Prekarität, Baby!

»Ist das noch Bohème oder schon Unterschicht?« fragt die Berliner Band Britta auf ihrem vierten Album und beschreibt unschöne Lebensumstände ganz konkret. von sonja eismann

Kommt eine Musikerin zum Arzt. Sagt der Arzt: »Ich habe eine schlechte Nachricht für Sie. Sie haben nur noch zwei Wochen zu leben.« Sagt die Musikerin: »Und wovon bitte, wenn ich fragen darf?«

Julie Miess, Bassistin von Britta, erzählt in einem Café in Berlin-Mitte ihren derzeitigen Lieblingswitz. Der ist, bei aller Melancholie, wirklich ziemlich lustig. Aber die knappe Pointe reißt auch viel von dem an, was die Berliner Indie-Band auf ihrer mittlerweile vierten Platte, »Das schöne Leben«, behandelt. Denn wo man in den Neunzigern, vor allem mit der Britta-Vorgängerband Lassie Singers, noch als szenige Bar-Bohème widerständigen Glamour versprühte, drängt jetzt das Hartz-IV-Unterschichtengespenst immer mehr nach vorne.

Das schöne Leben in der Kunst-Bohème ist längst prekär geworden. Während diese Lebens­umstände schon lange den Alltag der vier Berliner MusikerInnen bestimmen, tragen diese ihnen zum ersten Mal auf Platte Rechnung – genauso schwermütig, lustig und selbstironisch wie Julies Witz. Wenn andere deutschsprachige Bands mit viel Pathos ihre privaten Befindlichkeiten auswalzen, fragt die Sängerin Christiane Rösinger mit dem ihr eigenen Feinsinn in einem ihrer Texte: »Wer geht putzen und wer wird Millionär? / 50-Euro-Frage, denn die Antwort ist nicht schwer / Wer lebt prima, wer eher prekär?«

Es ist kein Wunder, dass in den meisten Besprechungen von »Das schöne Leben« meist diese Zeilen zitiert werden – sie wirken für dieses Jahrzehnt ähnlich paradigmatisch wie das folgende, selbstironische Diktum des für den Markt völlig unnützen akademischen Proletariats der Neunziger: »Nur weil wir keine Ausbildung haben, machen wir den ganzen Scheiß.« Dieser Satz war oft auf T-Shirts zu sehen – und stammt aus einem Song der Lassie Singers.

Trotz Unmengen dieser zitierfähigen Zeilen haben Britta nie den Status einer Boyband wie etwa der mit ihnen befreundeten Band Tocotronic erreicht. Wenn in den letzten Tagen etwas über Britta zu lesen war, hieß es meistens so lobend wie bedauernd, dass Christiane Rösinger eine der begnadetsten deutschen Texterinnen sei – und ihre neue Platte leider nicht annähernd so erfolgreich werden würde wie die ebenfalls deutschsprachigen, weit weniger pointierten Alben von Blumfeld, Tomte oder den Sternen. »Wir gehören eben einer im Popgeschäft sehr schwer vermarktbaren Randgruppe an: weiblich und alt«, witzelt Christiane. Dass neben diesen offensichtlichen Selektionsmechanismen aber auch ganz banale ökonomische Faktoren zum Tragen kommen, wird durch die Produktionsumstände klar: »Wir haben sechs Tage zum Aufnehmen, sechs Tage zum Mischen. Da haut man einfach relativ schnell alles rein. Diese Frage nach Neuigkeit oder Vielschichtigkeit, die uns bei unserer Musik oft gestellt wird, ist letztlich auch nur eine des Geldes. Wenn wir eine Luxusproduktion hätten, würde nichts dagegen sprechen, dass man auch mal rumprobiert. ›Jetzt mit Jazztrompeter!‹ – warum nicht?«

Die Musik auf »Das schöne Leben« klingt tatsächlich wie immer, schrammelig und lo-fi. Dem Innovationsdruck, jedes Mal irgendwas neu und damit letztlich nur anders zu machen, entzieht sich die Band mittlerweile ziemlich gelassen und besinnt sich auf ihre Kardinaltugend des klassischen Songwritings. Ein Zwang zur kontinuierlichen Selbstverbesserung erscheint sowieso marginal, wenn man bedenkt, wie unsicher es noch vor einigen Monaten war, ob überhaupt je wieder eine Platte von Britta erscheinen würde. Zuerst verstarb die Namensgeberin und Schlagzeugerin der Band, Britta Neander, die auch schon Percussionistin bei Ton Steine Scherben war, an den Folgen einer Herzoperation im Dezember 2004. Die Pleite des für Britta zuständigen EFA-Vertriebs, die Rösinger einen »räuberischen, monatelang verschleppten Konkurs« nennt, riss alle hart erspielten Ersparnisse mit in den Abgrund, und dann war Christiane Rösinger zusätzlich durch eine monatelange Krankheit mit Krankenhausaufenthalt so gut wie ausgeschaltet. Das vor knapp zehn Jahren eigens gegründete Label Flittchen-Records lag wegen des Bankrotts von EFA am Boden, und wenn nicht das befreundete Label Morr Music für die Finanzierung eingestanden wäre, hätte es »Das schöne Leben« nie gegeben.

