenntnisse. Auch wenn seine Definition des Faschismus als Synthese aus organischem Nationalismus und antimarxistischem Sozialismus nicht ausreichend ist, so verweist sie doch auf eine ideologische Konstellation, nämlich auf die Annäherung zweier an sich antagonistischer Ideologien, die eine entscheidende Voraussetzung für die Entstehung des Faschismus war. Sternhell stellt dies in den Kontext einer fast das gesamte Europa durchziehenden kulturkritischen Strömung. Diese europäische Dimension des Faschismus, die ihn als Symptom einer Krise der Moderne insgesamt ausweist, wird von Breuer systematisch ignoriert.

Sein Buch ist ein anregender Beitrag zur Diskussion über den Begriff des Faschismus. Vielleicht hilft er, die hierzulande überfällige Diskus­sion in Gang zu bringen. Es zeigt aber erneut, dass mit einer Entscheidung zwischen Faschismus als Ideologie oder als Praxis nichts gewonnen ist. Ebenso wenig ist eine Kategorisierung auf Teufel komm raus, wie sie der Historiker propagiert, geeignet, den Faschismus und den Nationalismus besser zu verstehen. Entscheidend ist vielmehr, beide Phänomene in die Dialektik der Moderne einzuordnen und dadurch auch ihre jeweils eigene Dialektik in den Blick zu nehmen. In seinem Versuch, den kategorialen Zusammenhang zwischen Faschismus und Nationalismus zu widerlegen, hat Stefan Breuer nolens volens einen wichtigen Anstoß dafür gegeben, die inneren Beziehungen zwischen diesen beiden Phänomenen noch eingehender zu untersuchen.

Stefan Breuer: Nationalismus und Faschismus. Frankreich, Italien und Deutschland im Vergleich. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2005, 202 Seiten; 44,90 Euro