Die Abstauber

Biedermänner und Schmarotzer von stefan ripplinger

Die Erinnerung verklärt alles. Margaret Thatcher steht heute vor uns als eine coole Zerstörerin. Sie zerschlug den Sozial­staat samt Gesundheitswesen und öffentlichem Verkehr, demoralisierte die Gewerkschaften, trieb die Inflation in die Höhe und verdoppelte die Zahl der Arbeitslosen. Hatte sie es aber nötig, wie das deutsche Wirtschaftsministerium von ihren Opfern als von »Parasiten« zu sprechen? Ich erinnere mich, dass sie ausrief: »Das Gute wird siegen!« Vielleicht meinte auch sie mit dem Bösen das Gezücht der Hölle, die Schmarotzer?

Möglich, aber nicht sehr wahrscheinlich. Die Guten waren in Thatchers Kapitalismus die Rücksichtslosen. Es waren die, die sich nicht in der Schlange anstellen. Es waren die, die sich nehmen, was ihnen nicht gehört. Es waren kurz gesagt die Schmarotzer, die sich am Mehrwert gütlich tun.

In Deutschland hingegen gebärden sich die Gewinner als Biedermänner. In ihren Augen sind sie fleißig wie die Bienen und verbrauchen nur den Honig, den sie selbst erzeugt haben. Den Armen aber gönnen sie nicht einmal das bittere Hartz. Während das pseudonietzscheanische Übermenschengepolter der Nazis längst verhallt ist, ist deren Untermenschen- und Ungeziefer-Rhetorik nie in Vergessenheit geraten. Dass die deutschen Sozialingenieure gerne Parasiten, Schmarotzer, Heuschrecken, Ratten imaginieren, ist die natürliche Folge ihrer Angst, es könnte herauskommen, wer in Wahrheit hinter den Gemeinheiten steckt, nämlich sie selbst. – Oder sagen wir, da sie selbst nur Nullen sind, die nichts wollen können, das System, der Kapitalismus, dessen Diener sie sind. Schmarotzer sind immer die Anderen.

Und das gilt übrigens auch für die Sozialrevolutionäre, ob nun scharf links oder scharf rechts. Auch sie müssen ja überall den schlangenhaften Verschwörer, den Börsenmakler, den Schmarotzer, die CIA oder den Juden wittern – weil sie grundehrliche Kerls sind. So wie die »Anständigen«, die wiederum gegen diese einen »Aufstand« anzetteln. Hie ehrliche Arbeit, da Schmarotzertum und Heimtücke, hie Biedermann, da Bandwurm – so wird das Stück in Deutschland inszeniert. »Das Gute wird siegen«, hieß bei Thatcher, der Unverschämte, Freche, Listige wird sich nehmen, was er kriegen kann. Enrichissez-vous, liebe Schmarotzer! In Deutschland bedeutet derselbe Satz: »Ich, Eichmann, habe meine Pflicht getan. Tut eure Pflicht! Unser Unglück sind die Würmer.«

Nun frage ich mich, was schlimmer ist. Nein, ich weiß es. Es fängt mit der Metapher an. Nur ein Zwangscharakter kann vergessen, dass nicht nur Myriaden von Bakterien an ihm schmarotzen, sondern dass auch er selbst von Kind auf schmarotzt. Das Kind schmarotzt an der Mutterbrust, der Teenager am Taschengeld, der Mann an der Frau und hoffentlich umgekehrt. In Wahrheit haben wir uns, jenen ewigen Kampfspruch der Schmarotzer, Tataren und Aliens auf den Lippen: »Macht euch die Erde untertan!«, auf dieser eingenistet und futtern ihre guten Gaben weg. Die Erde selbst aber hat sich an die Sonne drangehängt und kreist nun schon seit einiger Zeit um sie, als ob sie dazugehörte. Das Beispiel hat Schule gemacht, und der Mond läuft uns hinterher wie ein herrenloser Hund. Ich nenne ihn Yuppie.