Weltmeisterschaft der Sicherheit

Größere Befugnisse für die Polizei, erweiterte Videoüberwachung des öffentlichen Raumes und massenhafte Anwendung der Rfid-Technik: Die Fußballweltmeisterschaft war ein Gewinn für die Freunde der inneren Sicherheit. von ron steinke

Kultur ist nichts für Fußballfans, die verstehen nur Polizeiknüppel«, hatte ein hochrangiger DFB-Funktionär zuvor erklärt. Entsprechend sah der Empfang der Gäste aus: Behelmte Hundertschaften nahmen sich der Fans aus England, den Niederlanden und aus Italien schon an den Bahnhöfen an und wichen während des gesamten Aufenthalts nicht von ihrer Seite. In der Folge kam es zu zahlreichen gewalttätigen Ausschreitungen – bei der Fußballeuropameisterschaft im Jahr 1988.

Zur WM 2006 hatten sich Bürgerrechtsorganisationen und Fangruppen auf ein ähnliches Szenario eingestellt. Nach dem Spektakel spricht jedoch zum Beispiel das Bündnis Aktiver Fußballfans von einer »nie gekannten Freundlichkeit« der Sicherheitskräfte während der Weltmeisterschaft. »Die waren wie ausgewechselt, nachdem die fragwürdigen Sicherheitsmaßnahmen im Vorfeld der WM noch Schlimmes befürchten ließen«, resümiert Wilko Zicht. »Wenn die Polizei sich im Bundesliga-Alltag so benehmen würde, hätten wir wesentlich weniger Probleme.«

Einen Eindruck von den Repressalien, die von den Fans der deutschen Vereine immer wieder beklagt werden, bekamen während der Weltmeisterschaft nur wenige ausländische Fans. In München kümmerte sich die Fanhotline der Bayerischen Strafverteidigerinitiative um die 30köpfige argen­tinische Fangruppe »Los Borrachos«, die in der bayerischen Landeshauptstadt campierte und nach einem Vorrundenspiel in Frankfurt von der Fifa ein Stadionverbot für den Rest der Weltmeisterschaft erhielt. Die »Betrunkenen« waren nach dem Spiel mit dem Vorwurf konfrontiert worden, sie hätten während des Spiels auf ihren Sitzen gestanden und teilweise die Plätze getauscht. Das Landgericht Frankfurt am Main hob das Stadionverbot jedoch im Eilverfahren wieder auf, als der Veranstalter trotz personalisierter Tickets und lückenloser Videoüberwachung keinen Beleg für seinen Vorwurf vorbringen konnte.

Nennenswerte Fälle von »Hooliganismus« gab es während der Weltmeisterschaft nicht. Den Grund für die Ruhe sieht Wilko Zicht in der guten Betreuung der Fans: »Es ist wieder einmal deutlich geworden: Wenn man die Fans als Gäste behandelt, ist die gute Stimmung nicht in Gefahr.«

Das Komitee für Grundrechte und Demokratie hat die Einsätze der Polizei während der Weltmeisterschaft beobachtet und nur in Einzelfällen ein unverhältnismäßiges Vorgehen festgestellt. Die Sprecherin des Komitees, Elke Steven, kritisiert jedoch die vorbeugenden Festnahmen. Insgesamt kamen 9 000 Menschen zeitweise in Präventivhaft.

Größere Vorfälle gab es vor allem in drei Städten: In Dortmund wurde eine Gruppe von mehr als 100 Menschen von der Polizei eingekesselt, und es kam zu Auseinandersetzungen mit der Polizei und zur Festnahme aller Beteiligten, in den meisten Fällen vorbeugend. In Köln nahm die Polizei die meisten Besucherinnen und Besucher einer Kneipe in Gewahrsam, aus der Flaschen geworfen wurden. Sie setzte auch Zivilpolizisten ein, die als Fußballfans verkleidet waren und Festnahmen in schwarz-rot-goldener Kluft durchführten.

