Shoot before you look!

Die Berichte über Menschenrechtsverletzungen, die von US-Truppen begangen wurden, haben Präsident Bush kaum geschadet. Den Tod Zarqawis will die Regierung für eine politische Offensive nutzen. von william hiscott

Die Zahl der im Irak getöteten US-Soldaten hat 2 500 überschritten, die Kosten des Einsatzes werden auf mehr als 320 Milliarden Dollar geschätzt, und gute Nachrichten waren in den vergangenen Monaten nur selten zu vernehmen. Um so größer dürfte die Freude im Weißen Haus gewesen sein, als die Regierung in der vorletzten Woche den Tod Abu Musab al-Zarqawis, des Anführers der al-Qaida im Irak, verkünden konnte.

Präsident George W. Bush war vorsichtig genug zu betonen, dass dies keineswegs das Ende des Krieges im Irak bedeute. Der könne vielmehr, wie ein hochrangiger Vertreter des Pentagons ergänzte, noch zehn Jahre weitergehen. Einen »großen Fortschritt« stelle der Militärschlag dennoch dar, sagte der Präsident auf einer Pressekonferenz am Mittwoch der vergangenen Woche.

Zumindest in den Umfragen war ein Fortschritt zu erkennen. Einer CNN-Umfrage zufolge gewann Bush die Zustimmung von vier Prozent der Bevölkerung hinzu. Zwar ist es weiterhin nur eine Minder­heit von 37 Prozent der US-Amerikaner, die seine Politik gutheißt. Doch der Präsident nutzt die Gelegenheit, um politisch wieder in die Offensive zu kommen.

Auch viele US-Medien bescheinigen Bush einen Erfolg. Der Tod Zarqawis wird, obgleich vorsichtig, als Beginn der Befriedung des Iraks gepriesen, die Handlungsfähigkeit der US-Regierung sei wieder hergestellt. Bush und das Pentagon hätten den Republikanern eine geradezu perfekte Vorlage im Wahlkampfsommer geliefert. Doch manche Journa­listen wollen Wendepunkte auch dort sehen, wo eigentlich keine sind. Politische Analytiker betonen dagegen eher Kontinuitäten. Thomas Mann von der Brookings Institution sieht eine »Serie guter Nachrichten für Bush«, dennoch habe »sich in der Realität im Irak noch nichts Substanzielles geändert«. Die Anschläge im Irak in der vergangenen Woche haben bestätigt, dass der Tod Zarqawis zumindest kurzfristig keine Eindämmung des Terrors bewirkt hat.

Und auch die Serie schlechter Nachrichten für Bush reißt nicht ab. Am Wochenende gab das Pentagon zwei ­Berichte über die Verhörpraktiken von US-Elitetruppen in irakischen Gefängnissen in den Jahren 2003 und 2004 frei. Die Veröffentlichung der an vielen Stellen geschwärzten Versionen wurde von der American Civil Liberties Union (ACLU) per Gerichtsbeschluss erzwungen.

Die Behandlung der Gefangenen wird als »bedauerlich«, aber nicht illegal eingestuft. Durch tagelangen Essens- und Schlafentzug, Isolationshaft in Zellen, in denen die Gefangenen weder aufstehen noch sich hinlegen konnten, und die Dauerbeschallung mit extrem lauter ­Musik sollten Aussagen erzwungen werden. Außerdem wurden Gefangene nackt ausgezogen, mit Wasser übergossen und anschließend in unterkühlten Räumen über Stunden verhört.

Strafrechtliche oder auch nur disziplinarische Folgen für die Verhörenden hatte die Anwendung dieser Methoden nicht. Denn dem Pentagon zufolge waren die Militäreinheiten über die im Oktober 2003 von dem damaligen Kommandanten der UD-Truppen im Irak, Generalleutnant Ricardo Sanchez, erlassenen Änderungen bei den erlaubten Verhörpraktiken nicht informiert.

Die dargelegten Fakten und ihre Bewertung durch die Militärführung ähneln dem, was aus den zehn vorangegangenen Militärberichten bereits bekannt ist. Die ACLU kritisierte zwar, dass die Regierung die Untersuchung der Foltervorwürfe »nicht wirk­lich ernst nimmt«, doch größere Probleme dürften die Vorwürfe Bush nicht bereiten. Er hat die Vorfälle in Abu Ghraib mehrmals als den »gröbsten Fehler« des Krieges bezeichnet und immer wieder betont, dass er die Folter ablehne. Allerdings wird bewusst offen gelassen, was die Regierung als Folter bewertet und was zu den von Verteidigungsminister Donald Rumsfeld als »innovativ« bezeichneten Verhör­methoden zählt.

