Hurra, die Hauptschule brennt!

Die LehrerInnen einer Hauptschule in Berlin-Neukölln betrachten ihre Schulform als gescheitert. von martin kröger

Selten haben Schulprobleme so viel Aufmerksamkeit erregt. Nachdem der Brief des Lehrerkollegiums der Neuköllner Rütli-Oberschule an die Berliner Senatsverwaltung vergangene Woche veröffentlicht worden war, belagerte ein riesiger Medientross das Schulgelände. Auf allen Kanälen, in allen Blättern entbrannte eine hitzige, teils hysterische Debatte um die Lage an den Schulen und den Stand der »Integration« von jungen Menschen mit Migrationshintergrund ins deutsche Schulsystem.

Obwohl die LehrerInnen erklären, »am Rande ih­rer Kräfte« zu sein, liest sich der Brief, vom Spiegel »als dramatischer Hilferuf« in Szene gesetzt, bei genauerer Betrachtung gar nicht so aufgeregt. »Wir müssen feststellen, dass die Stimmung in einigen Klassen zurzeit geprägt ist von Aggressivität, Respektlosigkeit und Ignoranz uns Erwachsenen gegenüber«, heißt es darin. Das spiegele sich in der Verweigerungshaltung der SchülerInnen während des Unterrichts wider sowie in der Zunahme von Gewalt, die sich gegen Sachen, aber auch gegen die LehrerInnen richte. Die Erklärung für diese Entwicklung wird gleich mitgeliefert: »Welchen Sinn macht es, dass in einer Schule alle Schüler/innen gesammelt werden, die weder von ihren Eltern noch von der Wirtschaft Perspektiven aufgezeigt bekommen?« Das Prinzip Hauptschule sei am »Ende der Sackgasse« angekommen.

Von der Forderung, die Schule zu schließen, findet sich in dem Brief, anders als in einigen Medien kolportiert, keine Spur. Viel­mehr fordern die LehrerInnen die Einführung einer neuen Schulform und die Anstellung zusätzlicher Kräfte, die Arabisch oder Türkisch sprechen. Seit Mitte der achtziger Jahre ist der Anteil von SchülerInnen mit migrantischem Hintergrund von etwa einem Drittel auf über 80 Prozent angestiegen, und ihre Muttersprachen sind meist Arabisch oder Türkisch.

So schnell wie der rot-rote Senat zusätz­liches Personal und einen neuen Schulleiter einstellte, so schnell geriet die grundsätzlichere Kritik aus dem Blick. In New York seien ähnliche Probleme »mit hartem Durchgreifen« gelöst worden, sagte etwa Friedbert Pflüger (CDU), der im Herbst für das Amt des Regierenden Bürgermeisters kandidieren will. Junge MigrantInnen, die mehrfach straffällig geworden seien, müssten abgeschoben werden. An den Schulen sollten PolizistInnen die Ordnung überwachen und kontrollieren.

»Damit gießt Herr Pflüger Öl ins Feuer.« Eren Ünsal, die Sprecherin des Türkischen Bundes Berlin, ist entsetzt angesichts der rabiaten Vorschläge. »Die Jugendlichen werden den letzten Optimismus einbüßen«, prophezeit sie. Dabei bedürfe es des Gegenteils: »Diese Jugendlichen brauchen ein Signal, dass wir sie brauchen.« Was in 30 Jahren schief gelaufen sei, lasse sich nun einmal nicht von heute auf morgen rückgängig machen. »Es bedarf eines Gesamtkonzepts, das schon in der vorschulischen Ausbildung ansetzt«, fordert Ünsal. Dies müsste mit einer entscheidenden Verbesserung der finanziellen und personellen Ressourcen der Schulen einhergehen.

Wie die LehrerInnen an der Rütli-Schule hält auch die Grundschullehrerin Claudia Reimers das dreigliedrige Schulsystem für den Hauptgrund der Misere. Sie unterrichtet an einer Schule im Wedding, an der rund 90 Prozent der SchülerInnen einen Migrationshintergrund haben. Probleme mit gewalttätigen Schülern kennt sie auch, aber das seien doch seltenere »Einzelfälle«. »Erst wenn meine ehemaligen Schüler an die Hauptschule kommen, rasten sie voll aus.« Denn wer dorthin komme, habe keine Chance mehr, je einen Beruf zu erlangen. Die Grundschule umfasst in Berlin bereits die ersten sechs Schuljahre. Doch wie viele ihrer KollegInnen fordert Reimers eine Schule mit den Klassen »eins bis zehn«. Eine Perspektive für die SchülerInnen könne aber auch die nicht ersetzen.