Lasst es krachen!

Hardcore ist die vom Popdiskurs gemiedene Nische. Monochrome hält sie erfolgreich besetzt. von roger behrens

Hardcore ist die Matrix, in der Monochrome sich bewegen. Jetzt haben sie eine Platte mit dem Titel »Éclat« bei Sticksister Records, dem Sublabel von Stickman, das vor allem durch Motorpsycho bekannt ist, herausgebracht. Dass Monochrome nicht nur in den entsprechenden Fanzines, sondern auch vom musikjournalistischen Mainstream gerühmt werden, ist musikalisch allemal gerechtfertigt. Dennoch verwundert es, weil es um ein Genre geht, das vom offiziellen Popdiskurs die letzten Jahre gemieden wurde. ­»Éclat« ist eine eine gute Gelegenheit, sich noch einmal grundsätzlich über Hardcore zu verständigen, den Monochrome (und das mittlerweile eingestellte Nebenprojekt Dawnbreed) in den letzten zehn Jahren mit immerhin 15 Veröffent­lichungen begleitet, wenn nicht geprägt haben.

In seinem vorletzten Buch »Der lange Weg nach Mitte« hat Diedrich Diederichsen den kürzesten Text den Bad Brains gewidmet. »Hardcore als Genre und reine Musik« heißt er. In seiner neuesten Aufsatzsammlung »Musikzimmer« kommt Hardcore weder als Genre noch als reine Musik vor – in dem großräumig mit dem Untertitel »Avantgarde und Alltag« abgesteckten Universalsystem »Pop« scheint kein Platz mehr zu sein für a) Hardcore, aber auch nicht für b) Genres und c) die Idee der reinen Musik. Schon längst kann man den Pop nicht mehr rein musikalisch denken, insofern wäre das Postulat reiner Musik schlichtweg Ideologie, und zwar in der popkulturellen Reinform als stumpfer Rockismus.

»Genre« hingegen ist poptheoretisch nur dort ein brauchbarer ästhetischer Begriff, wo seine öko­nomische Funktion klar ist: Genres sind in erster und letzter Instanz nicht mehr als ein Sortierkrite­rium für die Plattenläden. Die ehemaligen symbo­lischen und zum Teil auch allegorischen Verbindungen zwischen Bands, ihrer genrespezifischen Zuordnung und den darauf verpflichteten Jugend­kulturen sind allesamt gerissen, sofern sie nicht ohnehin bloße Hirngespinste subkultureller Phan­tasie waren.

Solche Widersprüche begleiteten die Popkultur seit ihren Anfangsjahren in den Fünfzigern und eskalierten bereits in den Sechzigern (Mods gegen Rocker), kulminierten aber schließlich Ende der Siebziger, Anfang der Achtziger: Disco, Punk, Hard­rock, Punkrock, Glamrock, Prog-Rock, HipHop etc. – kein Zeitabschnitt in der Popgeschich­te war so beharrlich auf Authentizität bedacht, auf Stil und Style, und keine Periode scheiterte dermaßen drastisch am eigenen Ausdrucksversprechen.

Für die einen reichte etwa Punk bis zu Jimi Hendrix und Deep Purple, für andere waren Bands wie Crass und Conflict ohne weiteres mit Soft Cell oder Human League kombinierbar. Die Popkultur war dort angekommen, wo sie herkam: in der Postmoderne.

Vor diesem Hintergrund entstand Hardcore. Das Konzept war im wörtlichen Sinne »idiotisch«; die Ideologie der reinen Musik wurde schnell mit der Politik des reinen Ge­wissens verbunden: Veganer, Individual­anarchisten, Abstinenzler, Tribalisten und Urban Primitives hatten im Hardcore ihren Soundtrack gefunden und entwickelten das Programm des Do-it-Yourself (D.I.Y.).

In den Achtzigern und Neunzigern, also den Jahrzehnten von Sequenzern, Home­recording und DJ-Kultur, ein obskures Pro­gramm, denn Pop wurde nunmehr allgemein als Selbermachen definiert. »Do it« hatten indes auch Punk und Disco schon längst als Parole ausgegeben; neu war aber beim Hardcore die Emphase des Yourself. Inmitten der postmodern zum System ausgebauten Popkultur war Hardcore so etwas wie der letzte moderne Versuch, mit einer Ästhetik der reinen Musik die reine Subjektivität zu bewahren.

Die einzigen Veröffentlichungen, die den Begriff Hardcore im Titel führen und in den letzten zehn Jahren für Furore gesorgt haben, sind vielleicht Scooters »Our Happy Hardcore« von 1996 und Pulps »This Is Hard­core« von 1998. Musikalisch hat Hardcore für den Mainstream eine ähnliche Funktion wie ein Arschgeweih: kompatibel mit dem allgemeinen Popgeschmack, gerade weil die Musik so egal ist. Alles ist Hardcore.

