Viel Schein, aber keine Scheine

Aus dem Uefa-Cup ausgeschieden, finanziell in Not: Bei Hertha BSC klaffen Anspruch und Wirklichkeit weit auseinander. von jürgen schulz

Sara Goller und Laura Ludwig präsentieren die schöne Seite von Hertha BSC. Die Beachvolleyball-Damen in Diensten des Berliner Mehrspartenvereins tourten im Januar mit Erfolg von Turnier zu Turnier durch Neuseeland. »Ich denke, die hatten wir gut im Griff. Jetzt freuen wir uns auf die Heimat«, verkündete Goller anschließend.

Jubel bei Hertha? Diese beiden Begriffe passen für viele Hertha-Fans nicht mehr so recht zusammen. Davon hätten sie gehört, insbesondere aus dem Mund von Manager Dieter Hoeneß, der sonst den kleinsten Lichtblick zum Vorboten des Urknalls verklärt.

Denn während die Funsportlerinnen gollerplusludwig (so das offizielle Hertha-Label) down under jubelten, waren die daheim gebliebenen Herthaner ganz schön down. Sportlich schienen die Blau-Weißen nach dem Saisonstart in der Bundesliga auf gutem Weg, bis im November Insolvenz­gerüchte aufkamen. Ein Auslöser war der miss­glück­te Auftritt von Herthas Aufsichtsratschef Rupert Scholz im RBB-Fernsehen. Der Staatsrechtler schien in schlechter Verfassung, als er von zehn bis 20 Mil­lionen Euro Verbindlichkeiten der Herthaner sprach.

Nur wenige Monate zuvor hatte sein Verein den Schuldenberg zum 30. Juni 2004 mit fast 35 Millionen Euro angeben müssen, um bei der Berliner Volksbank eine Anleihe über sechs Millionen Euro aufnehmen zu können. Hertha erschien plötzlich als angeschlagene, quasi halbstaatliche Fußballelf, die nicht nur an den Hacken des Gegners klebt, sondern auch am Tropf des Steuerzahlers hängt.

So entließ der Berliner Senat den wirtschaftlich in Schwierigkeiten geratenen Club aus der (defizitären) Betreibergesellschaft für das Olympiastadion, aus der zuvor die insolvente Walter Bau AG ausgeschieden war. Fortan betreibt der Senat die für 242 Millionen Euro modernisierte Arena allein. Hertha ist nur noch Mieter. Sportsenator Klaus Bögers (SPD) Argument für die ungewöhnliche deutsche Sporthilfe lautet: »Eine Kuh, die man melken will, darf man nicht schlachten.«

Das soll wohl heißen, dass Hertha als einzige konstante Einnahmequelle der Sportanlage im Westend gilt. Angeblich sollen Hertha weitere 3,965 Millionen Euro an Zahlungsverpflichtungen von der Landesregierung erlassen worden sein.

Und so hat der Verein gute Chancen, wie in längst überwunden geglaubten Krisenzeiten zum Politikum aufzusteigen. »Der Senat und Senator Böger haben uns erklärt, dass die Zahlungsverpflichtungen erlassen werden müssen, weil die Existenz des Vereins und die Frage der Bundesliga­lizenz auf dem Spiel stehen«, erklärte Jochen Esser, finanzpolitischer Sprecher der Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus. »Die Lizenz war und ist nicht in Gefahr«, beteuerte Herthas allmächtiger Manager Hoeneß, nachdem Ingo Schiller, Finanzchef des Clubs, die Verbindlichkeiten auf 35,2 Mil­lionen Euro beziffert hatte.

Da verging der Basis auf der kurz nach Scholz’ Fernsehauftritt angesetzten Mitgliederversammlung die Lust auf Freibier mit Bockwurst. Einige forderten mehr Transparenz in der Informationspolitik, was der Überbau bisher mit gekonnter Verharmlosungstaktik zu verhindern wusste. Bis die Politik das Rätsel um »Herthas riskantes Finanzgebaren« (Financial Times Deutschland) lüftete.

Kein Wunder, dass einige Spieler im Hertha-Kader der nervösen Vorstandsetage eine Antwort schuldig blieben, als Hoeneß von ihnen zwischen den Jahren einen Besinnungsaufsatz verlangte zum Thema: »Was bedeutet mir Hertha, was kann ich für meinen Arbeitgeber tun?« Vielleicht war der folgende Schreibboykott einiger Kicker Antwort genug für den bloßgestellten Manager.

