Die Fehlfarbe

Critical Whiteness Studies haben sich im US-amerikanischen Wissenschaftsdiskurs etabliert. Ein Sammelband über Ansätze des Weißseinskonzepts in Deutschland. von anke schwarzer

Luise aus »Kabale und Liebe« oder Emilia Galotti, dargestellt von einer schwarzen Schauspielerin? Fehlanzei­ge. Der hiesige Theaterbetrieb ist nicht in der Lage, klassische Rollen des bürgerlichen Trauerspiels mit schwarzen Künstlerinnen zu besetzen. Nismat Cherat schil­dert in »Mythen, Masken und Subjekte«, einer Anthologie zum Thema kritische Weißseinsforschung in Deutschland, an der über 40 Autorinnen aus verschiedenen Disziplinen mitgearbeitet haben, ein­drucksvoll die üblichen Auswahlver­fahren an deutschen Theatern. Die Schau­spielerin schreibt: »Für schwarze KünstlerInnen ist es besonders schwer, sich außerhalb der gängigen Klischees zu bewegen, da wir meistens dann zum Einsatz kommen, wenn es da­rum geht, politische oder soziale Missstände aufzuzeigen.« Nur selten erfolge ein Engagement aufgrund ihres Talents und ihres Könnens oder weil sie interessante und vielseitige Schau­spielerInnen sind, meist gehe es um äußere Merkmale und die Idee, dass sich mittels der Hautfarbe etwas ganz Bestimmtes erzählen lässt, so Cherat. Sie versteht die Bezeichnung »Weiße und Schwarze Menschen« nicht im Sinne einer essenzialistischen Kategorie, son­dern als politische Strategie, mit der sich das Herrschaftsverhältnis sprachlich markieren lässt.

In weiteren Beiträ­gen nähern sich die Autorinnen Facetten des bundesrepublikanischen Alltags. Wa­rum gibt es so we­nige schwarze Anwälte? Welchen historischen Hintergrund haben schwarze Frauen in Pflegeberufen? Auf welchen Widerstand stoßen kritische Schwarze an deutschen Universitäten? Und warum werden angehende schwar­ze Therapeuten über ihre Haltung, ihre Distanz zu schwarzen und weißen Klienten befragt, weiße jedoch nicht? Zu den Highlights des Buches zählen sicher auch Hito Steyerls Überlegungen zur Farb­philo­sophie des Kunstbegriffs, die um die binäre Auffassung des White Cube (neutraler, weißer Ausstellungsraum) und der Black Box (schwarzer Kinosaal) kreisen, sowie Maria do Mar Castro Varelas und Nikita Dhawans Auseinandersetzung mit dem Wunsch nach Weißsein und der Beliebtheit hautbleichender Cremes. Dabei diskutieren sie den Begriff der Mimikry, den sowohl der Befreiungstheoretiker Frantz Fanon als auch der postkoloniale Theoretiker Homi Bhabha verwendet, wenn auch beide dies mit unterschiedlichen Intentionen tun.

Nicht immer ist der Fokus der Texte auf die Konstruktion des Weißseins ge­richtet. Einige Beiträge untersuchen klassische rassistische Ausgrenzungsmechanismen, indem sie die Konstruktion »des Anderen« in den Blick nehmen. Andere Ar­tikel richten ihr Augenmerk auf die »wei­ßen Flecken« und zeigen, wie sich Weißsein als Norm beständig, aber im Alltag weitgehend unbemerkt herstellt. Dazwischen mischen sich Ausführungen zu schwar­zen Widerstandstechniken und Anpassungsbestrebungen. Insofern verschwimmen in dem Buch – vielleicht notwendigerweise – diese verschiedenen Ebenen, und die Trennschärfe bleibt schwach.

