Der Traum vom Auswärtsspiel

Immer mehr junge Rap- und Reggaeton-Musiker in Kuba träumen von Erfolg und Anerkennung. Die staatliche Kulturpolitik kann sich zwischen Förderung und Zensur nicht entscheiden. von dinah stratenwerth (text) und harry thomass (fotos)

Musik erschallt auf dem Malecon, der Strandpromenade in Havanna: Stimmen, ein Beat, eine eingängige Melodie. Touristen bleiben neugierig stehen und betrachten die drei jungen Männer, die ein paar hundert Meter der berühmten kubanischen Strandpromenade mit ihren Klängen beschallen: Ernesto* und Emilio* rappen mit kräftigen, vollen Stimmen und Alfredo*, zurückhaltend im Hintergrund, ist das lebende Schlagzeug. Mit Lippen und Zwerchfell erzeugt er immer neue Rhythmen. Reggae-Singsang wechselt sich mit aggressivem Rap und kunstvollem Zungenbrecher-Sprechgesang ab. Mit großer Leich­tigkeit spult Ernesto blitzschnell ein paar Sätze ab, jedes Wort ist zu verstehen.

Als die Vorstellung zu Ende ist, preisen die drei ihre CD an. Auf dem Cover sieht man Ernesto und Emilio mit Sonnenbrillen, weiten T-Shirts und Tüchern um den Kopf, die Arme verschränkt und die Köpfe gelangweilt schief gelegt, als ginge sie das alles nichts an. Die Tou­risten sind beeindruckt und machen Fotos. Da kommt ein Polizist vorbei und verlangt von den beiden jungen Musikern, sich auszuweisen. Sofort haben sie ihre Ausweise einer staatlichen Künstlervereinigung bereit. Nach einem kurzen, von anfänglichem Misstrauen geprägten Gespräch ist der Beamte zufrieden und zieht ab. Auch die Touristen sind inzwischen weitergeschlendert. »Ist nicht leicht«, meint Emilio lakonisch. Ein typischer Ausspruch, voller Resignation und Trotz.

Ernesto und Emilio sind zwei von vielen. Rund 500 Rapper-Gruppen soll es in Kuba geben. Den wenigsten gelingt es, von der Insel wegzukommen und sich international einen Namen zu machen. Der kubanische Staat reglementiert die Musikproduktion, und ohne Unterstützung einer staatlichen Behörde geht gar nichts. Zudem müssen die Sprechkünstler immer aufpassen, was sie sagen. Nur »gesunde Inhalte« sind erlaubt. Auch um aufzutreten brauchen die Rapper staatliche Ausweise. Ernes­to und Emilio sind Mitglieder der staatlichen Künstlervereinigung UNEAC.

»Wir müssen raus aus Kuba«, seufzt Emilio. Wie die Band »Orishas«, die sich 1998 in Paris neu gründet und es weltweit zu Ruhm gebracht hat. Um Kuba verlassen zu können, hätten die sich angepasst, meint der Malecon-Rapper. Sie nannten sich ursprünglich »La Amenaza« (Die Drohung). Damals seien ihre Texte noch kritischer gewesen, meint Emilio. Um berühmt zu werden, hätten sie ihre Worte und ihren Namen geglättet. »Orishas« sind die Heiligen der Santeria, der afro-kubanischen Religion. Traditionsbewusst, aber nicht kritisch. Das hatte Erfolg.

Auch die drei Jungs von »Habana 100%«, Yassel, Juliet und Cesar, sollen ihren Namen ändern. Sie kommen aus Santiago de Cuba im Osten der Insel und wollen Mitglied der Asociacion Hermanos Saiz (AHS) in Havanna wer­den. Die Nichtregierungsorganisation, die vom kubanischen Kultusministerium unterstützt wird, hilft kubanischen Künstlern, die jünger als 35 Jahre alt sind und vermittelt Studios, Kontakte, Auftritte. In allen 14 Provinzen Kubas hat die AHS Büros, etwa 3 500 Künstler, Mu­siker ebenso wie Schriftsteller und Maler, sind Mitglieder. Yassel und seine Kollegen hoffen, mit ihrem Stilmix gut anzukommen. Sie mischen in ihren Songs HipHop, tanzbaren Merengue und kräftigen Reggaeton.

