Unkorrekt im Mainstream

Wo auf der einen Seite Political Correctness als »Spaßbremse« verurteilt wird, taugt auf der anderen Pop nur noch zur Selbstdisziplinierung und der Tabubruch zum Erhalt des Status quo. von sonja eismann

Warum muss die Debatte um PC immer noch geführt werden? Warum sollen wir, wenn wir das Begriffspaar Pop und PC hören, automatisch denken: Provo ist geil, PC ist verklemmt?

Die Mechanismen, mit denen (Neo-)Konservative die »politisch korrekten« Bemühungen gegen die Diskriminierung bestimmter Bevölkerungsgruppen als »Denkverbote« und »Tugendterror« verunglimpfen, sind hinlänglich bekannt. Bereits vor zehn Jahren wies Diedrich Diederichsen in seinem Buch »Politische Korrekturen« darauf hin, dass der Begriff politische Korrektheit in den US-amerikanischen wie den deutschen Medien vor allem dazu dient, konservative Auffassungen zu stärken. In der medialen Öffentlichkeit wurde das Konzept Political Correctness nicht positiv aufgegriffen, sondern kam dort erst als Negativfolie an und fungierte von Anfang an als Kampfbegriff der Rechten.

Schon frühzeitig, etwa in Richard Bernsteins Aufsatz »The Rising Hegemony of the Politically Correct« in der New York Times (1990) oder Dieter E. Zimmers Artikel »PC oder: Da hört die Gemütlichkeit auf« in der Zeit (1993), wurde das Zerrbild einer die »Moralkeule« schwingenden und moralinsauren Mehrheit gemalt, die die Meinungsfreiheit und damit die »Lebensfreude« beeinträchtige.

Die Marginalisierten oder die VerfechterInnen nicht diskriminierender Sprachformen wurden und werden bis heute zu AggressorInnen stilisiert, die den anderen den Mund verbieten wollten. Von »linker« Seite wiederum wird oft die absurde Anschuldigung vorgetragen, dass die »Korrekten«, etwa durch ihr Beharren auf nicht diskriminierenden Sprachformen, den Rechten in die Hände spielten, weil sie ihnen die Möglichkeit gäben, sich als die wahren Unterdrückten zu präsentieren. Wie weit die viel beschworene Hegemonie der TugendterroristInnen schon gediehen ist, lässt sich beispielsweise daran ablesen, wie viele der großen deutsch­sprachigen Zeitungen und Zeitschriften das von Konservativen gerne zitierte Ärgernis einer geschlechtergerechten Sprache (Stichwort: Binnen-I) übernommen haben: keine einzige.

Aber beim Pop, da hört für viele wirklich die Gemütlichkeit auf. Denn wie lässt sich der regulative Anspruch von PC mit dem fluffigen Entertainment des Pop vereinbaren? Mit Laisser-faire und Verweigerung von Regeln? Schöner Quatsch. Seit Beginn der Jugend­kultur ist kein Feld so starken Normierungen und Denkverboten unterworfen wie der an die Massen verkaufte Pop. Alles geht, durchaus, doch nur, solange die Oberflächen glatt bleiben und Attraktivität verkauft werden kann.

Nur ein geringes Maß an interessant wirkender Devianz wie z.B. bei Marilyn Manson (der als Frau mit seiner Monströsitätsmasche selbstredend nicht durchkäme) ist duldbar, der Rest des Pop-Mainstream unterzieht sich einer immer strenger werdenden Zensur und körperlichen Selbstverbesserung. Diese betreffen, wie stets, hauptsächlich die Frauen. Gut veranschaulichen dies Madonnas beinahe bionischer Körper in ihren neuen Videos oder auch die ins Groteske ragenden Versuche von Britney, Beyoncé, Shakira und den Pussycat Dolls, eine hochgeputschte und perfekte Sexyness zu verkörpern.

Die Berlinerin Peaches konnte nur mit größter Mühe ein »Hairgrowing-Video« zu ihrem Song »Set it off« produzieren. Die dort gezeigten Bilder von Frauen, denen am ganzen Körper Haare sprießen, waren in einem Universum, in dem weibliche Körperbehaarung nicht existieren darf, zu schockierend. Die fortschreitende Pornographisierung im Mainstream-Pop ist kein Zeichen von Regellosigkeit oder gar einer Form »sexueller Befreiung«, sondern Ausdruck einer wachsenden Disziplinierung des (weiblichen) Körpers. Nirgends sehen Frauen so industriell gefertigt aus wie in zeitgenössischen Pop- oder HipHop-Videos.

Auch wenn die Zeiten eindeutiger Unterscheidungen zwischen Mainstream und Underground längst vorbei sind, gibt es unterschiedliche Sensibi­litäten des Publikums, die bedient werden. Niemand würde behaupten, dass Yvonne Catterfeld und die Berliner Rriot Girls Rhythm King and Her ­Friends zum selben Segment gehören. Und gerade bei populärer Musik, die früher »alternativ« genannt worden wäre und heute vielleicht als »mino­ritär« durchginge, ist der dem Pop gerne zugeschriebene Anspruch der Revolte gegen gesellschaftliche Konventionen als aufregendes, jugend­liches Versprechen immer noch präsent. Und das probateste Mittel der Rebellion ist der gute alte Tabubruch.

Während er früher ein Angriff auf die dominanten gesellschaftlichen Werte war, kann man nun, in Zeiten wachsender wirt­schaftlicher Unsicherheit, die stets den Wunsch nach autoritären Strukturen aufkommen lassen, eine interes­sante Umkehrung beobachten, nämlich den (neo)kon­servativen Tabubruch, der sich einer angeblichen Hegemonie »linker« Werte widersetzt und mit seinen Angriffen die eigentlich dominanten, halb­herzig zugedeckten Strömungen wieder ans Licht zerrt. Wahlweise sind dies Sexismus, Rassismus, Faschismus und Ho­mo­phobie, oder alle gemeinsam.