Solche schlechte Allgemeinheit bietet jedoch paradoxerweise ein gutes Versteck für Bands, die sich sowieso nicht um das Genre kümmern, die vielmehr Hardcore als ein ästhetisches Verfahren mit dem musikalischen Material verstehen – gleichgültig, ob das im Plattenladen nun bei Indierock, Postpunk oder eben Hardcore landet. Zugleich bedeutet dieses ästhetische Verfahren im Materialumgang allerdings einen reflektierten Bezug auf die Geschichte von Hardcore – und das heißt im Fall von Monochrome: ein retrospektiver Bezug auf die eigene Geschichte. Hardcore haftet nun an der Band wie ein Atavismus.

Auch hier gilt: Das Genre kann nur aufge­hoben werden, wenn man es verwirklicht.

»Wir sind nicht Teil dieser Ordnung«, heißt es in einem Stück. Das ist in Hinblick auf Hard­core, auf Genregrenzen, auf Musikszenen mu­sikalisch zu verstehen und keine zur Attitüde verzogene politische Formel. Das hat wohl damit zu tun, dass Monochrome nie Teil eines Diskurses waren und insofern sich auch nie an lächerlichen Verteilungskämpfen um Dis­tinktions­gewinne beteiligten oder beteiligt wurden. Dass allerdings auch diese Band ihr symbolisches Kapital hat und pflegt, wird beim Konzert ersichtlich, mit dem die als Studioproduktion gelegentlich etwas sperrig und glatt erscheinende Musik durch Spielfreude und Gelassenheit gleichermaßen lebendig wird. Auch hier über­rascht, wie wenig die Band auf Style und Attitüde angewiesen ist. Die Mittel der Ana­lyse sind das ästhe­tische Material, die Kritik zielt auf die Verhältnisse, wie sie musikalisch zum Ausdruck kommen. »View From The Exterior« hieß 1999 die erste LP »Laser« im Untertitel: Das Außen war damals noch Hardcore; der Blick zielte auf das Innenleben des Mainstream. Dieser Kontrast ist auf »Éclat« verschwunden, die Entwicklung der Popkultur selbst hat ihn gezeitigt.

Sympathisch ist vor allem und zunächst die Unaufdringlichkeit, mit der Monochrome sich ästhetisch und politisch am Hardcore abarbeiten. Spieltechnische Versiertheit und klare Positionen ohne Standpunktästhetizismus sind die Prinzipien von Monochrome, die mit dem zweiten Longplayer ihrer über zehnjährigen Band­geschichte jetzt sachlich und unprätentiös den Éclat erklären – eine Auseinandersetzung mit den ohnehin fragwürdigen Grenzverläufen von Punk, Postpunk, Mainstream, Jazzcore etc.

Dazu gehört auch der Gesang, der selbstverständ­lich zwischen Französisch, Englisch und Deutsch hin- und herspringt und damit ebenso selbstverständlich allein schon den Verdacht auf Quotenmusik und Popnationalismus zurückweist. Anders als bei vielen Bands, die auf dem Sampler »I Can’t Relax In Deutschland« vertreten sind, ist es bei Monochrome, die den Sampler übrigens mit eröffnen, vollkommen unerheblich, wo sie herkommen.

»Éclat« ist deshalb ein Eklat, weil der Skandal als große Geste verweigert wird und eben kein sinn­loser Kampf gegen Kommerzialisierung, Ausverkauf, Mainstream und sonstige Chimären der Popkultur stattfindet. Gerade das Abseits von Hardcore im letzten Jahrzehnt war indes auch ein sicherer Ort, nämlich geschützt vor dem Zugriff des Dis­kurs­pop und der Kulturlinken. Dabei haben Mono­chrome keineswegs auf Klugheit, Kenntnis und Re­flexion verzichtet, ganz im Gegenteil. Wenn es »Keep it simple« heißt, dann meint das nämlich eine Reha­bilitierung der Popästhetik des Einfachen, die Suche nach neuen Standards (in einem gewissen Sinne ist Hardcore ja die Verbindung von zwei sehr standardisierten Musikrichtungen, nämlich Punk und Jazz).

Schließlich geht es um eine kritische Neubestimmung des Mainstream als Pop: Das Wort meinte ja ursprünglich nicht »populär«, sondern »aufplatzen«, »springen«. Dass das Wort »Eklat« vom französischen »éclater« kommt und »bersten« oder »krachen« bedeutet, lässt es zumindest assoziativ zu, Monochrome als neue Farbe des Pop zu hören, jenseits von Hardcore.

Monochrome: Éclat. Sticksister Records