Chicken Game mit dem Iran

Die USA überlassen der EU und Deutschland die zentrale Rolle bei den Verhandlungen mit dem Iran. Die Europäer aber zögern, Sanktionen zu verhängen. von udo wolter

Die EU-Staaten haben die Chance, der Es­kalationsstrategie der USA eine Friedenspolitik entgegenzusetzen, verpasst«, gab der iranische Publizist Bahman Nirumand beim Berliner Ostermarsch eine verbreitete Meinung zum iranischen Atomprogramm zum Besten. Aber verhält es sich nicht genau umgekehrt?

Nach dem Berliner Außenministertreffen vom 31. März sah man sich in Regierungskreisen bei den Verhandlungen über das militärische Atom­programm des Iran endlich auf »gleicher Augenhöhe mit den fünf Vetomächten des Sicherheitsrates«, wie der Staatsminister im Auswärtigen Amt Gernot Erler stolz zu Protokoll gab. Auch Außenminister Walter Steinmeier zeigte sich mit den Gesprächen und der Erklärung des UN-Sicherheitsrates hochzufrieden und verkündete vollmundig, die Wahl zwischen »Rückkehr an den Verhandlungstisch« und »internationaler Isolierung« liege »nun beim Iran«. Sowohl der Sicherheitsrat als auch die Außenminister einschließlich Condoleezza Rice hatten konkrete Sanktionsdrohungen vermieden.

Die Machthaber des Mullah-Regimes zeigten sich erwartungsgemäß wenig beeindruckt. Sie hielten zunächst von markigen Prahlereien mit neuen Raketen begleitete Militärmanöver ab, erklärten sich dann zur Atommacht und veranstalteten schließlich Mitte April eine weitere Palästina-Konferenz in Teheran. Dort stellte Präsident Mahmoud Ahmadinejad erneut den Holocaust in Frage, und die fast komplett angetretene iranische Führung warb für die Unterstützung der Hamas-Regierung in den palästinensischen Gebieten und das Ende Israels.

Dass die Führung des Mullah-Regimes glaubt, sich solche Provokationen auch weiterhin leisten zu können, ist durchaus nicht nur Zeichen des Größenwahns eines Präsidenten. Diese Selbstgewissheit beruht vielmehr auf Stärke. Die verdankt das ira­nische Regime unter anderem dem Ölpreis, der auch wegen der grassierenden Kriegs­angst derzeit steigt.

Das hat auch mit der jahrelangen Kuschelpolitik Europas zu tun, die nicht zuletzt auf wirtschaftlichen Interessen beruht. Die guten Wirtschaftsbeziehungen Europas zum Iran werden ungeachtet aller Menschenrechtsverletzungen, fortgesetzter Ablehnung des Nahost-Friedensprozesses und Unterstützung terroristischer Gruppen sowie schließlich des iranischen Verhaltens im Atomstreit seit Jahren aufrechterhalten. Dabei nimmt Deutschland bei Exporten in den Iran vor Frankreich und Italien den ersten Platz ein, allein die deutschen Ausfuhren haben sich von 2000 bis 2004 fast verdoppelt und erreichten im Jahr 2005 einen Rekordwert von 4,5 Milliarden Euro. Die wichtigste Quelle der Stärke der iranischen Regierung sind ihre Energieressourcen. Bereits Anfang 2005 stellte eine Studie der hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung fest, dass »die außenpolitischen Instrumente der EU sich im Falle des Irans nur begrenzt als effektiv erwiesen (…). Die Mitgliedsstaaten der EU sind von iranischen Energielieferungen, vor allem Erdgas, abhängig und daher durch iranische Politik verletzlich.«

