Den Wald im Tank

Bio-Ethanol aus Getreide, Rüben oder Zuckerrohr im Autotank und Erd-, Berg- und Seewärmepumpen für die Heizung: Schweden versucht, sich bis 2020 unabhängig von Erdöl zu machen. von bernd parusel, stockholm

Wenn der Preis für Rohöl steigt, steht der am besten da, der keines braucht. So einfach und plausibel ist das Kalkül der schwedischen Umweltministerin Mona Sahlin. Ende vergangenen Jahres gab sie die Parole aus, ihr Land werde sich bis zum Jahr 2020 unabhängig von Erdölimporten machen. Weil Schweden selbst über keine Ölquellen verfügt, würde dies einen kompletten Ausstieg aus der Nutzung der Ressource bedeuten.

Sahlin wird von ihren Landsleuten zwar immer wieder als eine Politikerin verspottet, die viel redet, aber wenig tut. Dieses Mal jedoch gibt es Anzeichen dafür, dass sich tatsächlich etwas bewegt. Premierminister Göran Persson setzte eine Kommission ein, die Strategien für eine »Reduzierung der Erdölabhängigkeit« ausarbeiten soll. Schweden soll bei der Entwicklung und Nutzung erneuerbarer Energien zum führenden Land werden. Nebenbei trüge ein Ausstieg aus dem Erdöl, auch wenn davon weniger gesprochen wird, dazu bei, dass islamistische Regime im Mittleren Osten nicht immer neue Rekordgewinne aus dem Erdölexport erzielen.

In zwei Bereichen haben die Bemühungen, den Ölverbrauch zu verringern, bereits begonnen, beim Heizen und im Straßenverkehr. Ein im vorigen Jahr aufgelegtes staatliches Förderprogramm, das Privatkunden einen Zuschuss bezahlt, wenn sie von Öl- oder Stromheizungen auf Fernwärme, Erd-, Berg- und Seewärmepumpen oder Pelletsöfen umsteigen, wurde für dieses Jahr dank großer Nachfrage bereits fast ausgeschöpft, und der Verbrauch von Heizöl geht stark zurück. Pellets sind aus Holzresten zusammengepresste Kügelchen, die man in speziellen Öfen ver­brennt. Auch Sonnenenergie-Kollektoren werden staatlich gefördert. Nachteile sind jedoch, dass Fernwärme nur in städtischen Gebieten verfügbar ist und dass Wärmepumpen mehr Strom verbrauchen als Öl­heizungen.

Damit gefährdet der Abschied vom Heizöl ein anderes umweltpolitisches Ziel, den Ausstieg aus der Atom­energie, den die Schweden im Jahr 1980 per Referendum beschlossen haben. Bislang wurden erst zwei Reaktoren stillgelegt. Für die übrigen zehn steht noch kein Termin fest. Die Regierung zögert, weil die bürgerliche Opposition den Ausstiegsbeschluss rückgängig machen will und dabei eine Mehrheit der Bürger hinter sich weiß. Auch warnen Energieversorger vor Engpässen bei der Stromversorgung während der kalten schwedischen Winter.

Noch weiter als bei der Umrüstung der Heizsysteme ist Schweden im Verkehr. Hier boomen seit rund einem Jahr Miljöbilar, mit alternativen Kraftstoffen betriebene PKW. Während Erd- oder Biogasautos bislang vor allem von vielen Gemeinde- und Stadtverwaltungen angeschafft werden, kaufen immer mehr Autofahrer so genannte Flexi-Fuel-PKW. Diese können sowohl mit Benzin als auch mit dem Alter­nativkraftstoff E85 betankt werden.

E85 enthält zu 85 Prozent Bio-Ethanol, ein Alkohol, der aus zuckerhaltiger Biomasse, etwa Getreide, Rüben, Zuckerrohr oder Zellulose, hergestellt wird. Der Autohersteller Ford baut bereits seit mehreren Jahren ein Modell, das mit Bio-Ethanol betankt werden kann. Vergangenes Jahr brachten auch Saab und Volvo Ethanol-Modelle auf den schwedischen Markt, und seither ist man auf dem Sektor erfolgreich. Über 320 Tank­stellen verkaufen bereits den E85-Kraftstoff. Wenn er trotzdem einmal nicht verfügbar ist, tankt man einfach gewöhnliches Superbenzin. Die norwegische Stat-oil-Kette hat den Ver­kauf von E85 an ihren schwedischen Tank­stellen innerhalb nur eines Jahres vervierfacht, und fast 15 Prozent aller verkauften Neuwagen sind mitt­lerweile Umweltautos.