Das erste Vorstellungsgespräch der drei bei der AHS verlief viel versprechend. Supermusik, hieß es, nur der Name solle bitte geändert werden, er sei nicht kubanisch genug. Die drei grübeln lange. Etwas noch kubanischeres als »Habana 100%« will ihnen nicht recht einfallen. Sie verwerfen die Namensdiskussion zunächst, Wichtigeres steht an: Der Termin in einem unabhängigen Studio, wo sie ein paar Songs aufnehmen können.

Seit einigen Jahren stehen den Rappern in Kuba bessere technische Möglichkeiten zur Verfügung. Das Schneiden der Aufnahmen kann mit dem Computer erledigt werden, auch die Beats kommen aus dem Rechner. Vorher griffen viele Rapper auf Karaoke zurück, um nicht a capella singen zu müssen. Und die Bänder mussten sie mühsam mit der Schere zusammenschnippeln. Auch das seit 1996 verfügbare Internet hat neue Spielräume eröffnet. Aller­dings ist der Zugang seit 2004 gesetzlich eingeschränkt. Nur Funktionäre und Ärzte dürfen legal zu Hause surfen, in Schulen und Betrieben wird die Benutzung streng überwacht. Die Internetcafés sind den Touristen mit ihren Devisen vorbehalten.

Yassel und Juliet nutzen das Internet daher kaum, dennoch kommt ihnen die dadurch zur Verfügung stehende Musiksoftware zu Gute: Die Musik für ihre Aufnahme haben sie in Santiago bereits auf eine CD gebrannt, nur ihre Stimmen fehlen noch. Die beiden sind aufgeregt, als sie sich früh am Morgen an der Eisdiele treffen. Sie waren noch nie in dem Studio, und es liegt etwas außerhalb. Tatsächlich erleben sie eine Odyssee, bis sie gegen Mittag ankommen. Zwei Busse und ein Sammeltaxi bringen sie an den Stadtrand Havannas. Unterwegs an der Bushaltestelle denkt sich Juliet ein neues Lied aus: »Wenn Du wüsstest, was ich gerade durchmache, verstündest Du vielleicht, wovon ich singe.« »Es ist nicht leicht«, sagt auch Yassel.

In dem Vorort sind die Straßen nicht mehr geteert, kleine Häuser reihen sich aneinander, Palmen wachsen am Straßenrand. Nach vielen Nachfragen ist schließlich das Studio gefunden: Zuerst in einen Hof, an einem Haus vorbei, vor dem die Wäsche trocknet, dann um den Stall herum, durch einen weiteren kleinen Hof, in dem Windeln in einem Topf einweichen, über eine wackelige Eisen­stiege aufs Dach. Dort, in einem kleinen Betonraum mit Wellblechdach, nicht größer als acht Quadratmeter, befindet sich das Studio. Die Einrichtung besteht aus zwei Stühle hinter einem Computer und einer Anlage, davor stehen ein Mikro und eine Bank.

Hinter dem Computer sitzt Yoeslan Pérez und mixt blitzschnell zusammen, was vor ihm ins Mikro gerappt wird. Er ist fast überall dabei, wo in Kuba Musik gemacht wird: Als Sprecher beim staatlichen Radiosender Cadena Havanna, als DJ und bei einer spanischen Produk­tionsfirma. Nebenbei produziert er auf seinem Hausdach Musik. Ob das legal ist, weiß er nicht, aber er meint: »Ich kenne viele Leute, die das machen, und bis jetzt hat noch keiner Probleme gehabt.«

Eine Stunde Produktion kostet zehn Dollar. Das entspricht für viele Kubaner etwa einem Monatslohn. Auch Yassel und Juliet tut die große Ausgabe weh, aber es ist eine Investition in ihre Zukunft.

Zappelig stellt sich Yassel vor dem Mikrofon auf. Der Traum, berühmt zu werden, ist seinen Augen abzulesen. Der Refrain wird zuerst aufgenommen: »Sie will mehr Sex, Yassel!« Obwohl das kein politischer Text ist, bewegt er sich an der Grenze dessen, was in Kuba erlaubt ist. Der Produzent Pérez erzählt, dass er Reggaeton mit seinen häufig doppeldeutigen Texten im Radio nicht mehr spielen dürfe. »Das haben sie mir einfach verboten«, sagt er spöttisch.

