Der teutsche Wald

Die Natur ist nicht schlecht, nur Blumfeld ist voll. von thomas blum

Aufgepasst! Die ideologiekritische Popgruppe Blumfeld hat uns eine wichtige Mitteilung zu machen: »Noch trägt die Welt ihr weißes Kleid / … / Wie alles andächtig schweigt in der Früh’ / Und ich seh’, wie die Eisblumen blüh’n / Und hoch vom Himmelszelt rieselt es und fällt der Schnee« usw. Derlei gefällt nicht nur dem Feier­abendneoromantiker mit Junge-Freiheit-Abonnement, da freuen sich auch Marianne und Michael wie die Schneekönige.

Die Landschaft leuchtet blau, Schneeflocken tanzen, auf den Dächern schmilzt oder taut der Schnee, man kann seinen Atem sehen, Wellen tanzen übers Meer, Wolken blüh’n und Winde wehen, wir atmen die Nacht, stürmisch die See und salzig die Luft, wir schultern den Himmel, der Mond und die Sterne leuchten wunderbar, Nebelschleier fallen, Freudentränen wallen, Ströme gleiten, ausgebreitete Schwingen, Wälder rauschen, Sonnenstrahlen, Donnergrollen, Regen prasselt auf die Blütenpracht, Schneegestöber, alle Vögel sind schon da und singen, Schmetterlinge fliegen über das Land, Füchse tollen, wir tanzen mit den Delphinen. Hier läuft das komplette Schwachdenkerprogramm, ungekürzt, unzensiert, unbarmherzig. Und es dauert lange. 13 Songs lang.

Brandung, Brise, Quelle, Rinnsal, Bach, Gestade, Gräser, Blüten, Wiesen, Wolken, Gestein, Erdbeerfelder, Alpenveilchen, Vergissmeinnicht, Schmetterlingshain und immer wieder Wälder, Wälder, Wälder.

Unentwegt glänzt oder glitzert es. Oder es schäumt, leuchtet, wirbelt, sprießt, strömt, rauscht, sprudelt, tost und schießt irgendetwas prachtvoll und lebensprall hervor, dass es nur so eine Art hat und dass man bei den Buben von der Wiking-Jugend fröhliche Urständ’ feiert.

Man kennt derlei in seiner Reinform zur Genüge aus der Blut-und-Boden-Literatur, aber – in seiner jugendfreien Form – auch aus den peinigenden Machwerken des bis heute die Psyche unschuldiger Kinder verunreinigenden Akustikgitarrenbarden Rolf Zuckowski.

Wir befinden uns demzufolge nicht mehr in der Realität, sondern mitten in einer schmierseifigen Phrasensammlung, die das Propagandaministerium für den Kinderkanal produziert hat, einer Art bleischwer deutschem, pastellfarbenem, gülden schimmerndem Bussibärland, einer Wunsch­traumseelenlandschaft, in der nach Veilchen duftende Bauernburschen ihre Zeit damit zubringen, an einer mit einem blütenweißen Tischtuch gedeckten Kaffeetafel frisch gebackenen Apfelkuchen zu verspeisen, weil der »Apfelmann«, wie wir erfahren, beizeiten eifrig »den Stamm gehegt« und »die Äste gepflegt« hat.

Nun ist es durchaus nicht so, dass man von einer Band, die sich offenbar ohne Not dazu entschlossen hat, eine Art Mixtur aus schwärmerischem Blendwerk, verstiegenem Naturnepp und schwerblütig-deutscher Schlagermusik zu fabrizieren, verlangen müsste, dass sie auf ihrem neuen Album die letzten Welträtsel löst. Die Frage ist vielmehr, ob die alte deutsche Krankheit, die darin besteht, dem von Grund auf Verlogenen das Prädikat des »Authentischen« zu verleihen, sich ungehindert ausbreiten muss: »Nachtigallen tanzen, Saft schießt in die Pflanzen. Und die Wolkenfelder ziehen still.«

Man hat unweigerlich ein Schamgefühl dabei, derlei Lebensbornhaftes, Sentimentalitätsgesättigtes, Brutalidentitäres, Mystifika­tionsverzuckertes und Bejahungsversessenes zu zitieren, diesen vor verblödendem Gaukelspiel und Mummenschanz triefenden Heile-Welt-Schmarren, aber was soll man machen? Es muss ja sein. Die Öffentlichkeit hat ja ein Recht darauf zu erfahren, was hierzulande ungestraft hergestellt werden darf.

Ohne die Spur eines Zweifels: Diese Platte ist gaga. Das, was da ungehindert gesungen werden darf, ohne dass die Band vom Kulturministerium daran gehindert wird, lässt nur eine Diagnose zu: ganz und gar jenseits von allem, was noch einen letzten, winzigen Zipfel Realitätswahrnehmung für sich beanspruchen kann. Hier herrscht der Förster vom Silberwald und die holde, blonde Naturmaid mit eiserner Knute. Gegen das, was hier an abgeschmacktem Eiapopeia aufgeboten wird, ist die Sendung mit der Maus das reinste Armageddon.

Vielleicht leben die Jungs von Blumfeld in einem farbenfroh bebilderten Kinderbuch oder in einer Episode des Sandmännchens. Jedenfalls fänden Botho Strauß, Peter Hahne und ihresgleichen an diesem wunderbar brummdummen Album sicherlich großen Gefallen, weil hier sowohl der deutsche Hausmeister als auch Caspar David Friedrich, der blaue Bock und Sissi mitsamt Bambi zu sich selbst finden und sich mit sich selbst so sehr versöhnen, dass es rauscht. Überaus schade, dass Ludwig Ganghofer oder Hermann Löns das nicht mehr erleben dürfen.