Ein Bett im Kornfeld

Terrence Malick verliert sich in seiner Verfilmung des Pocahontas-Mythos »The New World« im Naturkitsch. von esther buss

Pocahontas ist ein großer Hit in der amerikanischen Mythengeschichte. Die Legende der indianischen Häuptlingstochter als Rettungsengel des gefangenen Captain John Smith ist in zahlreichen amerikanischen Schulbüchern zu finden, wurde 1957 von Peggy Lee in dem Song »Fever« besungen, und auch Walt Disney ließ bereits das quirlige Indianermädchen in Begleitung des Wasch­bären Meeko und des Kolibris Flit durch animierte Wälder streifen.

Populärmythologische Stoffe wie dieser stehen auf einer gefährlichen, aber nicht uninteressanten Kippe: Wenn das Klischee einfach nur noch mal durchgekaut und damit unnötig strapaziert wird, bleibt wieder nur das Klischee übrig und nervt hinterher noch mehr als zuvor, aber wenn es gelingt, aus dem scheinbar Abgeleierten eine neue Erzählung entstehen zu lassen, kann gerade das der Clou sein. Bei »The New World« von Terrence Malick hätte man das zweite erwartet. Immerhin wusste er mal, was ein Mythos ist, wie dieser zusammengebaut ist und wie man ihn auf subtile Art und Weise zerlegt. Sein Regiedebut von 1973, »Badlands«, ist einer der Filme New-Hollywoods, die man sich immer wieder gerne ansieht. Der Film erzählt von Holly und Kit – einem eher tristen Gegensatzpaar zu dem romantischen und glamourösen Supercouple Bonnie und Clyde. Martin Sheen als James-Dean-Fake und Sissy Spacek als seine Gefährtin verkörperten eine seltsam phlegmatische Version des Outcast-Mythos, eine Anti-Amour-Fou, die ins Hypnotische abdriftet.

Auf ihrer Flucht versteckt sich das Paar in den unwirtlichen Wäldern der Badlands. Man sieht Gräser und Wolkenfelder, Echsen, Schlangen und andere Tiere in Großaufnahme. Die Natur bekommt hier ein Eigenleben und überführt den Film in eine mythische Ebene.

Die hoffnungslosen Bilder der Badlands sind das genaue Gegenstück zu den Aufnahmen der Neuen Welt, wie sie uns Malick nun präsentiert. Er zeigt ein Paradies, unberührt, vital und gesund. Die Kamera genießt die Schönheit der Natur, in der sich die In­dianer ballettartig bewegen und Pocahontas im natürlich sexy Ledermini umherspringt wie eine junge Waldfee aus einem Märchenfilm. Es gibt keine Unterscheidung zwischen der Natur und ihren Bewohnern, den Indianern. Alles ist Unschuld.

Doch die hat bald ein Ende. 1607 segeln drei britische, von der London Virginia Company beauftragte Schiffe in die Neue Welt. Sie landen nahe der Mündung des James River in Virginia. Die Kolonisten gründen dort die Siedlung James­town, sie sind schlecht ausgerüstet und nicht in der Lage, sich an die Gegebenheiten der Natur anzupassen, suchen hungrig nach Gold, anstatt die Böden zu bestellen. Captain John Smith, ein von Colin Farrell gespielter, aufmüpfiger Glücksritter, wird bei seinem Auftrag, Proviant zu suchen, von den Algonkin-Indianern gefangen genommen. Die Legende berichtet, dass er von der Tochter des Häuptlings Powhatan ge­rettet wurde, der sich eben anschickte, ihn mit Keulen erschlagen zu lassen.

Der Mythos basiert auf wenigen historischen Quel­len, im Wesentlichen auf den Aufzeichnungen des Cap­tain John Smith. Diese gehören zu den interessantesten Zeugnissen der Kolonisation Nordamerikas, denn verschiedene literarische (bzw. dokumentarische) Genres treffen hier aufeinander. Zum einen hat man es mit einer frühen Form der Auto­biographie zu tun, mit dem Ziel, sich in die Neue Welt einzuschreiben, zum anderen mit der »captivity narra­tive«, einer Erzählung, die von der Gefangenschaft bei den Indianern berichtet. Diese meist erst Jahre später in der Freiheit geschriebenen Texte sind nicht nur wichtige his­torische Dokumente – häufig mit dem Anspruch, quasi-ethnologische Berichte über Sitten und Gebräuche der Eingebore­nen zu liefern – , sondern auch aufschlussreich im Hinblick auf die Geschichtsschrei­bung.

