Päpstlicher als der Papst

Die Serie »Popetown« bietet nur alberne Schulbubenwitze. Doch für den Katholizismus, dem mit der Reformation jeder Humor abhanden ging, ist sie eine Gelegenheit, so ernst genommen zu werden wie der Islam. von doris akrap

Die überflüssigste Aussage in der Debatte um religiöse Fundamentalisten ist die im Brustton der eigenen Erkenntnis vorgetragene Plattitüde, dass Menschen nicht in ihren Gefühlen verletzt werden dürften. Mit dieser Maßgabe könnten freilich auch abgewiesene Liebende ihre flüchtenden Angebeteten zum Gehorsam verpflichten.

Für gewöhnlich sind die Subjekte, um deren hysterische Konstitution man sich besonders sorgte, Angehörige des Islam. In den vergangenen Wochen aber hat der deutsche Katholizismus dieses Monopol gebrochen und reklamiert ebenfalls eine moralische Sonderbehandlung. »Moslems halten uns auch deshalb für ungläubig, weil wir unseren Glauben nicht ausreichend leben und verteidigen«, gab der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber seine Angst vor der eigenen Bedeutungslosigkeit bekannt und forderte gemeinsam mit dem CSU-Generalsekretär Markus Söder »ein klares Blasphemieverbot« im deutschen Strafrecht. Der Anlass dafür war die von MTV für diese Woche angekündigte Ausstrahlung der satirischen Zeichentrickserie »Popetown«. Diese zeigt, wie man der Werbung von MTV entnehmen kann, einen »durchgeknallten Papst« mit Pubertätsproblemen und seine »kriminellen Kardinäle«, die sich mit aufblasbaren Spielzeugkreuzen und Messweindeodorant am Whirlpool amüsieren und sich über singende Kinder im Rollstuhl lustig machen.

Angeführt werden die empörten Proteste von der CDU/CSU. Der Vorsitzende der CSU-Landtagsfraktion, Joa­chim Herrmann, erstattete Strafanzeige gegen den Sender, während sich das Erzbistum München und Freising ebenso wie das Zentralkomitee der Deutschen Katholiken dafür aussprachen, den Trickfilm nicht zu senden. Bereits die Werbeanzeige sei die »gröbste Verunglimpfung« zentraler Glaubensinhalte und eine »Verhöhnung« der Leiden von Christus. Auf der inzwischen von MTV zurückgezogenen Anzeige sitzt ein vom Kreuz abgestiegener Jesus im Fernsehsessel und amüsiert sich mit der Fernbedienung in der Hand. »Lachen statt rumhängen«, steht darüber geschrieben.

Ein besonders eifriger Kämpfer gegen »Popetown« ist Otto Wulff, der Vorsitzende der Seniorenunion der CDU/CSU: »Wir gehen inzwischen so selbstgerecht mit den Gefühlen anderer um, dass ich das auf Dauer für nicht mehr hinnehmbar halte.« Dass die CDU-Opas von MTV als »angeblichem« Jugendsender sprechen und ihm die Sendelizenz entziehen wollen, interpretieren einige Kommentatoren wohlwollend als »Generationenkonflikt«.

Doch mit diesem großen Wort kommt man dem sklerösen Zustand des Christentums nicht bei. Die Forderung nach Zensur beschämt das real existierende Christentum weitaus mehr, als der lächerliche und harmlose Schulbubenhumor der BBC-Produktion die Gefühle der CDU-Opas verletzen könnte. Außerdem verleihen die angeblich vom kirchlichen Opferstock unabhängigen christlichen Jugendmagazine mit Webseiten wie stoppt-pope town.de und anti­popetown.de der Kampagne ihrer Opas Pfiff. Mit den dort veröffentlichten, völlig harmlosen Aussagen verletzt die christliche Jugend­bewegung die Gefühle säkularer Jugendlicher auf eine nicht mehr hinnehmbare Weise.

Außer den Vertretern der religiö­sen Vereinigungen von Juden und Muslimen bringt kaum jemand außerhalb des Christentums Verständnis für diesen aufgeblasenen Unsinn auf. Nur abgehalfterte Katholiken wie der brasilianische Befreiungstheologe Leonardo Boff beklagen angesichts von »Popetown« den »Verfall westlicher Kultur und den Bruch des sozialen Zusammenhangs«.