Trotz der Erkenntnis, dass es keine Men­schenrassen gibt, muss der Tatsache, dass sich unterschiedliche sozialpolitische Iden­titäten herausgebildet haben, Rechnung ge­tragen werden, so lautet der Tenor der vier Herausgeberinnen. Das Rassenkonzept hat soziale, ökonomische, psychologische und politische Fakten geschaffen, die hartnäckig die Wahrnehmung der Welt strukturieren. Um diesem Herrschaftsverhältnis emanzipatorisch zu begegnen, hülfen Farbenblindheit und die Auffassung: »Ich sehe keine Unterschiede, für mich sind alle Menschen gleich«, nicht weiter, schreibt Fatima El-Tayeb. Oft würden die »Unterschiede« implizit als natürlich angenommen, über die in dem liberalen Diskurs so großzügig hinweggesehen werde. Deren Herstellungsprozesse gerieten so aus dem Blick, Ursachen und Konsequenzen dieses Rassifizierungsprozesses, die sich nicht auf diese »Unterschiede« zurückführen lassen, könnten dann nicht mehr benannt werden, so El-Tayeb. Genau das zu untersuchen, ist Gegenstand der Kritischen Weißseinsforschung. Die Frage allerdings, was aus der Markierung und der Offenlegung verschiedener Dominanztechniken des Weißseins ­resultiert, vor allem für weitere poli­tische Interventionen, bleibt in dem Buch unklar.

Die kritische Weißseinsforschung sei älter als die akademischen Analysen der letzten 15 Jahre, sagen die Herausgeberinnen. Die Erforschung der Weißen ist schon lange eine Über­lebens­stra­tegie von kolonialisierten schwarzen Subjekten, die aber wenig be­achtet wird. »Diese Daten und Deu­tungen wurden vermittelt und tradiert in Sprichwörtern, verschlüsselten Predigten, Parabeln, Witzen über Weiße, in Liedgut (Blues, Spirituals), in Le­genden und Erzählungen und vor allem im erzieherischen Sprechen«, schreibt Maureen Maisha Eggers. Die Herausgeberinnen kritisieren nicht nur, dass schwarzes Wissen in der Weißseinsforschung marginalisiert wird. Sie befürch­ten zudem, dass weiße Akademiker schwar­ze Autoren instrumentalisieren und für ihre Arbeiten vereinnahmen.

Zentrales Konzept dieses dicken und dicht bedruckten Bandes ist es deshalb, vor allem schwarze Perspektiven zu versammeln. Die vier Ein­führungsbeiträge der Herausgeberinnen umreißen das Thema Weißsein und untersuchen verschiedene Problema­tiken, etwa die Annahme einer (willent­lichen) Überwindbarkeit des Weißseins, die aber ungewollt die eigentlichen Privilegien fortschreibe. Sie schildern auch die üblichen Einwände und weiße Abwehrstrategien ge­gen das explizite Markieren des Weiß­seins. So werde beispielsweise häufig an­geführt, dass in Deutschland doch nicht alles so »schwarz-weiß« sei, da die Kolonialzeit nur kurz gewesen und die Präsenz schwarzer Menschen, etwa im Vergleich zu den USA, gering sei. Außer­dem sei es in Deutschland vor dem Hin­ter­grund der NS-Geschichte falsch, die weiße Hautfarbe eigens zu betonen, das erinnere schließlich an die Konstruktion des »Ariers« im Nationalsozialismus. Schließlich erwähnen sie auch das Argument, weiß sei doch nicht gleich weiß, man müsse doch die soziale Ungleichheit berücksichtigen, denn nicht alle Wei­ßen übten Herrschaft aus. Neben den wissenschaftlichen Texten werden auch Poems und Bilder präsentiert.

Maureen Maisha Eggers, Grada Kilomba, Peggy Piesche, Susan Arndt (Hg.): Mythen, Masken und Subjekte. Kritische Weißseinsforschung in Deutschland. Unrast Verlag, Münster 2005, 540 Seiten, 24 Euro