Ähnlich scheint die Regierung mit dem Vorwurf umgehen zu wollen, Marines hätten im November 2005 im irakischen Haditha Zivilisten massakriert. Eine unabhängige Untersuchung soll es auch in die­sem Fall nicht geben, vielmehr lässt Bush abermals das Pentagon den Fall bewerten. Hilfreich waren für die Regierung die Aussagen zweier Ma­rines. Die Soldaten behaupten, dass sie Sperrfeuer aus dem Haus registrierten, in dem kurze Zeit später zwei Dut­zend Irakis umgebracht wurden, und nach der Vorschrift »shoot before you look« gehandelt haben.

Dass möglicherweise streng nach Vorschrift massakriert wurde, könnte zwar als noch schwe­rerer Vorwurf gewertet werden. Doch die meis­ten US-Amerikaner akzeptieren derartige »Kol­lateral­schäden«. Ungünstiger für Bush wäre es, wenn sich herausstellt, dass die Marines schlicht »ausgerastet« sind, denn das würde ihm den Vorwurf eintragen, der Einsatz im Irak habe die disziplinierten Soldaten zu gewalttätigen Psychopathen gemacht.

Eine Änderung der rules of engagement im Irak-Krieg ist ebenso wenig vorgesehen wie eine Wiederverpflichtung auf die Genfer Konvention, die u.a. den Umgang mit Gefangenen regelt. Nur im Fall des Gefangenenlagers in Guantánamo Bay scheint Bush sich von der internationalen Kritik beeinflussen zu lassen. Am Donnerstag der vergangenen Woche gab er bekannt, dass er das Gefängnis gerne schlie­ßen wür­de. Allerdings will der Präsident noch die für den Spätsommer vorgesehene Entschei­dung des Obersten Gerichts über die Zuständigkeit der Militärgerich­te für die auf Guantá­namo Inhaftierten abwarten.

Zudem müssen noch die Modalitäten der Rück­führung mit den Regierungen der Herkunftsländer ausgehandelt bzw. aufnahmewillige Staaten gefunden werden. Ein solches Abkommen scheint bereits ausgehandelt worden zu sein, zumindest dementierte das Weiße Haus die Ankündigung der Regierung in Kabul nicht, dass die 96 afghanischen Gefangenen »sehr bald« zurückkehren werden.

Die Ankündigung, das auch von den engsten Verbündeten der USA kritisierte Gefangenen­lager in Guantánamo Bay zu schließen, gehört zu einem außenpolitischen Richtungswechsel, der bereits vor einigen Monaten eingeleitet wur­de. Vizepräsident Dick Cheney und Rumsfeld haben an Einfluss verloren, die Außenpolitik wird wieder stärker von der Außenministerin bestimmt. Und Condoleezza Rice handelt »real­politischer«, die Regierung sucht weit intensiver als vor dem Irak-Krieg nach Verbündeten und ist zu Zugeständnissen bereit, unter anderem gegenüber dem Iran.

Die Abkehr vom entschiedenen Unilatera­lis­mus ist zum Teil eine Wahlkampfstrategie, denn bei der Kongresswahl im Herbst drohen den Republikanern Verluste vor allem in den konservativen suburbanen Wahlkreisen. Doch könn­te das moderate Vorgehen auch damit zusammenhängen, dass Präsidenten, die dem Ende ihrer Amtszeit entgegensehen, sich gerne Gedanken darüber machen, wie ihr Wirken wohl von der Geschichtsschreibung bewertet werden wird. Bush möchte der Nachwelt nicht als ein Präsident in Erinnerung bleiben, der einen neokonservativen Traum verwirklichen wollte, aber nur einen vom Bürgerkrieg zerstörten Irak, ein außenpolitisches Trümmerfeld und eine leere Staatskasse hinterließ. Oder gar, wie der Historiker Sean Wilentz im April im Rolling Stone schrieb, als der »schlechteste Präsident der Geschichte«.