Einfacher akkumuliert werden

Die spanische Regierung bemüht sich darum, die Arbeitsmarktreform als Erfolg für die Lohnabhängigen zu verkaufen. Von den Veränderungen profitieren aber vor allem die Unternehmen. von thorsten mense

Nach dem Wahlsieg der sozialdemokratischen PSOE vor zwei Jahren verkündeten die Sieger, nun sei die Zeit des »sozialen Dialogs« und der »Gerechtigkeit und Gleichberechtigung« gekommen. Der jetzige Innenminister Miguel Ángel Moratinos sprach damals sogar von einer »konstruktiven Revolution«. In der Tat kann man vor allem nach der achtjährigen Regierungszeit der katholisch-konservativen Volkspartei einen politischen Wechsel erkennen. So setz­te Regierungschef José Luis Rodríguez Zapatero vergangenes Jahr unter anderem die vollständige gesetzliche Gleichbehandlung gleichgeschlechtlicher Paare gegen den erbitterten Widerstand von Kirche und Opposition durch.

Allerdings erscheinen manche der Reformen nur auf den ersten Blick progressiv. Meist beinhalten sie Verschlechterungen für die Betroffenen. So war es schon bei der Legalisierungskampagne für Menschen ohne Papiere vor einem Jahr. Illegalisierten Migranten die Möglichkeit eines legalen Aufenthalts zu geben, das klingt gut. Allerdings ist die Legalisierung an Bedingungen geknüpft, die die Migranten noch stärker in die Abhängigkeit von Arbeitgebern drängen. Die mehr als 700 000 sin papeles, die die Bedingungen nicht erfüllen konnten oder wollten, befinden sich heute in einer noch schlechteren Lebens- und Arbeitssituation.

Nun feiert die Regierung Zapatero den nächsten großen sozialen Coup. Am Dienstag vergangener Woche beschlossen die Regierung, die beiden großen Gewerkschaften CCOO und UGT sowie der Arbeitgeberverband CEOE eine Arbeitsmarktreform, deren vorrangiges Ziel es ist, befristete Arbeitsverträge in Festanstellungen umzuwandeln.

Auf dem spanischen Arbeitsmarkt sind Zeitverträge weit verbreitet. Über fünf Millionen Spanier müssen mit derart ungesicherten Arbeitsverhältnissen leben, das ist ein Drittel der arbeitenden Bevölkerung. Damit liegt das Land weit über dem europäischen Durch­schnitt von 15 Prozent. Berufseinsteiger bekommen in der Regel nur noch solche Zeitverträge, die dann bei Bedarf von den Unternehmen verlängert oder erneuert werden. So können sich die Unternehmer elegant vor der Verantwortung gegenüber den Arbeitnehmern drücken, die in diesen befristeten Arbeitsverhältnissen kaum rechtliche Ansprüche anmelden können.

Aufgrund der nun verabschiedeten Reform, die Zapatero vollmundig als »historischen Schritt« und »ausschlaggebenden Erfolg« seiner Legislaturperiode bezeichnete, müssen ab 1. Juli Zeitverträge in unbefristete Verträge umgewandelt werden, sofern sie bestimmte Voraussetzungen erfüllen. So muss ein Arbeiter mindestens 24 Monate innerhalb von 30 Monaten in einer Firma auf dem gleichen Posten gearbeitet haben, um Anspruch auf eine feste Stelle zu erlangen. Diese Anforderung werden die wenigsten Arbeiter erfüllen können, denn meist gibt es Unterbrechungen zwischen den einzelnen Zeitverträgen, so dass die erforderlichen zwei Jahre selten erreicht werden. Zudem können Unternehmen durch interne Versetzung der Lohnabhängigen die Festanstellung leicht verhindern.

