»Die Hizbollah hat viele Pseudonyme«

lokman slim über libanesische Machtkämpfe und den Einfluss Syriens

Der Libanese Lokman Slim ist Verleger und Regisseur, sein Dokumentarfilm »Massaker« über die palästinensischen Flüchtlingslager Sabra und Shatila erhielt auf der Berlinale 2005 den Fipresci-Preis der Filmkritik. Er ist Mitgründer der linkssäkularen Organisation Hayyabina.

Ein Jahr nach den Massenprotesten gegen die Präsenz syrischer Truppen kam der Libanon in westlichen Medien schlecht weg: Welche Kräfte standen hinter dem Anschlag auf das dänische Konsulat in Beirut Anfang Februar?

Man kann die Beteiligung palästinensischer oder syrischer Provokateure an der Demonstration sicher nicht ausschließen. Wichtiger ist, dass Saad Hariri, der Sohn des vor einem Jahr ermordeten Rafik Hariri, behauptete, es gebe eine von außen gesteuerte Verschwörung gegen den Libanon. Wichtig für Hariri und für die politische Kultur des Libanon, wenn nicht der arabischen Welt allgemein, ist der Verweis auf Verschwörungen.

Über Jahrzehnte haben arabische Regimes ihre Bevölkerung mit Hinweis auf die so genannte israelische Bedrohung unterdrückt. Auch die Hizbollah behält ihre Waffen mit Verweis auf die so genannte israelische Gefahr. Was dadurch unter den Tisch fällt, ist, dass wir unser eigenes politisches Leben aufs Spiel setzen, unter dem Vorwand einer syrischen Verschwörung. Denn wenn 200 eingeschleuste ausländische Provokateure wirklich so stark sein sollten, das ganze Land zu bedrohen, dann war der »Beiruter Frühling« eine Lüge.

Nach dem Mord an Rafik Hariri fielen weitere Kritiker des syrischen Regimes Anschlägen zum Opfer. Wer, wenn nicht syrische Gefolgsleute, soll dahinter gestanden haben?

Natürlich nutzten die Anschläge Syrien, nicht zuletzt, weil die Regierung so die Behauptung aufrechterhalten kann, der Libanon sei unfähig, sich um seine eigenen Angelegenheiten zu kümmern. Aber es macht einen großen Unterschied, ob man sagt, dass Syrien von solchen Anschlägen profitiert, oder ob man Syrien für selbst geschaffene Probleme verantwortlich macht. Da lügt man sich in die eigene Tasche.

Verbindet die »Kräfte des 14. März« außer dem gemeinsamen Feindbild Syrien nichts?

Ich würde sagen: nicht viel.

Während Saad Hariris Führungsanspruch in der sunnitischen Bevölkerungsgruppe umstritten ist, muss sich der Generalsekretär der Hizbollah, Hassan Nasrallah, um Konkurrenz aus dem schiitischen Spektrum keine Sorgen machen. Warum lässt er sich auf einen Deal mit dem Maroniten Michel Aoun ein?

Das Abkommen hilft beiden Seiten. Da sowohl die Hizbollah wie auch Aouns Freie Patriotische Bewegung eine eher flexible Politik betreiben, erlaubt ihnen der Pakt über eine nationale Verständigung weitere Manöver – ohne der anderen Seite weh zu tun.

Aouns Ziels ist klar: Er will Präsident werden, und da seine Partei nicht so gut organisiert ist wie Nasrallahs Organisation und er außerdem nicht der einzige Vertreter der Maroniten ist, sichert er sich so muslimische Stimmen. Die Hizbollah hingegen versucht, möglichst viele Optionen zu bewahren, vor allem auf internationaler Ebene. Da kann ihnen die Unterstützung aus dem christlichen Spektrum nicht schaden.

Wird die iranische Führung versuchen, die ­Hizbollah für ihre Ziele einzusetzen?

Diese Möglichkeit ist gegeben, doch verfügt die Hizbollah schon heute über genügend Mittel und Pseudonyme, um terroristische Aktionen auszuführen, ohne dass diese als libanesische Aktionen erkennbar würden. Das heißt, dass es die Organisation sehr geschickt geschafft hat, sich verschiedene Identitäten zu geben.

interview: markus bickel