So endet für viele Musiker in Kuba der Traum vom Erfolg. Ist ein Lied weder im Radio noch im Fernsehen zu hören, kann es nur schwer bekannt wer­den. Manche suchen daher ihr Glück via Internet: Die Reggaetonband »Los tres gatos« (Die drei Katzen) wird vor allem von US-Amerikanern in Miami über Internetradio gehört. Für Kuba sind die Texte der drei zu deftig.

Yassell und Juliet denken, dass ihr Text »Sie will mehr Sex« harmlos genug ist. Yoeslan Pérez mischt den Refrain ab und der nächste Teil des Liedes steht an: Jetzt rappt Juliet. Seine Stimme ist viel tiefer als Yassels, nach­drück­lich singt er die Worte ins Mikrofon. Am Schluss müssen alle noch ihre Namen rappen, das ist sehr wichtig beim Reggaeton, erklärt Pérez.

So erkennen die Zuhörer die Gruppen wieder. »Wir wollen Musik machen, die sich gut verkaufen lässt«, sagt Yassel. Er ist noch nicht zufrieden mit der Aufnahme, würde das Ganze am liebsten gleich noch mal wiederholen. Aber das muss bis zum nächsten Tag warten, denn jetzt ist eine andere Gruppe an der Reihe. Bis zu fünf Gruppen produzieren an manchen Tagen in dem Dachstudio, die meisten machen Reggaeton und HipHop.

Wenn sie erstmal Mitglieder der AHS sind, werden Yassel und Juliet diese Organisationsprobleme nicht mehr haben: Die Vereinigung stellt ein richtiges Studio zur Verfügung und dreht ­Videoclips mit den Bands. Aber das Wichtigste ist, sie schickt sie ins Ausland. Wegzukommen aus Kuba, möglichst wie die »Orishas« eine ausländische Produktionsfirma zu finden, das ist der Traum aller jungen Rapper in Havanna. Produziert eine ausländische Firma eine kubanische Band, fordert der kubanische Staat Abgaben. Deshalb behaupten böse Zungen, es sei sehr gerne gesehen, dass die jungen Musiker außerhalb Kubas Alben aufnehmen.

Für Ernesto und Emilio scheint das Ausland unerreichbar. Ernesto hat die Reise schon einmal angetreten: Auf einem Floß gelangte er in die USA. Ein Freund starb auf dem Weg, in den Vereinigten Staaten landete Ernesto schließ­lich im Knast. So will er es nicht noch einmal versuchen. Lieber arbeitet er auf Kuba weiter an seinem zungenbrecherischen Sprechgesang.

Inspiration sei für die beiden jede Art von Musik: von Mariachi-Gesängen, die sie hervorragend nachahmen können, über internationale Popmusik bis zur klassischen Trova Kubas. Aus dem Stegreif geben sie ein Ständchen mit zwei Gitarristen, indem sie den berühmten »Chan Chan« mit Rap vermischen. Und es klingt gut: Die Melodie, die alle Welt aus dem »Buena Vista Social Club« kennt, har­moniert mit Emilios kernigem Rap. Ernesto hat bereits mit der erfolgreichen Reggaeton-Gruppe »Candyman« zusammen gearbeitet – und sich mit ihr überworfen. Ernesto und Emilio seien viel zu sehr »underground«, heißt es in der Szene, um von Kuba wegzukommen. Die beiden Rappper bestreiten das. »Wir machen nicht solche Schmuddeltexte wie die US-Rapper«, ereifert sich Emilio, »hier auf Kuba sind wir gut erzogen«.

Abgrenzung von den USA war ein wichtiger Schritt in der Geschichte des kubanischen Rap. Erst in den neunziger Jahren, nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und dem Beginn der entbehrungsreichen »Spe­zialperiode« in Kuba, begann sich eine eigene Szene herauszubilden. So weit die Zensur es zuließ, dichteten die Wortkünstler Texte über ihre alltäglichen Probleme. Oder sie reim­ten leise für sich, im heimischen Wohn­zimmer. Zum Beispiel über Erfahrungen mit der Polizei. »Einmal wurden wir festgenommen, einfach so, weil wir uns einen halben Block von unserer Wohnung entfernt nicht ausweisen konnten«, sagt ein Musiker. »Darüber haben wir ein Lied gemacht. Aber nur für uns. Denn wenn du so was laut singst, bleibst du für den Rest deiner Tage im Knast.«

Trotz der Zensur akzeptierte der kubanische Staat die neue Musikform im Laufe der neunziger Jahre immer mehr. 1995 rief die AHS zusammen mit dem Kulturzentrum Osthavannas das Rapfestival Alamar ins Leben. Der eher arme Bezirk Alamar im Osten Havannas gilt als Geburtsstätte des kubanischen Rap. Seither ist das jährlich stattfindende Festival eine Pflicht für alle Rapper: Sie können die Konkurrenz besichtigen und treffen internationale Gäste, in der Hoffnung, gute Kontakte zu schließen.

