Wir war’n die Kinks

Vor 40 Jahren war die größte Zeit der Kinks. Ihr ehemaliger Anführer Ray Davies musiziert neuerdings wieder. von thomas blum

Der überraschend schlanke Mann, der mit behendem Schwung die kleine Bühne der Bristol Bar im noblen Hotel Kempinski betritt, trägt eine getönte Hornbrille, die sich in ästhetischer Hin­sicht in einem auffallenden Gegensatz zu seinem unauffälligen Jackett befindet. Und erst als er die Brille später hie und da zwischendurch abnimmt, erkennt man den sichtlich gealterten Ray Davies, der bedauerlicherweise noch immer dieselbe Voku­hila-Frisur zur Schau trägt wie seit eh und je, an seinen Augen. 61 Jahre ist er jetzt alt. Fotos und Tonaufnahmen dürfen an diesem Abend keine gemacht werden. Und auch Fragen zu einer gewissen Popgruppe sollen nicht gestellt werden.

Der in seiner ehemaligen Band als stählerner Diktator verschriene Ray Davies ist in seiner primadonnenhaften Manier offenbar derselbe geblieben.

»Won’t you tell me, where have all the good times gone?«, sang er in den sechziger Jahren. Und an den Namen der Band, die er über dreißig Jahre lang zusammen mit seinem Bruder Dave bzw. im ununterbrochenen Dauerstreit mit ihm betrieb, kann sich heute kaum jemand mehr erinnern: The Kinks. Und das, obwohl die Jungs damals, 1964, das bis dahin härteste Stück Popmusik kreiert hatten, ein Teenage Love Song ohne den zeittypischen klebrigen Romantizismus, der im Grunde bloß auf einem wunderbar simplen, mitreißenden Gitarrenriff beruhte, das bis heute tausendfach kopiert wur­de und ohne das es so etwas wie Hardrock heu­te gar nicht gäbe. Die Platten­firma hielt den Song, der »You really got me« hieß, für unverkäuflich und wollte der Band das Aufnahmestudio verweigern. Angeblich, so geht die Legende, stritten sich Dave Davies und der damals an den Aufnahmen beteiligte Studiomusiker Jimmy Page (später Led Zeppelin) lange Zeit darüber, wer von beiden dieses Riff erfunden habe.

Damals hat Ray Davies einen der anrührendsten Songs in der Popgeschichte geschrieben, der zu den »unvergesslichsten drei Popminuten der Sechziger« (Uwe Schütte) gehört: »Waterloo Sunset«. Noch ein anderes Lied von ihm ist vor vielen Jahren ins kollektive Gedächtnis eingegangen und fris­tet dort seither zu Unrecht ein Dasein als Bierseligkeitshymne und Mitbrüllschlager. »Lo-la, Lo-lo-lo-lo-Lo-la«. Jeder kennt das, doch die wenigsten wissen, worum es in dem Song geht, und dennoch oder gerade deswegen wurde er Jahrzehnte lang als eine Art Gassenhauer auf jeder Party gespielt, zum Mitgrölen, und die meisten schwenkten dazu grinsend und ahnungs­los ihre Bierdosen. Es ist traurig, dass die Band, deren bekannteste Songs viele kennen, ohne zu wissen, von wem sie stammen, immer als zweitklassig betrachtet wurde.

Die Geschichte der Popmusik ist die Geschichte vom Tod des Rock’n’Roll: Nach den Rolling Stones werden heute zu Recht abgrundtief hässliche, deut­sche Mittelklasseautos benannt, die Beatles sind Ge­schichte, und auch Pete Townshend von The Who erinnert sich dieser Tage vermutlich nur ungern an den schönsten Vers, den er in den Sechzigern ge­schrie­ben hat: »Hope I die, before I get old.«

Auch die Kinks existieren seit etwa zehn Jahren nicht mehr, obwohl es niemals so etwas gegeben hat wie eine offizielle Auflösung der Gruppe.

Sie haben eine wechselvolle Geschichte hinter sich und haben oft die richtige Platte zur völlig falschen Zeit herausgebracht. Der­selben R’n’B-Tradition anhängend und da­raus eine rebellische white boy music erzeu­gend wie die Rolling Stones, war ihnen nie der große Erfolg beschieden, obwohl oder gerade weil Ray Davies die klügeren und anspielungsreicheren Texte fabrizierte, eine Art sarkastische und gelegentlich ins politisch Reak­tionäre spielende Sozialkritik, weitab vom großmäuligen Machogehabe der Stones.

Als alle anderen verbotene Substanzen rauchten oder ein­nahmen und auf ihren Platten knallbunte Phan­tasieuniformen trugen, veröffentlichten die Kinks sonderbare, ambitionierte und gesellschaftskri­tische Konzeptalben, auf denen es nicht einen einzigen Hit gab und auf welchen skurrile Geschichten aus dem britischen Kleinbürgertum erzählt wur­den.