Man kann Malick nun nicht vorwerfen, dass er nicht an der Zerstörung der schönen Pocahontas-Legende interessiert sei. Es geht ihm um eine Feier der Natur, der Liebe und des Überirdischen. Wie bereits in seinen früheren Filmen stellt die Natur eine Art Spiegel des menschlichen Wesens dar. So verwundert es nicht, dass bei den Indianern alles vor Leben strotzt, während das Lager der Engländer schon nach kurzer Zeit kränklich und heruntergekommen aussieht. Einzig Smith hat eine Verbindung zur Natur, verwandelt sich ihr an und wird – natürlich wegen seiner Liebe zu Pocahontas – »native«. Sein Blick auf die Indianer fällt völlig mit dem Blick des Films zusammen. Wenn Smith über die »edlen Wilden« sagt, sie seien »sanft, lieb und treu«, dann gibt es jedoch keine Ebene, die das als stereotype Zuschreibung ausweist. Malick versucht, die Natur als allumfassende Größe einzuführen, als habe ihm der Transzendentalis­mus eines Ralph Waldo Emerson als Vorbild gedient. Doch was dieser in seinem berühmten Essay »Nature« beschwört, geht bei Malick nicht auf. Virginia ist zwar wunderschön fotografiert, sieht aber aus wie ein gepflegtes Naturschutzgebiet – hinter der Oberfläche der Gräser, der Blätter, des Wassers ist nichts Mystisches oder Überirdisches zu entdecken.

Und weil das so ist, muss der Film seine Idee von der göttlichen Natur, die in der unendlichen Liebe ihre Entsprechung findet, immer wieder durch penetrante Off-Texte von Smith und Pocahontas breittreten. Schmachtende Liebeserklärungen mischen sich mit verkitschten Naturbeschreibungen. Die erste Begegnung findet dann auch über die Ver­sprachlichung von Natur statt. Pocahontas möchte von Smith die englischen Worte für Wasser, Himmel, Wind und Sonne wissen, und da funkt es auch schon zwischen den beiden.

Hat man im ersten Teil des Films die zunehmende »Indianisierung« Smiths beobachten können, findet nun die Zivilisierung Pocahontas’ statt. Sie wird 1613 von den Kolonisten als Geisel für englische Ge­fangene ihres Vaters genommen, schließlich von Powhatan ganz der Kolonie vermacht und mit dem sanften Tabakbauer John Rolfe verheiratet. Es ist die erste registrierte transatlantische Ehe zwischen einer Indianerin und einem Angelsachsen. Die Verbindung Pocahontas-Smith bzw. Pocahontas-Rolfe erscheint hier wie eine beispielhafte Demonstration der These Claude Lévi-Strauss’, der »Frauentausch« sei die Grundlage eines Bündnisses zwischen zwei Gruppen, die Ehe also ein Verhältnis der Tausch­ökonomie. Pocahontas lernt nun die Sprache der Engländer und wie man in hochhackigen Schuhen läuft, und sie wird im christlichen Glauben unterwiesen. Der Film beobachtet ihre Domestizierung seltsam teilnahmslos und widmet sich stattdessen ihrer Trauer um den Verlust des Geliebten. Nur ab und zu bricht das Indianermädchen aus ihr heraus, und sie schlägt fröhlich ein Rad auf dem frisch bestellten Feld.

Im Jahr 1616 bricht das Ehepaar mit dem gemeinsamen Sohn zu einem Besuch Englands auf, wo Pocahontas am englischen Hof empfangen wird. John Rolfe hatte den Auftrag bekommen, einen enthusiastischen Bericht über die neue Kolonie zu verfassen, um damit neue Siedler anzuwerben. In England entwirft Ma­lick ein ganz entgegengesetztes Bild von Natur, das in seiner Zurichtung und Leblosigkeit wirk­lich etwas über die Figuren zu erzählen vermag. Wie ein Fremdkörper bewegt sich Pocahontas, inzwischen als Prinzessin Rebecca christ­lich getauft, inmitten der streng nach geometrischen Formen gestutzten Bäume und Hecken der Landschaftsgärten. Sie will nach Hause, überlebt aber die Überfahrt nicht und stirbt im Alter von 22 Jahren, wahrscheinlich an einem Grippevirus.

Die Kamera geht aber noch einmal zurück in die Neue Welt, die die Alte Welt Pocahontas’ ist, und gibt damit das Naturkind der geliebten Mutter Erde zurück. Man möchte diesen Naturbrei herunterspülen, am liebsten mit einer der magischsten Szenen aus »Badlands«: Martin Sheen und Sissy Spacek tanzen da nachts inmitten der gottverlassenen Einöde einen letz­ten, sehr einsamen Tanz.

The New World (USA 2005), R: Terrence Malick. ­Bereits angelaufen.