Der restliche Teil des »Abkommens über die Verbesserung des Wachstums und der Arbeit« entlastet fast ausschließlich die Un­ternehmer. Denn für die umgewandelten Verträge wird der in Spanien sowieso kaum vorhandene Kündigungsschutz noch weiter abgebaut. Anstatt der bisher üblichen Entschädigung von 45 Tageslöhnen pro ge­arbeitetem Jahr gibt es nun bei einer Entlassung nur noch 33 Tageslöhne. Zudem bezuschusst der Staat die Umwandlung von befristeten Verträgen in unbefristete bis Ende des Jahres mit 3 200 Euro pro Stelle. Unabhängig davon dürfen sich die Unternehmer auch noch über 4,2 Milliarden Euro jährlich freuen. Denn mit der Reform ist auch eine Senkung der unternehmerischen Sozialversicherungsbeiträge verbunden.

Die anarcho-syndikalistische Gewerkschaft CNT bezeichnet die Reform daher auch als einen »schwer wiegenden Anschlag auf die Interessen der Arbeiter«. Sie führe zu »billigeren Entlassungen, Sub­ven­tionen und Begünstigungen für die Unternehmer und zu mehr Pre­karität für die Lohn­abhängigen«. Auch einige interne Kritiker der größten spanischen Gewerkschaft CCOO, deren Mitglieder zu 80 Pro­zent für die Reform gestimmt hatten, sehen ebenfalls keine Verbesserungen: »Die negativs­ten Aspekte der vorherigen Arbeitsreformen werden gestärkt und Arbeitslosigkeit und Prekarität nicht gemindert«, schreiben sie in einer Stellungnahme. Gewerkschaften und linke Gruppen haben daher Proteste angekündigt. Am 10. Juni soll es eine große Demonstration in Madrid geben. Be­reits am 1. April hatten in der Haupt­stadt 5 000 Menschen gegen die Arbeits­markt­reform demons­triert, auch auf den Kundgebungen am 1. Mai riefen die Teilnehmer zu Protesten auf.

Zapatero hingegen ist davon überzeugt, im Sinne der Arbeiter zu handeln, eigentlich sollte die Reform sogar pünktlich zum Tag der Arbeit verabschiedet werden. Denn der Regierungschef spielt gerne die Rolle des sozialen Helden und will vermitteln, dass in Spanien keine Streiks und Straßenkämpfe wie in Frankreich nötig seien, um die Regierung dazu zu bewegen, gegen pre­käre Verhältnisse vorzugehen. Die Reform »wurde nicht als Antwort auf eine Situation der Krise durchgesetzt, sondern um die gute Entwicklung der spanischen Wirtschaft zu verlängern«, sagte Zapatero. Sie werde die Produktivität steigern und »die Akkumula­tion menschlichen Kapitals vereinfachen«.

In Spanien konnte in den letzten zehn Jahren die Arbeitslosigkeit auf neun Prozent gesenkt und damit fast halbiert werden. Von den jährlich 400 000 neuen Jobs sind jedoch bisher 90 Prozent Zeitverträge. Arbeitsminister Jesús Caldera geht davon aus, dass durch die Reform 1,5 Millionen neue feste Arbeitsplätze geschaffen werden, der Arbeitgeberverband CEOE sprach hingegen nur von »ziemlich vielen« Arbeitsplätzen.

Während sich Unternehmer, Gewerkschaftsführer und Regierungsvertreter in Madrid die Hände schütteln, findet der Arbeitskampf in vielen Regionen bereits statt. Mehrere Hundert Angestellte der großen Supermarktkette Mercadona befinden sich seit über 50 Tagen im Streik. Im VW-Werk in Pamplona protestiert die Belegschaft seit Monaten gegen Entlassungen und neue Tarifverträge, der Vorstand von Volkswagen prüft Medienberichten zufolge we­gen der häufigen Streiks derzeit eine Schließung des Werks. Vergangene Woche wurden bei Pro­testen von streikenden Metallarbeitern in der nordspanischen Hafenstadt Vigo 27 Menschen verletzt und 16 festgenommen. Mit der »Kontra-Reform«, wie sie von Kritikern genannt wird, werden die Proteste sicher nicht weniger werden.