Die Wut bleibt

»Taxi Driver«, Martin Scorseses stilbildender Film über Selbstjustiz und Großstadt-Wahnsinn aus dem Jahr 1976, kommt wieder in die Kinos. von jürgen kiontke

Von Martin Scorseses Film »Taxi Driver« fand vor allem diese eine Szene Eingang in die cineastische Allgemein­bildung: Robert de Niro alias Travis Bickle steht im Zimmer vor dem Spiegel und fragt: »You talking to me?« Wir sehen einen ge­waltbereiten Mann, gespannt bis in die Haarspitzen, kein Gramm Körperfett, bereit, ganz Waffe zu werden. Eine nur Sekunden dauernde Szene, oft kopiert, selten erreicht, ein Mythos der Popkultur.

So weit, so gut – wenn Martin Scorseses Film »Taxi Driver« 30 Jahre nach seinem Start in Deutschland erneut ins Kino kommt, als Originalfassung und mit fünf Kopien bundesweit, die zunächst in Berlin laufen und dann vom Filmverleih durch die Lande geschickt werden, gibt es für den heutigen Zuschauer durchaus noch mehr zu entdecken.

Wir haben das Jahr 1976. Eine Hand voll jun­ger Filmregisseure, darunter Martin Scorsese, schickt sich an, dem alteingesessenen ameri­kanischen Kino den Garaus zu machen. Einen neuen Realismus wollen sie zeigen, gemein, aussichts- und rücksichtslos, hinterlistig. Sie befinden sich am Beginn dessen, was wir heute als neoliberales Zeitalter kennen, wo es Gewinnmaximierung für wenige und Depressionen für viele gibt. Die USA haben mit den Folgen eines ekligen Krieges zu kämpfen, die Flüsse sind vergiftet, das Land steht unter Dro­gen, Freizeit heißt: Bars and Sex Shops. Russ Meyer, der das schon seit den frühen Sechzigern zeigt, aber als Schmuddel gilt, lässt grüßen.

»We are the people!«, wir sind das Volk – mit diesem Schlachtruf versucht der Politiker Pa­ladine (Leonard Harris) in »Taxi Driver« Wählerstimmen für das Präsidentenamt zu ergattern. Worum es ihm eigentlich geht, ist nicht genau zu erfassen; ist er Demokrat, Konservativer oder gar etwas anderes? »Was halten Sie von Inflation, Korruption und Sozialabbau?« fragen seine Unterstützer die Leute auf der Straße. Ja, besonders gut finden sie diese Sachen nicht, und wir, die wir jetzt im Kino sitzen, denken: 30 Jahre nach Drehschluss beschäftigt man sich immer noch mit denselben Dingen.

Paladines Wahlkampf wird uns wie alles andere auch in diesem Film ohne Zusammenhang, ohne Kontext vorgeführt. Alles wirkt zerfahren, zerrissen, richtungslos. Auch das Leben Travis Bickles wird bruchstückhaft gezeigt: Ausschnit­te eines öden Daseins reihen sich aneinander. Seine Bewerbung als Taxifahrer, wo man beiläufig erfährt, dass er Vietnam-Veteran der Marines sein soll. Seine Begegnung mit Pala­dines Wahlkampfleiterin Betsy (Cybill Sheperd), deren Herz er zu gewinnen sucht, indem er sie ausgerechnet ins Pornokino einlädt. Ich weiß, sagt er, dass es auch noch andere ­Kinos mit anderen Filmen gibt. Aber in die gehe ich nicht.

Sex, Alkohol und einfach nicht nachdenken, schlägt Taxifahrer-Kollege Wizard als Therapeutikum gegen die Wirklichkeit vor. Und wenn es nicht klappt – nun gut, Frauen seien eben wie die Gewerkschaft: kalt und abweisend. Erst ein Fahrgast (gespielt von Scorsese selbst) erweitert den Erfahrungshorizont von Bickle dann maßgeblich um Mord und Totschlag: Er lässt Bickle vor einem Haus parken und zeigt ihm das Fenster der Wohnung, in der seine Frau gerade fremdgeht. Er lässt eine Suada verbaler Gewalt folgen, die vom Kastrieren des Kontrahenten bis zum Aufschlitzen aller weichen Stellen der Gattin reicht.

Dass die Welt, in der Bickle Taxi fährt, voller Schmutz ist, an dieser Erkenntnis hat er schon Paladine teilhaben lassen, als er ihn zufällig als Fahrgast hatte. Bickle wird bald der, der sich dieser Welt anpasst. Er nimmt sich Waffen ohne Ende und wird der dislozierte, irokesenschnittige Terrorist, den wir heute als Pop­ikone kennen.

Mit dieser Figur gewinnt Scorsese 1976 die Goldene Palme. Was äußerst kontrovers diskutiert wird: Wie viel Darstellung von Gewalt im Kino ist angebracht bzw. noch sinnvoll? Wer sich den Unterschied zwischen dem Kino in der Zeit vor »Taxi Driver« und der Zeit danach anschaulich machen will, sollte sich etwa Filme mit dem Westernhelden John Wayne anschauen. Im Vergleich zu »Taxi Driver« wirken diese nachgerade pädagogisch – auch wer’s nicht glaubt: In den Wayne-Filmen knallt’s oft erst am Schluss, und lieber als die Kanone ist dem Helden das Verabreichen der gewöhnlichen Backpfeife.

Im Gegensatz zum früheren Outcast, der seine Würde nie ganz verliert, begegnet uns in »Taxi Driver« der Menschenmüll; der ­Topos des gänzlich Überflüssigen wird eingeführt, des Menschen, der eine innere Sinngebung nur noch im Töten anderer entdeckt. Und Ausrottung lohnt sich sogar: Als Bickle mehr aus Zufall in einen Supermarkt-Überfall verwickelt wird, erweist sich die Totalbewaffnung als sehr nützlich. Die anschließende Szene gehört zu dem Bizarrsten, was die Filmgeschichte zu bieten hat: Nachdem Bickle den Räuber schwer verletzt hat, rät ihm der Laden­inha­ber zu verschwinden. Er werde sich um die Beseitigung des Mannes kümmern. Anstatt ihn nun aber beiseite zu schaffen, schnappt er sich ein Stemmeisen und prügelt dumpf auf den Mann ein.

Travis Bickle wird darüber langsam zum Helden. Die zufällig vorüberlaufen­de Kinderprostituierte Iris (Jodie Foster) liefert ihm nun endlich den Vorwand, jemanden zu »retten« – ein religiö­ses Motiv, ohne das kein Scorsese-Film auskommt. Die junge Nutte soll vor ihren Zuhältern in Sicherheit gebracht werden. Nun geht alles sehr schnell: die Leinwand versinkt im Blut, eine drecki­gere Szene als Travis Bickles Amoklauf im Bordell dürfte man schwerlich in der Filmgeschichte finden.

Mit derlei völlig verwirrenden Szenen und Wendungen in einem Film wird die von Scorsese entworfene Figur Pate stehen für verzweifelte, niedrig qualifizierte White-Trash-Männerfiguren, wie man sie später in »Rambo«, »Natural Born Killers« und nicht zuletzt John Naughtons »Henry – Portrait of a Serial Killer« findet.

Taxi Driver. Regie: Martin Scorsese. D: Robert DeNiro, Jodie Foster, Harvey Keitel, Cybill Sheperd. USA 1976. Start: 13. Juli