Chávez ist voll im Bild

Der venezolanische Fernsehsender Telesur wollte eine Art CNN des Südens werden. Entstanden aber ist ein Propagandasender für Hugo Chávez. von nils brock

Selten ist ein Fernsehkanal ambitionierter gestartet als Telesur, die »Fernseh-AG des Südens« mit Sitz im venezolanischen Caracas. Als im Juli vorigen Jahres ein erstes Testprogramm des Satellitensenders ausgestrahlt wurde, herrschte aufgeregte Unstimmigkeit in den internationalen Feuilletons. Entstand ein interessanter, emanzipativer Sender oder schlicht ein weiteres Medium für die abendfüllenden Monologe des venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez?

Im Programmheft von Telesur sieht es zunächst wirklich nach »Fernsehen von unten« aus. Zumindest wird eine bunte Mischung aus Sendungen geboten: Sie lauten etwa »Schicksal Lateinamerikas«, es gibt historische Dokumentationen wie »Die Raketenkrise auf Kuba. Chronik einer Gemeinheit«, Politmagazine wie »Der internationale runde Tisch«, und es werden so genannte Ethnien vorgestellt, die auch für das lateinamerikanische Publikum exotisch wirken dürften: »Das Volk Huancavila Spondylus«.

Der Traum Jorge Boteros, eines kolumbianischen Dokumentarfilmers und Mitbegründers des Senders, scheint sich erfüllt zu haben. Tausende unabhängige Filmschaffende und Videokollektive aus ganz Lateinamerika basteln unablässig an einem bewegten Bilderbuch Lateinamerikas, wie es so in den Massenmedien bisher nicht zu sehen war. Aber betrachten wir die letzten Minuten der Dokumentation über die Huancavila Spondylus. Die Kamera schwenkt über die weißen Strände Manibis in Ecua­dor. Am Horizont flimmert eine Insel im Morgendunst. Dann entfaltet sich ein Hauch magischer Rea­lismus, als sich Ton­figuren in den Dünen materialisieren und wieder verschwinden. Schließlich sieht der Zuschauer eine Nahaufnahme des Schöpfers höchstpersönlich, ein Indigena, der angestrengt verträumt, am Objektiv vorbei, in die Zukunft blinzelt, die Hände über der Töpferscheibe gefaltet.

Die Überraschung aber ist im Abspann versteckt: »Art-Image Foundation 1998« ist da zu lesen. Statt »Fernsehen von unten« laufen auf Telesur zum Großteil Dokumentationen von gestern oder vorgestern. Und Jorge Botero ist auch verschwunden. In einer Pressenotiz vom November hieß es lediglich, »der kolumbianische Filmveteran« habe »andere Vorstellungen von dem Programm und der personellen Mitarbeit«.

Der geringe Anteil an unabhängig produzierten Beiträgen ist jedoch nicht nur auf redaktionelle Entscheidungen zurückzuführen. Zapatistische Medienmacher etwa hatten im vergangenen Jahr wiederholt Videos eingereicht, die auch gesendet wurden. »Allerdings ist es für die sozialen Bewegungen oft schwierig, die notwendige Infrastruktur bereitzustellen. Auch die Videokollektive scheitern teilweise an technischen Hürden, wie der Komprimierung ihrer Aufnahmen und dem Versand im Internet«, sagt Refugio vom Freien Medienzentrum in Mexiko-Stadt.

»Al Bolivar«, wie die Journalistin Blanche Petrich den Sender taufte, bemüht sich auch nicht gerade um eine engere Kooperation mit freien Filmschaffenden oder organisierten Kollektiven. Auf der Website des Senders, auf der auch ein live stream des Programms ausgestrahlt wird, findet sich weder ein Aufruf an unabhängige Kamerateams oder Dokumentarfilmer noch die Erwähnung solcher, die sich bereits an dem Programm beteiligten.