Europäische Unternehmen sorgen sich denn auch derzeit um lukrative Gasgeschäfte mit dem Iran. Der staatliche französische Energiekonzern Gaz de France (GDF) erwägt den Einstieg in ein großes Flüssiggasprojekt im Iran, der deutsche Konzern Eon prüft iranische Gaslieferungen durch die geplante »Nabucco-Pipeline« vom Iran nach Europa; mit den Konzernen Total, Shell und dem spanischen Repsol-Konzern will der Iran demnächst einen Vertrag zur Entwicklung von zwei Abschnitten des iranischen South-Pars-Vorkommens unterzeichnen. Klare politische Vorgaben der Europäer an den Iran sind kaum zu erwarten, wie der EU-Gipfel Ende März in Brüssel zeigte: Man vertagte sich in der Frage einer gemeinsamen Energieaußenpolitik auf den nächsten Gipfel, zu dem der EU-Außenbeauftragte Javier Solana einen Bericht vorlegen soll.

Wie die Mullahs ihre wirtschaftlichen Vorteile für sich zu nutzen wissen, zeigte der Iran gerade gegenüber dem Créateur d’Automobiles: »Solange die Firma Re­nault unsere Bedürfnisse nicht erfüllt, steht das Vorhaben still«, erklärte der iranische Industrieminister Ali-Resa Tahmasebi brüsk zur geplanten Produk­tion des Logan L90 im Iran, als das Unternehmen Renault sich wenig begeistert von dessen Ansinnen zeigte, 20 Prozent der Produktion aus dem Vertrag über 300 Millionen Euro auf traditionell von Frankreich beherrschten Märkten abzusetzen.

Es sind jedoch nicht nur wirtschaftliche Gründe, die Hassan Abbasi, einen Strategen der iranischen Regierung, verkünden lassen, die USA und die EU würden beim »chicken game« des Atomkonflikts schon nachgeben. So nennt man im Englischen ein Spiel, bei dem zwei Seiten aufeinander zurasen: Verloren hat, wer zuerst ausweicht. Der im amerikanischen Exil lebende ira­nische Publizist Amir Taheri geht davon aus, dass die iranische Führung zum Ablauf der Frist des UN-Sicherheitsrats am 28. April aus taktischen Erwägungen nachgeben wird, um weiter Zeit für das diplomatische »chicken game« unter europäisch-deutscher Führung zu gewinnen.

Europa und vor allem Deutschland haben mit ihrer lange Zeit als »kritischer Dialog« bezeichneten Appeasement-Politik solche Vorstellungen bei den iranischen Machthabern eifrig genährt. Auch die noch immer große Zöger­lichkeit in der Frage von Sanktionen gegen das iranische Regime trägt kaum dazu bei, diesen Eindruck zu zerstreuen. Bei den derzeitigen internationalen Konstellationen wären Sanktionen kaum mehr als Grimassen in Richtung des Iran.

Die in der Tat alles andere als beruhigende Vorstellung einer militärischen Konfrontation lässt sich jedoch nicht mit einer neuen transatlantischen Spaltung verhindern, nach der Friedensbewegte und Linke laut rufen. Die EU müsse sich »endlich vom Diktat der US-Administra­tion loslösen und jeglichen militärischen Szenarien widersetzen«, forderte stellvertretend für dieses Spektrum die grüne Europa-Politikerin Angelika Beer. Wer so die immergleichen anti­amerikanischen Mantras von sich gibt, hat nichts aus dem Irak-Krieg gelernt. Denn gerade die kategorische Weigerung Europas mit Gerhard Schröder an der Spitze, Saddam Hussein Gewalt zumindest anzudrohen, verhinderte die geringe Möglichkeit, den Kon­flikt ohne Krieg zu lösen.

Das gilt in noch höherem Maße für das Vorgehen gegenüber dem Iran, dessen Ambitionen als regionale Hegemonialmacht anders als beim Irak Saddam Husseins auch in militärischer Hinsicht absolut ernst zu nehmen sind. So paradox es klingen mag: Um eine militärische Eskalation des Atomkonflikts mit dem Iran zu verhindern, muss dessen Führung zweifelsfrei vermittelt werden, dass Europa und die USA sich in dieser Frage nicht spalten lassen und eine Fortsetzung des gegenwärtigen Kurses für sie ein hohes Risiko darstellt.