In Stuttgart lief die Polizei dagegen in traditioneller Kampfmontur auf, als es bei der Übertragung des Achtelfinalspiels zwischen Schweden und Deutschland auf dem Schlossplatz zu Auseinandersetzungen zwischen englischen und deutschen Fans kam, wobei auch das Liedchen »Ten German Bombers« angestimmt wurde. Die Polizei nahm eine Gruppe von 400 englischen und 14 deutschen Fans vorbeugend fest. Die Festgenommenen wurden mit den Armen hinter dem Rücken gefesselt und bis in die Morgenstunden auf einem abgesperrten Parkplatz abgestellt. Dort mussten sie sich eine einzelne Baustellentoilette teilen. Laut der Stuttgarter Polizei hat es sich lediglich um eine Maßnahme zur Feststellung der Personalien gehandelt. Elke Steven meint dagegen, dies sei ein schwerer Eingriff in die Grundrechte gewesen, der zahlreiche Unschuldige getroffen habe. Die englische Boulevardzeitung Sun berichtete von 400 Landsleuten in einem Stuttgarter »Kriegsgefangenenlager«.

Dennoch ziehen Bürgerrechtsorganisation und Fangruppen eine überraschend positive Bilanz der »sichtbaren« Polizeieinsätze. Allerdings verlagerte die Polizei, in demselben Maße, in dem sie sich auf den Straßen zurückhielt, ihre Bemühungen auf die vorbeugende Gefahrenabwehr. Die »unsichtbaren« Maßnahmen stellen womöglich schwerwiegendere Eingriffe dar als die paar Stunden Freiheitsentzug für einige hundert Pechvögel.

So gelang es der Polizei mit dem Hinweis auf die Bedrohung durch den internationalen Terrorismus, eine Viertelmillion Menschen, die sich als Journalisten oder Servicekräfte für die Weltmeisterschaft akkreditieren lassen wollten, vom Verfassungsschutz auf ihre »Zuverlässigkeit« überprüfen zu lassen. Auch die Personalien der 3,2 Millionen Käuferinnen und Käufer von Tickets wurden vollständig mit den Datenbeständen der Polizei abgeglichen (Jungle World 8/06).

Die Befugnisse der Polizei wurden in vielen Bundesländern wegen der angeblichen Gefahr durch »Hooligan-Touristen« ausgeweitet, was sich etwa beim G 8-Gipfel in Heiligendamm im nächsten Jahr noch als nützlich erweisen könnte. Und über einen Einsatz der Bundeswehr im Inland kann zumindest schon hemmungslos gesprochen werden.

Als Ausbeute der Fußballweltmeisterschaft bleibt den Sicherheitspolitikern außerdem die Intensivierung der Videoüberwachung im öffentlichen Raum. Während die neu installierten Überwachungskameras an Public-Viewing-Plätzen wie dem Frankfurter Mainufer nach der Weltmeisterschaft wieder abmontiert werden, werden diejenigen Kameras erhalten bleiben, die in die Infrastruktur der Innenstädte eingefügt wurden. Ursprünglich war im »Nationalen Sicherheitskonzept« auch noch die Einführung einer Software geplant, die die gefilmten Personen mittels biometrischer Verfahren automatisch identifiziert und mit Polizeidaten abgleicht. Die Software kam jedoch nach Angaben des Bundeskriminalamts aus technischen Gründen bei der Weltmeisterschaft noch nicht zum Einsatz.

Einen ersten Testlauf im Massengeschäft hatten dagegen die umstrittenen Rfid-Chips (»Radio Frequency Identification«), mit denen die Eintrittskarten personalisiert wurden. Für den Einsatz der Funkchips, die von Datenschutzgruppen als »Schnüffelchips« kritisiert werden, ließ sich neben der gigantischen Werbewirkung kein sachlicher Grund erkennen. Das Argument, es gehe bei den personalisierten Tickets um die Sicherheit, entkräftete der DFB selbst, als er zugeben musste, dass für 300 000 besondere Gäste auch nicht-personalisierte Tickets ausgegeben wurden.

In den Stadien wurde zudem nur stichprobenartig die Übereinstimmung der Persona­lien mit den Tickets überprüft. Nachdem das Amtsgericht Frankfurt am Main bereits im April erklärt hatte, dass es nicht möglich sei, den Weiterverkauf der Eintrittskarten zu verbieten, gab der Ticketing-Chef des DFB, Horst R. Schmidt, Mitte Juni die Vorgabe aus, jeden ins Stadion zu lassen, der ein Ticket in Händen halte. Er bilanziert: »Das Ticketing war eine Erfolgsstory.« Der Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, Peter Hintze (CDU), rief Ende Juni aus: »Wir wollen Weltmeister bei der Rfid-Technik werden!« Er kündigte an, die Weiterentwicklung werde künftig mit 70 Millionen Euro jährlich gefördert.