Alarmstufe Rot

Der Deutschland-Hype ist alles andere als harmlos. Der renovierte deutsche Nationalismus tritt je nach Möglichkeit mal militärisch auf und mal als ­diplomatische Sabotage. von alex feuerherdt

Man könnte es kurz machen und sich dem allgegenwärtigen Schwarz-Rot-Gold schlicht mit der Begründung verweigern, dass es schon immer mordsgefährlich war, wenn Deutsche ihre Einigkeit zu Hunderttausenden zelebrieren. Aber geht es derzeit nicht bloß um Fußball? Feiern nicht alle zusammen ein friedliches und fröhliches Fest? Sollen die Deutschen nicht genauso das Trikot »ihrer« Nationalmannschaft tragen und »ihre« Fahne aus dem Fenster hängen dürfen wie Engländer, Franzosen oder Brasilianer auch?

Drei Mal Nein! Es geht mitnichten nur um einen sportlichen Wettkampf, denn ansonsten würde in der Politik und den Feuilletons nicht so erfreut zur Kenntnis genommen, dass »auf der Straße und in den Stadien die verdruckste Scham im Umgang mit nationalen Symbolen offenbar einem unverkrampften Verhältnis gewichen ist« (Der Spiegel), dass also politischer Mehrwert aus der Weltmeisterschaft gezogen werden kann. Die Feierlichkeiten können jederzeit in ihr Gegenteil umschlagen, wenn eine Meute von Deutschland-Fans, sei es im Hochgefühl des Triumphs, sei es aus Frust über ein vorzeitiges Ausscheiden der Klinsmänner, sich berufen fühlt, ihr Mütchen an Nichtdeutschen zu kühlen. Und zwischen den Symbolen des postnazistischen Deutsch­lands und denen etwa der Alliierten oder der von Deutschland überfallenen Staaten gibt es himmelweite Unterschiede.

Karl Marx wusste schon 1846 in der »Deutschen Ideologie« zu benennen, was den deutschen Nationalismus zu einer besonders gefährlichen Form notwendig falschen Bewusstseins macht: »Wenn die nationale Borniertheit überall widerlich ist, so ist sie namentlich in Deutschland ekelhaft, weil sie hier mit der Illusion, über die Nationalität und über alle wirklichen Interessen erhaben zu sein, denjenigen Nationalitäten entgegengehalten wird, die ihre nationale Borniertheit und ihr Beruhen auf wirklichen Interessen offen eingestehen.« Auch 160 Jahre später hat diese Feststellung nichts von ihrer Gültigkeit verloren, selbst wenn sich zwischenzeitlich Staatsform und Staatsräson mehrmals gewandelt haben.

Falsch liegt, wer im derzeitigen Deutschland-Hype nur alte Muster erkennt und vor einem »Vierten Reich« warnt. Denn die nationalsozialistische Vergangenheit ist nicht mehr Bürde, sondern moralische Verpflichtung: Sie wird nicht mehr verschwiegen, sondern nutzbar gemacht, und zwar spätestens seit Rudolf Scharping im Kosovo Konzentrationslager entdeckte und Joschka Fischer ein »zweites Auschwitz« verhindern wollte. Das nationale Symbol für dieses neue Selbstverständnis ist das Holocaust-Mahnmal in Berlin. Es kündet gerade nicht davon, dass ein Schlussstrich unter die Geschichte gezogen wurde; vielmehr wird die Beschäftigung mit ihr perpetuiert, weil der Verweis auf sie die Legitimationsgrundlage dafür ist, ganz unbeschwert und unbefangen deutsch sein zu können.

Vor diesem Hintergrund gingen hierzulande Hunderttausende gegen den Irak-Krieg auf die Straße, ärgern sich zwei Drittel der Deutschen darüber, dass ihnen »auch heute noch die Verbrechen an den Juden vorgehalten werden«, und meinen genauso viele, Israel führe einen »Vernichtungskrieg gegen die Palästinenser«. Vor diesem Hintergrund funktioniert auch das Appeasement gegenüber Islamisten und Massenmördern wie Saddam Hussein. Deutschland hat sich zur »Friedensmacht« erklärt und fühlt sich deshalb im Recht, aggressiv diejenigen anzuklagen, die man für die eigentlichen Kriegstreiber hält: die USA natürlich, Israel und zuvor die Serben.

Gefährlich an diesem renovierten deutschen Natio­nalismus, der als Antinationalismus daherkommt, ist, dass er je nach Möglichkeit mal militärisch und mal als diplomatische Sabotage auftritt: Plädoyers für Verhandlungen mit der Hamas und der »kritische Dialog« mit den iranischen Mullahs beispielsweise richten sich gegen diejenigen, die Verhandlungen mit und Beziehungen zu eliminatorischen Antisemiten ablehnen, weil sie um die mörderischen Konsequenzen wissen.

Die Feinde der Deutschen sind genau­so die alten geblieben wie die Verbünde­ten, nur hat die Begründung dafür gewissermaßen ein Update erfahren. Es braucht gar keinen direkten Griff nach der Weltmacht: Indem deutsche Regierungen mit denjenigen verhandeln oder sogar paktieren, die den USA und Israel Tod und Verderben wünschen, schwächen bzw. gefährden sie letztere. Diese Politik erfährt in der deutschen Bevölkerung große Unterstützung. Ein na­tio­naler Taumel wie bei einer WM kommt da sehr gelegen, um diese Formierung weiter zu beschleunigen.