Ethanol-Modelle sind zwar in der Anschaffung teurer als gewöhnliche PKW, sie sind jedoch umweltfreundlich, weil sie weniger Kohlendioxid ausstoßen und die Grund­ma­terialen nie ausgehen. Zu­dem sind sie im Unterhalt billig. Die meis­ten Gemeinden verlangen von Um­welt­autos keine Parkgebühren, E85 kostet rund ein Drittel weniger als Superbenzin, und auch die Straßen­maut, die seit Anfang des Jahres in Stock­holm erprobt wird, gilt für sol­che Fahrzeuge nicht. Um den Umstieg der Schwe­den auf Miljöbilar weiter zu fördern, gilt seit 1. April ein Gesetz, nach dem Tank­stellen, die jährlich mehr als 3 000 Kubik­meter Benzin oder Diesel verkaufen, auch mindestens einen Öko-Kraftstoff anbieten müssen.

Einen Haken hat indes auch der Erfolg der Umweltautos. Schweden verbraucht schon heute mehr Ethanol, als es selbst produzieren kann. Erst eine Fabrik gibt es, in der Getreide zu Bio-Ethanol verarbeitet wird. Eine zweite Anlage im nordschwedischen Örnsköldsvik brennt den Kraftstoff aus Holzresten. Zusammen decken die zwei Fabriken jedoch nicht einmal ein Viertel des derzeitigen Ver­brauchs. Den überwiegenden Teil importiert Schwe­den aus Brasilien, wo Ethanol aus Zuckerrohr gebrannt wird. Die Produktion in Schweden soll jedoch erhöht werden.

In der Bevölkerung treffen die umweltpolitischen Ziele der Regierung meist auf Zustimmung. Zu Kontroversen kommt es aber, wenn Politiker der Grünen, die Göran Perssons sozialdemokratische Minderheitsregierung stützen, eine raschere Abwicklung der Atomkraft fordern. Da eine Minderung des Stromverbrauchs nicht zu erwarten ist, fragen sich viele Schweden, wo der Ersatz für den Atomstrom herkommen soll. Der Anteil der Wasserkraft, der bei ausreichenden Niederschlägen etwa 40 Pro­zent des Bedarfs deckt, wurde in den vergangenen Jahren nicht mehr nennenswert erhöht. Windkraft spielt bis­lang eine untergeordnete Rolle. Abhilfe könnten von Forschern der Universität Uppsala entwickelte Kraftwerke schaffen, die aus den Wellenbewegungen in der Ostsee Strom erzeugen: Auf der Oberfläche schwimmende Bojen, die sich heben und sen­ken, treiben Generatoren auf dem Meeresgrund an. Bis die neue Technologie aber tatsächlich genutzt wird, dürften noch Jahre vergehen.

Umstritten ist aber auch der derzeitige Plan der Regierung, zugunsten der Energiewende den Flugverkehr zu besteuern. Zwar wirkt die vorgeschlagene Höhe der Geldsumme, zehn bis 15 Euro pro Flugstrecke, eher bescheiden. Wirtschaftsverbände, Airlines und die Oppo­sition machen jedoch Front gegen die Steuer, die ihrer Meinung nach die Billigfliegerbranche bedroht.

Wenn bei den Parlamentswahlen im September die konservativen Parteien eine Mehrheit erhalten, wie Meinungsumfragen nahe legen, könnte der Atomausstieg rückgängig gemacht werden, und die Flugsteuer käme nicht. Dass die Konservativen aber auch davon abrücken, Schweden unabhängig vom Erdöl zu machen, ist unwahrscheinlich. Anbieter alternativer Heiz­systeme und die Umweltautobranche sind inzwischen keine Exoten mehr, sondern haben eine Lobby, an der keine Regierung mehr einfach vorbeikommt.