Der kurze Weg in das Finale

Die WM ist gelaufen: Holland ist Weltmeister. Wie es dazu kam? Lesen Sie den Bericht von elke wittich

Die Erde ist eine riesengroße Apfelsine. Zumindest muss sie für die Besatzung der internationalen Raumstation ISS unmittelbar nach dem Schlusspfiff so ausgesehen haben. Ein orangefarbener Nebel legte sich um den blauen Planeten, als der Sieg der Holländer bei der Fußballweltmeisterschaft besiegelt war. Freudenfeuer allerorten, Milliarden Menschen kleideten sich zur Feier des Tages in orange. Das Ende der Weltmeisterschaft ist gleichzeitig der Beginn eines neuen Zeitalters des allumfassenden Weltfriedens.

Unmittelbar nach der Gruppenauslosung schrieben niederländische Zeitungen von einem »bleischweren Los«, dabei stellte sie sich im Nachhinein als Glücksfall für Holland heraus.

Wie üblich über jede Frage zerstritten, über die man sich mit auch nur einem kleinen bisschen guten Willen zerstreiten kann, hatten die niederländischen Spieler kurz vor dem Anpfiff des Auftaktmatches gegen Serbien-Montenegro aus taktischen Gründen eine neue Art des Umgangs miteinander beschlossen. Gegenseitiger Respekt, Höflichkeit und Harmonie sollten ab sofort die Mannschaft erfüllen.

Die Idee war ein ausgewiesener Blödsinn, wie sich bereits in der sechsten Minute herausstellen sollte. Während das holländische Mittelfeld nach einem Ballverlust damit beschäftigt war, sich für den Fehler zu entschuldigen und sich gegenseitig zu versichern, dass so etwas eben mal vorkomme und doch kein Problem sei, überlistete der Stürmerstar Mirko Vucinic die ihren Kollegen interessiert lauschende Abwehr der Niederländer zum ersten Mal und erzielte das 1:0.

84 Minuten und drei Gegentore später stand fest: Die neuen Umgangsformen waren ein Flop. Trainer Marco van Basten ordnete umgehend Trainingseinheiten in den Fächern Grabenkämpfe, Stinkstiefelei und Egotripping an.

Bereits sechs Tage später war das niederländische Team wieder ganz das alte: Heillos zerstritten nahm man in Stuttgart nicht nur die Auswahl der Elfenbeinküste mit 6:1 auseinander, sondern kündigte auch noch an, den Tabellenführer der Gruppe C, Argentinien, eine Woche später fachgerecht zu zerlegen. Schließlich, so erklärte Edgar Davids, habe man mit dem Land noch eine Rechnung offen, denn aus optischen und intellektuellen Gründen untragbare Frauen einfach so zum Prinzessin-Werden in andere Länder zu schicken, gehe einfach nicht an.

Er spielte auf die aus Argentinien stammende niederländische Kronprinzessin Maxima an. Kollege Pierre van Hooijdonk widersprach ihm umgehend und kündigte an, ganz allein für die »wundervollste Kronprinzessin, die die Niederlande je hatten«, spielen zu wollen und ihr jedes Tor, das er erzielte, persönlich zu widmen.

Der folgende Krach über die Maxima-Frage im Mannschaftsquartier sorgte zwar bei den Nachbarn der niederländischen Elftaal für schlaflose Nächte, allerdings auch für eines der schönsten Spiele in der Geschichte des Fußballs. Mit traumwandlerischer Sicherheit spielten die Niederländer einander blind die Bälle zu – was auch nicht anders ging, schließlich würdigte man sich bereits seit Tagen keines Blickes mehr – und waren folgerichtig nach dem 8:1-Sieg als Gruppenerster gut eingestimmt für das Achtelfinale in Leipzig gegen den Zweiten der Gruppe D, Mexiko.

Nach dem ungefährdeten 4:0-Sieg, Pierre van Hooijdonk konnte Maxima erstmals einen Hattrick widmen, gewannen die Männer in Orange auch ihr Viertelfinale gegen den Geheimfavoriten Portugal.

Nach dem Halbfinalsieg gegen Brasilien war das Endspiel gegen die ebenfalls eine gewisse Affinität zur Farbe Orange aufweisende Ukraine nur noch Formsache. Alle fünf Treffer der Niederlande – drei davon wurden wieder Prinzessin Maxima gewidmet – sollten es schließlich in die Auswahl zum »Tor des Jahrhunderts« schaffen.

Seither ist die Welt zweifellos ein besserer Ort geworden. Die Sonne, diese orangefarbene Kugel am Abendhimmel, lächelt milde und zufrieden. »Oranje, Oranje!« und »Hup, Holland, hup!« schallt es noch immer um das weite Erdenrund.