Während Emilio und Ernesto diese Kontakte noch immer fehlen und Yassel und Juliet sie durch die AHS zu fin­den hoffen, hat Skiudys es geschafft. Er kann im Herbst zum ersten Mal in Mexiko auftreten. Skiudys ist aus Guantánamo und dort seit vier Jahren Mitglied der AHS.

Die Künstlervereinigung unterstützt laut eigener Aussage »Musiker, die gesunde Musik machen und Alternativen bieten«. Skiudys will jedoch an seinem Stil und seiner Musik keine Abstriche machen. »Ich mache keinen Reggaeton, das ist mir zu kommer­ziell«, betont er. Sein Stil ist unverfälschter Rap, und überraschend ehrlich sind auch seine Texte: »Bildung auf einem hohen Niveau, aber das wirkliche Problem ist das soziale Niveau, Armenviertel, Kinder, die Rotz spucken, aufgeblähte Bäuche, Unterernährung.«

Vielleicht darf Skiudys all das sagen, weil er es innerhalb der Revolution verortet. Denn die will er verwirklicht sehen: »Wenn du meine Lieder hörst, wirst du merken: ›Hasta la victoria siempre‹ ist nicht nur ein Spruch.« Mit seinem ehrlichen Stil ist er erfolgreich. Er ist schon oft aufgetreten und wurde dafür gut bezahlt. Über 1 000 kubanische Pesos hat er für einen Gig bekommen, das fünffache des durchschnittlichen Monatslohns. Trotz des vergleichsweise hohen Lohns sieht Skiudys sich an der Seite der Armen und Ausgeschlossenen: »Die gibt es nämlich auch auf Kuba.« Das erste Album, das er zusammen mit seinem Kollegen Abel aufgenommen hat, heißt dementsprechend »Los Marginados« – Die Marginalisierten.

Wollen auch viele Skiudys’ Songs hören, so ist der Erfolg des kommerzielleren Reggaeton doch größer. Die 2002 auf Ini­tiative der AHS gegründete »Kubanische Rapagentur« unterstützt heute fast nur noch Reggaeton. Der Beat ist in ganz Lateinamerika in Mode und verkauft sich besser als Rap. Dass er dennoch auf Radio Cadena Havanna, wo Yoeslan Pérez die Ansagen macht, nicht gespielt werden darf, ist einer der vielen Widersprüche des kubanischen Systems.

Und auch die Rapper selbst sind voller Widersprüche. Denn so eingeschlossen sie sich fühlen in ihrem System, so sehr schätzen sie es. »Sozial ist Kuba das beste Land der Welt, aber politisch und ökonomisch nicht«, wägt Skiudys ab. Und Ernesto und Emilio haben ein Lied über die Revolution gemacht, das übersetzt etwa so lautet: »Auch wenn viele mich kritisieren oder verfluchen, werde ich kämpfen bis zum Tod, denn (die Revolution) schickte mich in die Schule und gab mir eine Perspektive .«

Präsident Castro nennen Emilio und Ernesto »Vater Fidel«. Was wird ohne ihn aus Kuba? Ernesto wird sehr nachdenklich. »Was ist das Besondere hier?«, fragt er und beantwortet seine Frage gleich selbst: »Die Solidarität, die Sicherheit, der Zusammenhalt. Das alles wird verschwinden, wenn Fidel nicht mehr da ist.« Skiudys sagt, er sei »auf alles vorbereitet«. »Die Kubaner interessieren sich nicht für Politik. Sie sind keine Kommunisten, sondern Fidelisten.« Und seiner Meinung nach kann es keinen neuen Fidel geben. Mit seinem Kollegen Abel gerät er in eine Diskussion, denn dieser meint, es gäbe sehr wohl einen Nachfolger. Den habe Fidel sich schon herangezüchtet. Er wünscht sich eine »kooperativistischen Staat« nach Fidel, und für sich selber das, was alle wollen: die Möglichkeit auszureisen. Allerdings ohne seine Familie, denn seine Tochter soll in Kuba zur Schule gehen.