Als prominenter Vorreiter dieser Strategie kann Michel Houellebecq gelten, der seine Angst vor ­einer ethnisch diversifizierten Ge­sellschaft, der Emanzipation der Frau und den Überbleibseln der 68er-Generation als destruktiv verbumsten Swingerreigen inszeniert.

Obwohl nicht wie der französische Schrift­steller in der Hochkultur zu Hause, aber ebenso oft im Feuilleton zu Gast, verfolgen die HipHopper des Labels Aggro Berlin eine ähnliche Strategie. Mit frauenfeindlichen Slogans wie »Geh weg vom Mic, Nutte« des Berliner Labels ­Royal Bunker oder kleinkindhaften, vulgärsprachlichen Ekstasen über die Vernichtung feindlicher (in der neuen HipHop-Sprache: »schwuler«) Arschlöcher durch den eigenen omnipotenten Monsterschwanz wird bei dieser nicht mehr ganz so neuen deutschen Welle des Brachial-Rap die dystopische Utopie einer von Frauen fast vollkommen befreiten Mackergesellschaft geradebrecht.

Der vermeintliche Tabubruch dieser jungen Männer, der in debilen Lyrics, in denen kleinbürgerliche Statussymbole wie »die goldene Vase« besungen werden und in denen der Phallus nur noch als vergewaltigendes Machtinstrument in Erscheinung tritt, ist letztlich natürlich keiner. Vielmehr ist er nur eine primitive Radikalisierung eines Großteils der Werte, die eine Mehrheit der deutschen Bevölkerung, bewusst oder unbewusst, teilt: Sexismus und Homophobie mit einer Prise Rassismus und Nationalismus.

Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass das Feuilleton zunächst den Aggro-Rapper als ersten Ausdruck einer deutschen Ghetto-Authentizität feierte und die Stimme des geknechteten Lumpenproletariats herbeifabulierte, die endlich mit der Härte US-amerikanischer Inhalte konkurrieren könne. Abgesehen von den gänzlich disparaten ökonomischen Verhältnissen wird hier außer Acht gelassen, dass der sexistische, homophobe und statusbewuss­te Reflex afroamerikanischer Rapper – über­spitzt formuliert – implizit als Reinstallierung der durch die Sklaverei geraubten schwarzen Männlichkeit interpretiert wird (was ihn natürlich nicht exkulpiert, aber zumindest historisch nachvollziehbar macht). In Deutschland dagegen wird die von politischen Forderungen weitgehend entleerte Black-Power-Supermacho-Haltung, die sich im US-HipHop etabliert hat, weiter entleert und mit stupiden, kleinbürgerlichen Allmachtsphantasien gefüllt, die durch vermeintliche soziale Ächtungen gerechtfertigt werden.

Dass diese verdammt harten Boys mit ihren Angriffen auf Schwule und »Nutten« (also Frauen) auch im Namen einer großen Masse sprechen, denen die Erfolge emanzipatorischer Bestrebungen zu weit gehen, zeigt sich daran, wie interessiert die Kloakenpoesie anfangs in fast allen großen Medien aufgenommen wurde. Die­se Prolos sprachen aus, was vie­le der an progressiven Popdiskursen geschulten Journalisten nicht mehr laut zu sagen wagten, aber offenbar dachten.

Als der sexistische und homophobe Tabubruch ausgereizt war und nationalistische und antisemitische Töne (zum Beipspiel Bushidos berüchtigter Spruch vom »Tunten vergasen«) aufgefahren wurden, um das liberale Feuilleton doch noch zu packen, zeigte sich schnell die Hierarchisierung von Diskriminierung, an deren Ende wie immer die Frauen stehen. Nun bemühte man sich darum, die HipHopper als die primitiven Unterschichtler bloßzustellen, die trotz markiger Slogans wie Bushidos nicht gerade originellem Plattentitel »Staatsfeind Nr. 1« ein Leben in Deutschlands großer Mitte führen wollen. In einem Interview mit Bushido in der taz wird er als harmlos tumber SPD-Wähler vorgeführt, der sich von seiner Mutter bekochen lässt und lieber Frauenfeind als Neonazi sein will – tutto paletti also in Deutschland.

Auch wenn der Tabubruch als Fetisch und als Indikator für die Interessantheit von Popmusik langsam ausgedient haben sollte, da er auch den kapitalistischen Anspruch der ständigen Produkterneuerung bedient, gibt es doch interessantere Tabubrüche als den, mit dem nur der vermeintlich progressive Feuilleton-Bourgeois übertölpelt werden soll. Zum Beispiel dann, wenn nicht aus dem Windschatten der Mehrheit Minderheiten angepinkelt werden, sondern wenn identitäre Zuschreibungen und Geschlechterklischees in einer so komischen Weise ausgehebelt werden wie bei der entfesselten Elektro-Rockerin Peaches mit falschem Bart und echten Dildos. Oder bei der fetten, lesbischen Sängerin Beth Ditto von der ­Rriot-Girl-Band The Gossip. Davor ekeln sich die Leute, was heißt: Da geht nicht nur ästhetisch was weiter.

Übrigens: Wenn ich noch einmal eine Formulierung wie »herrlich politisch unkorrekt« lesen muss, die nur aus Denkfaulheit »Frische und Frechheit« mit Diskriminierung und Stumpfsinn assoziiert, muss ich kotzen. Oder gähnen.