Hoeneß reagierte nicht weiter auf den Schreibunwillen seiner Angestellten, er muss sich schließlich um viel wichtigere Themen kümmern. Wird doch Hertha neben dem Verein Borussia Dortmund (der einen Finanzcrash mit Mühe verhindern konnte) und dem draufgängerischen FC Schalke 04 neuerdings in einem Atemzug genannt, wenn es um Existenzkrisen im deutschen Profi-Fußball geht.

Da helfen nur Erfolge. Der letzte Triumph der Blau-Weißen aus dem Olympia­stadion datiert jedoch aus der Ära vor gollerplusludwig, als es noch gar kein Olympia­stadion gab: 1930 und 1931 gewann die 1892 gegründete Hertha die deutsche Meisterschaft.

Die Zeichen für einen Aufbruch in eine glorreiche Neuzeit stehen nicht sonderlich gut. Längst träumt auch Hoeneß nicht mehr öffentlich davon, mit der Meisterschale durch das Brandenburger Tor zu stolzieren. Und aus dem Uefa-Cup schied man in der vorigen Woche sang- und klanglos gegen Rapid Bukarest aus.

Mit dem meist mittelmäßigen Gekicke ist in Berlin kaum ein neuer Anhänger zu locken. Der von Hertha erhoffte Zuschauerboom bleibt aus, was stark den Etat belastet. Was tun? Hoeneß schnallt den Gürtel enger. Der Spielerkader soll kleiner und kostengünstiger werden. 50 Millionen Euro hat der Manager seit dem Aufstieg in die Bundesliga im Jahr 1997 in Spieler investiert. Das Resultat ist ein graues Team mit einem einzigen Paradiesvogel: Marcelinho. Doch die Sololäufe des Brasilianers auf dem privaten Parkett sind in jüngster Zeit offenbar schwerer zu stoppen als auf dem Spielfeld. Vielleicht glaubt Marcelinho, er sei Hertha keine Leistung schuldig, weil seine Transferrechte als Sicherheit bei einer Bank hinterlegt sind.

Seine Landsleute Alves und Luizao musste Hoeneß, wie zahlreiche andere Einkäufe, unter der Rubrik »teure Transferflops« verbuchen. Dass der Manager bei seinen Erklärungsversuchen schon mal klingt, als habe er die Fehler eines virtuellen Vorgängers auszubaden, macht die Sache nicht leichter.

Auch seine zutreffende Bemerkung, der Crash des Kirch-Imperiums habe die TV-Honorare in der Bundesliga schrumpfen lassen und trotzdem sei die Infrastruktur von Hertha modernisiert worden, lassen Kritiker nicht verstummen. Sie halten Hoeneß für überfordert. Die Kunst des Delegierens sei dem Schwaben mit dem sonderbaren Humor (»Ich bin ein teamplayer«) völlig fremd, mäkeln die, die ihn kennen.

In seinem Vorsatz, dem großen Bruder Uli bei Bayern München nachzueifern und in Berlin eine eigene Erfolgsstory zu schreiben, droht Dieter gefährlich vom Kurs abzukommen. »Fabelhafte Finanzen« nennt der Tagesspiegel ironisch Herthas monetären Zustand. Viel Schein – aber keine Scheine. Berlins Profi-Club habe seine Zukunft fahrlässig verpfändet, heißt es. Und die Hinweise darauf häufen sich: In einem »sale-and-lease-back«-Deal hat Hertha vor drei Jahren die Rechte an Logen, Skyboxen und Business-Seats im Olympiastadion abgetreten. 15 Millionen Euro flossen in die Klubkasse. Als Leasingrate stehen der »AGV Vermarktungsrechte Vermietungsgesellschaft« bis 2010 pro Jahr vier Millionen Euro zu.

Auch Herthas Vermarktungspartner »Sportfive« will Geld. Die Hamburger Agentur bekommt 20 Prozent der Erlöse aus dem Verkauf der Sponsoring- und Fernsehrechte an Europacup-Partien der Berliner. Die Hanseaten kassieren zudem ein Fünftel der Einnahmen des Clubs aus den Bundesliga-Fernsehrechten. Vertraglich sind beide Partner bis 2014 aneinander gebunden. Und noch ein Vertrag wurde gerade verlängert. Dieter Hoeneß unterschrieb einen bis 2010 befristeten Arbeitsvertrag. Danach will er angeblich keinen Club mehr übernehmen.