Schlusspfiff!

Fußball und Politik von martin krauss

Stopp, Aus, Ende. Für was Jürgen Klinsmann steht, mag man nicht mehr lesen. Ob der Bundestrainer den Neoliberalismus oder das Linksliberale repräsentiert, ob er fußballerischer Wiedergänger von Frau Merkel oder von Herrn Schröder ist und ob mit dem Mann, dessen Hauptwohnsitz in Kalifornien liegt, die Nation vor der Abschaffung oder vor einem besonders perfide daherkommenden Bedeutungszuwachs steht, all das ist nicht mehr interessant. Es war vor zehn oder zwanzig Jahren richtig, die ärgerliche deutsche Mär, Fußball habe mit Politik nichts zu tun, zu stören, indem man mit den damals kursierenden Theorien, Herberger entspräche der Ära Adenauer, Derwall derjenigen Kohls, auf den einen oder anderen Zusammenhang hinwies. Heute aber, im Jahr 2006, ist einiges anders.

Das Berliner Hotel Adlon lässt seine Präsidentensuite, in der noch vor vier Jahren ­George W. Bush residierte, luxuriöser gestalten, denn jetzt kommt der Präsident der Fifa, Sepp Blatter. Die deutsche Polizei wird während der WM Staatsgäste wie üblich eskortieren, eine Blaulichtbegleitung, die Ampeln außer Kraft setzt, erhält jedoch nur einer: Sepp Blatter. Heute ist offensichtlich, welche Weltmacht der Fußball darstellt. Die Fifa kapert auf eine bislang nicht vorstellbare Weise den öffentlichen Raum in der Bundesrepublik. Und der Staat macht aus Ehrfurcht vor dem Arbeitsplätze verheißenden Weltereignis alles mit, was die Fifa von ihm verlangt.

Selbstverständlich ist es richtig, dass nicht nur der Fußball nicht vom Himmel gefallen ist, sondern auch seine jeweilige Erscheinungsform historisch bedingt ist. Selbstverständlich kann man analysieren, warum die deutsche Nationalmannschaft im Jahr 2004 in eine Krise schlidderte, die mit dem Ausscheiden bei der Europameisterschaft ihren Ausdruck fand. Das hängt mit verpassten und verschlafenen Innovationen zusammen: dass in anderen Ländern moderner trainiert, gründlicher gesichtet, Spielsysteme umgekrempelt und manchmal sogar die Rolle des Torwarts neu definiert wird.

Aber lassen sich Analogien zwischen der Stellung der deutschen Nationalmannschaft im Weltfußball und der deutschen Nationalökonomie auf dem Weltmarkt herstellen? Es ist sicher nicht falsch, den 2004 berufenen Bundestrainer Jürgen Klinsmann einen liberalen Reformer zu nennen: Er ist jemand, der einerseits gegen eine nationalistische und für eine weltläufige Ausrichtung steht und der andererseits »Besitzstände« aufkündigt, um dem Prinzip der kapitalistischen Konkurrenz auch auf dem Fußballplatz zur Geltung zu verhelfen.

Lassen wir die bescheidene Möglichkeit, mit Gedanken über Klinsmann Gehör zu finden, lieber von einer Persönlichkeit nutzen, die ähnlich ambivalent ist wie der Bundestrainer. Von einem Mann, der auch auf dem Weltmarkt reüssiert, der seinen privaten Lebensmittelpunkt ins Ausland verlegt hat, um vor der deutschen Enge zu fliehen, und der gleichwohl stets als Repräsentant Deutschlands wahrgenommen wird. Dieser Sportler sagt: »Das deutsche Team auf die alte Formel Kampfgeist und Zusammenhalt reduzieren zu wollen, ist mir zu plump. Die Mannschaft ist in ihrer Entwicklung nicht stehen geblieben; sie hat sich mit dem Sport gewandelt – sie ist modern und kosmopolitisch geworden, und dass sie trotzdem einen anderen Stil pflegt als andere Teams wie zum Beispiel Brasilien, ist doch nur normal.« Der Autor dieser Sätze, der siebenfache Formel-1-Weltmeister Michael Schumacher, versteht vom Sport mehr als so mancher, der in »Klinsi« die »Angi« oder den »Gerd« erblicken möchte.