Doch nach all diesen Schocks ging es mit Sebastian Vogel von Kante als Schlagzeuger (und erstem männlichen Mitglied des Quartetts) trotzdem oder erst recht weiter. Nachdem sich Christiane jahrelang, auch damals schon mit den Lassie Singers, um die Dekonstruktion des falschen Ideals der romantischen Liebe verdient gemacht hatte, brachte ihre Krankheit sie näher an materielle Fragen: »Es gibt als kranke Künstlerin keine Kategorie mehr, in die man reinpasst, und letztlich niemanden mehr, der für dich zuständig ist oder dir hilft. Dadurch bin ich noch deutlicher auf dieses Thema gestoßen worden.« Was vor allem auch deswegen etwas für sich hatte, weil es damit mal um etwas anderes geht als bisher: »Dieses Liebesmotiv, das ich jahrelang selbst beackert habe, ist mir schon total auf die Nerven gegangen. Vorher hatte ich auch das Gefühl, ich müsste mal ein bisschen mehr gesellschaftliche Zustände beschreiben. Ich hatte zwar immer versucht, das in diese Anklage an das Konstrukt Liebe einfließen zu lassen, aber ich hätte mich nicht getraut, ein Lied wie ›Wer wird Millionär‹ zu machen, weil ich dachte, solche Sachen werden platt und blöd. Jetzt bin ich dagegen ganz froh, dass nur ein Liebeslied auf der Platte ist.«

In »Menschenfeind« bricht sich so Christianes »berechtigter Klassenhass« auf »höhere Töchter, bessere Söhne« Bahn. In »Büro Büro« macht man sich über »die Anderen« lustig, die dauernd aufgebauschten »Projekten« nachhecheln, »und raus kommt doch nur / Smoke on the water, Baby«. »Du sprichst in Rätseln«, das Stück, das einige bereits als vorwurfsvolles Liebeslied einer Frau für ihren Partner dechiffrieren wollten, ist ein umwerfend witziges und lange überfälliges In-die-Zange-nehmen all jener deutsch singenden Bands, die sich aus dem schnöden Konkreten in die mystische Verrätselung ihrer aufgepumpten Texte flüchten.

»Du sprichst in Rätseln / Vom Wünschen und Wollen / Nicht Können und Sollen / Und die schwarzen Reiter, deine ewigen Begleiter / Die müssen immer weiter, immer weiter«, persifliert Rösinger den verschnörkelten Eskapismus, um dann mit dem entnervten Appell zu schließen: »Gibt es sonst nichts zu sagen / In unseren dunklen Tagen / Mal im Klartext zu fragen / Was so ist und was so geht / Das Leben ist konkret.« Die ursprüngliche Motivation für dieses Stück erklärt die Sängerin so: »Seit ein paar Jahren ist ein allgemeiner Hang zur Verrätselung zu beobachten. Ich bin ja auch Literaturwissenschaftlerin und mir kommt diese Strategie manchmal wie ein billiger Ausweg vor. Es werden einfach ein paar Bilder hingeschmissen und verbunden. Da dachte ich mir, das müssten Britta in ihren Songs auch mal machen, statt immer eine konkrete Aussage zu treffen.« Gesagt, getan: »Als ich merkte, dass ich das gar nicht kann, so zu wabern, bin ich auf den genialen Schachzug gekommen, dass ich das Verfahren an sich einfach beschreiben und dadurch letztlich auch so ein rätselhaftes Lied hervorbringen könnte.«

Schon klar, dass so viel intertextuelle Referen­zialität bei den meisten Konsumenten nicht die verdiente Aufmerksamkeit finden wird, weil sie mit Musik auch weiterhin lieber in mystisch verdunkelte Spiegel staunen oder zum Mann gemacht werden wollen. Das Verdienst, diesen Rückzug aufs rein Persönliche, Gefühlige zu benennen und so scharfsinnig zu karikieren, kann man der Band gar nicht hoch genug anrechnen. Und wer weiß, vielleicht entspinnt sich ja im Stile der »Answer-Songs« aus der Rhythm’n’Blues- und HipHop-Tradition (man denke nur an »Roxanne’s Revenge«, Roxanne Shantés Antwort auf U.T.F.O.s »Roxanne, Roxanne«) ein inhaltlicher Austausch. Dann wäre endlich mal wieder was Interessantes los.

Britta: Das schöne Leben (Flittchen / Indigo)