Zu einer Zeit, in der durch den Punkrock und seine Folgen die Musikindustrie umgekrem­pelt wurde und Bands wie etwa The Jam, aus Verehrung für dessen Songwritertalent, die Stücke von Ray Davies coverten (»David Watts«), begannen die Kinks selbst unglückseligerweise gar damit, einen wenig beeindruckenden, knödeligen Blues- und Mainstreamrock mit austausch­baren Gitarrensoli zu spielen, um in den USA ein kommerzielles Comeback zu forcieren. Und natürlich das Übliche: Imageprobleme, Plat­ten­firmen­wech­sel, mittelmäßige Alben, fort­gesetztes und kräftezeh­rendes Touren auf kleinen Bühnen, un­unterbrochenes Dauergezank der rivalisierenden Gebrüder Davies im Studio und auf offener Bühne, mangelnde Anerkennung bis heute. Ein ehemaliger Bassist, Andy Pyle, verließ die Kinks frustriert nach kurzer Zeit wegen des permanenten, aggressiv ausgetragenen Streits der Brüder: »Der Grund, warum sie nicht ganz oben sind wie die Beatles, die Stones und The Who, sind ihre dämlichen arse games.« Ray Davies sah das anders: »Die Leute haben immer gesagt, dass die Kinks niemals durchhalten würden. Aber wir haben die albernen Sechziger überlebt, die schäbigen Siebziger und die gehässigen Achtziger.« Vor zehn Jahren wurden die Medien noch einmal kurzzeitig aufmerksam, als Damon Albarn von Blur die Kinks und Ray Davies als äußerst wichtig für seine musikalische Entwicklung bezeichnete.

Die meisten Leute, die in die kleine Ber­liner Bristol Bar gekommen sind, kennen Ray Davies, der an diesem Abend für sein nun bereits seit Jahren angekündigtes Soloalbum »Other People’s Lives« Reklame machen soll, vermutlich von früher, aus einer längst vergangenen Zeit, in der die Popmusik noch jung war und die Kinks eine der einflussreichsten Rockbands waren. »Hier ist kaum einer unter Dreißig«, flüstert der weißhaarige, dicke Mann vor mir verwundert seinen etwa gleichaltrigen Sitz­nachbarn zu, die lässig in den bereitgestellten Ledersesseln lümmeln.

Einige Takte aus »Waterloo Sunset« spielt der gealterte Songwriter anfangs auf seiner akus­ti­schen Gitarre, um schließlich grinsend und abrupt abzubrechen und ein paar neue Stücke vorzustellen, die im Laufe der letzten Jahre in den USA, in New Orleans, entstanden sind, wo er, wie er sagt, seine musikalischen Wurzeln zu erforschen gedachte: Jazz, Bluegrass, Country. Zu hören ist auf seinem neuen Album aber fast durch­gängig ein gänzlich uninspirierter Klamp­fenrock in gemächlichem Schunkeltempo, fast rührend in seiner Antiquiertheit, mal dylanesk­wüs­ten­­rockig mit Gitarrengetwange, mal pubrockig, stets jedoch langweilig. Dazu erklingt Davies’ typischer variationsarmer Näselgesang. Was seinen altbackenen Musikstil angeht, ist der Mann wohl unrettbar das Relikt einer vergangenen Ära.

Wenigstens aber sind da immer noch der Hass und das Unbehagen, die Davies einmal als die Antriebe für sein Schreiben bezeichnete. Seine bitter-ironischen Texte sind die alten geblieben. Reisen? »I’m just another tourist, checking out the slums / With my plastic visa, drinking with my chums«. Medien? »I can’t believe, what I just read / Excuse me, I just vomited«. Trennung? »It’s over for us to tell you the truth / And my new man is a vegetarian, he laughs a lot, not like you.«

Am Ende seines Reklameauftritts, seine neue Plattenfirma lobend, hält er noch ein kur­zes Plädoyer gegen die großen Konzerne in der Musikbranche. Was seinen über Jahrzehnte wechselnden Erfolg und seine Erfahrung mit der Musikindustrie anginge, habe er schon zahlreiche punches einstecken müssen. Er komme sich vor wie Muhammad Ali in seinem Box­weltmeisterschaftskampf gegen den jungen George Foreman. Die großen Firmen und die tastemakers vom New Musical Express seien Schuld daran, dass alles immer gleich klinge und gute Musik so selten sei. Man darf getrost sagen, dass Ray Davies ein Kulturkonservativer ist.

Ray Davies: Other People’s Lives (V2)