So hat man es überwiegend mit den vom venezolanischen Staatsfunk Vive beigesteuerten Bildern zu tun, der Medienanstalt, die über die Hälf­te des Gesamtprogramms produziert und die Nachrichtenblöcke koordiniert. Auf diese Weise fungiert Chávez dann doch als Alleinunterhalter. Es wird ein Rückblick auf das Händeschütteln mit Evo Morales am Vortag gesendet oder ein paar Erläuterungen über »Plan B des Imperiums«, das heißt über die Versuche der USA, doch noch einen Konsens für das Freihandelsabkommen Alca in Lateinamerika zu finden. In den Nachrichten tauscht der haitia­nische Präsident René Préval ein Ölbildnis von Simón Bolivár gegen einen Paradesäbel aus den Händen Chávez’ ein und dankt diesem für die Hilfe beim Aufbau eines effektiven Polizeiapparates.

Dass die Nachrichten staatstragend sind, ist nicht zu übersehen. Nimmt man das ernst, was man sich vorgenommen hat, »Lateinamerika in seiner ganzen Vielfalt« zu Wort kommen zu lassen, dann wird die südliche Hemisphäre Amerikas zur Hälfte von angegrauten Männern in Zweireihern oder in, von den Farben her betrachtet, ethnisch korrekten Pullovern bevölkert. Die brasilianische Landlosenbewegung MST kommt in einem Brasilien-Special dagegen nicht einmal zu Wort. Dafür darf der brasilianische Präsident Ignacio Lula da Silva ein brasilianisch-venezolanisches Erdölgeschäft anpreisen. Anschließend verliert der iranische Präsident Mah­moud Ahmadinejad noch schnell ein paar Worte zur Unbeugsamkeit seines Landes in der Atomfrage. Darauf folgt Werbung, diesmal in eigener Sache. »Telesur. Zuschauen, um es zu glauben«, heißt es.

Auch die Bildsprache des Fortschritts gibt es auf Telesur zu bestaunen: Es gibt Schmelztiegel zu sehen, Förderbänder und Lokomotiven. Dazwischen tummeln sich Arbeiter, die entschlossen eine Stahlbrücke überqueren, und Ingenieure, den Zirkel in der Hand und mit ernstem Blick über das Reißbrett gebeugt. »Stolz vollenden wir das erste Jahr im Kampf für den Sozialismus des 21. Jahrhunderts«, verkündet der Sender im Halbstundentakt zwischen den Nachrichtenblöcken. Das venezolanische Ministerium für Schlüsselindustrien und Bergbau preist auf diesem Wege die lohnende Kooperation zwischen ausländischen Investoren und den heimischen Produktionsstätten an.

Die Programmgestaltung scheint mehr als ein ungewollter »Rückfall in die Logik der großen Medien« zu sein, wie Daniel Ivan vom Radiokollektiv La Voladora anfangs über die mögliche Entwicklung des Senders vermutete. Die in Chávez’ eigener Sendung »Aló Presidente« verkündete künftige Strategie des Senders zielt darauf, viele Menschen zu erreichen und die auf 30 Millionen Menschen geschätzte Schar von Fernsehzuschauern zu vergrößern.

Bis Ende des Jahres 2006 soll jeder venezolanische Haushalt Telesur empfangen können. Außerdem strebt der Sender weitere Kooperationsverträge mit anderen lateinamerikanischen Sendern und Kommunikationsunternehmen an, die bereit sind, das Satellitensignal von Telesur zu übertragen. Die Antwort auf das europäische und nordamerikanische Nachrichtenmonopol ist auf den zweiten Blick also keine »gänz­lich neue Kommunikationsstrategie«, wie es in der Selbstdarstellung von Telesur heißt, sondern bisher nur eine Spiegelung der kapitalistischen Medien. Wirklich überraschend war auf dem »CNN des Südens« in der vergangenen Woche nur ein Statement von Chávez: »Eigentlich liebe ich ja das Volk der USA. Wir müssten uns nur besser kennen lernen.«