Die CDU/CSU plädiert dafür, wie schon mehrfach in den vergangenen 30 Jahren, den Gotteslästerungsparagraphen 166 des Strafgesetzbuches zu verschärfen. Seit dem Jahr 1968 stellt dieser Paragraph nicht mehr die Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und »Weltanschauungsvereinigungen« grundsätzlich unter Strafe, sondern nur für den Fall, dass dadurch der »öffentliche Friede« gestört wird. Trotz dieser Reform ist das deutsche Blasphemiegesetz immer noch eines der res­triktivsten in Europa, selbst im tiefkatholischen Italien wurde der Blasphemieparagraph vollständig abgeschafft.

Der Wunsch nach »heiligen Zonen«, wie der Bund konfessionsloser Atheisten diese Bestrebungen der CDU nennt, ist der erbärmliche Versuch des deutschen Katholizismus, endlich so ernst genommen zu werden wie der Islam. Mag das deutsche Christentum die Konkurrenz mit dem Islam aufnehmen, sein einstiges Gewaltpotenzial wird es auf absehbare Zeit nicht wieder aktivieren können. Wenn diese Kampagne eines beweist, dann, dass der Katholizismus in seinen letzten Atemzügen liegt.

Wo bleibt die eschatologische Dimension des christlichen Humors? Wo bleibt das heilige Gelächter, wo die parodia sacra, die Kunst des katholischen Christentums, die bis ins hohe Mittelalter unterhaltsam und grausam sich selbst parodierte? Bereits in der Spätantike haben nur die wenigsten ganz ohne Augenzwinkern an die Story von der Auferstehung geglaubt und mussten sich mit künstlerischen Darstellungen über den Zweifel hinweghelfen. Gewalt, Körperlichkeit und Bösartigkeit, die in lustvoll inszenierten Oster-, Weihnachts- und Fastnachtsspielen ihren Ausdruck fanden und durch das heilige und sardonische Gelächter das ambivalente Verhältnis von Heilsgeschichte und der perversen Welt darstellten, haben allerdings seit der Gegenreformation im Katholizismus keinen Platz mehr.

Die mittelalterlichen klösterlichen Schwankdichtungen wurden von der Strategie der Empörung, also dem Appell an die moralische Integrität, abgelöst. Und dies ist die protestantische Kulturleistung schlechthin: Das Beleidigtsein wurde zum Kern des religiösen Bekenntnisses; die Empörung gegen Rom stand am Anfang des Lutheranismus. Doch davon wissen gegenwärtige Vertreter des deutschen Protestantismus wie der Kulturstaatsminister Bernd Neumann oder die Präsidentin des Bundes der Vertriebenen, Erika Steinbach, nichts. Anstatt in »Popetown« ein modernes Remake des Thesenanschlags zu Wittenberg zu erkennen, das urprotestantische Anliegen, nämlich die Missachtung der päpstlichen Autorität, zu begrüßen und der Serie den evangelischen Segen zu verleihen, verurteilen beide den Comic als »unerträgliche Beleidigung der überstrapazierten Gefühle«.

Dem Philosophen Xenophanes galt das Zwerchfell als der Sitz der erschütterbaren Seele und Organ des Lachens. Das Zwerchfell des Protestantismus liegt in der Moral, die für den Einzelnen durch Introspektion zwar erkennbar, aber nicht mehr zu lokalisieren sein soll. Der Protestantismus bricht mit den Gewissheiten. Sola fide – allein der Glaube ist sein Gesetz. Ist so zu erklären, warum die Gläubigen daran glauben, dass »Popetown« ihre Gefühle verletzt, obwohl sie gar nicht so genau wissen, welche?

Jedenfalls haben die Anführer der Empörten nach eigenem Bekunden die Serie gar nicht gesehen, sondern vertrauen auf die Informationen des Pseudojugendsenders. Bar jeder parodia sacra führt das Christentum nur noch das Leben einer geistlosen Kreatur, die noch gerade so zur Karikaturvorlage für einen schlechten Comic reicht. Den Blasphemieparagraphen macht die CDU selbst vollkommen überflüssig. Denn mehr als ein ungläubiges Kopfschütteln können diese christlichen Kampagnen bei den Gotteslästerern sowieso nicht mehr erzielen.