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Die deutschen Medien sind uneinig, was den Konflikt zwischen Israel und der Hizbollah angeht. von markus ströhlein

Mangelnde Entschiedenheit kann man Jür­gen Hanefeld kaum vorwerfen. In einem Kommentar für den Radiosender WDR 2 fand er eindeutige Worte: »Es ist ein Überfall. Auf einen souveränen und friedfertigen Staat.« Den Bösewicht hatte er ganz klar ausgemacht: »Nicht Syrien, nicht Iran, nicht Nordkorea – keiner der üblichen Verdächtigen hat seine Grenzen überschritten und die seiner Nachbarn verletzt, es ist Israel. Ausgerechnet Israel!«

Seine Brandrede gegen Israel, das keinen »Anspruch auf die Sympathien« mehr habe, die ihm als »kleinem David« zustünden, sondern »als aggressiver Goliath wahrgenommen« werde, hat Hanefeld zumindest Aufmerksamkeit verschafft. In einer Pressemitteilung von vergangener Woche ging der Zentralrat der Juden in Deutschland ausdrücklich auf ihn ein. »Besonders hinterhältig, ja fast schon anti­semitisch« sei sein Kommentar gewesen.

In der Mitteilung kritisierte der Zentralrat haupt­sächlich die antiisraelischen Bemerkungen der Ent­wicklungshilfeministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD). In einem Atemzug mit einer Minis­terin genannt zu werden, das ist Publicity. Doch um so eine schnöde Sache wie die öffentliche Aufmerksamkeit dürfte es Hanefeld nicht gegangen sein. Wer so viel grimmiges Pathos aufwendet, der vertritt eine Überzeugung.

Zumindest, was die Frage von Ursache und Wirkung der Kämpfe zwischen der Hizbollah und Israel betrifft, teilen etliche Medienvertreter Hanefelds Meinung. In den Nachrichten des Fernsehsenders RTL war von den »israelischen Attacken« die Rede. Im Deutschlandfunk hieß es: »Israel hat dem Libanon den Krieg erklärt.« Durch die geschickte Lektüre verschiedener Zeitungen und die Kombination der einzelnen Fakten konnte man dennoch erfahren, dass die Hizbollah nicht nur zwei Soldaten auf israelischem Territorium entführt, sondern auch acht weitere getötet und mehrere Städte und Dörfer mit Raketen beschossen und dabei israelische Zivilisten ermordet oder verletzt hatte.

Der Anlass des israelischen Gegenangriffs liegt aber nach den zeitlichen Maßstäben der meisten Medien schon wieder lange zurück, nämlich zwei Wochen. Von der Frage, wer denn nun die Schuld an dem Krieg trage, ist man zur Kriegsberichterstattung übergegangen. Hier scheint zu gelten: Wer die stärkere Armee hat, ist der Schurke. Die Absicht Israels, die Infrastruktur und die Nachschubwege der Hizbollah zu zerstören, legte Spiegel ­online so aus, als wolle Israel »die Lebensadern des Libanon kappen«. Der Angriff der israelischen Luftwaffe auf einen Bunker in Beirut, in dem der Generalsekretär der Hizbollah, Hassan Nasrallah, vermutet wurde, ließ die Süddeutsche Zeitung alle geografischen Größenordnungen vergessen. Aus der gezielten und lokal begrenzten Bombardierung, die der Artikel behandelte, wurde die Schlagzeile: »Libanon im Bombenhagel!«

Über den Raketenhagel, den die Hizbollah in israelischen Dörfern und Städten entfacht hat, hat die deutsche Presse auch berichtet. Das Interesse an der Situation der Menschen im Libanon ist indes um einiges größer als das an der Lage im Norden Israels. Wer alle Reportagen aus dem Libanon, die zurzeit veröffentlicht werden, lesen möchte, muss wohl auf Schlaf verzichten. Wer eine aus Haifa, Naharyah, Kiryat Schmonah oder Tiberias lesen will, muss suchen. Spiegel ­online hat eine Reportage aus Naharyah im Angebot. Der Autor Matthias Gebauer begleitet zwei ältere Frauen in den Luftschutz­bunker. Die beiden »ratschen, warum im Bunker keine Klimaanlage und Fernseher installiert sind«, oder vertreiben sich die Zeit mit »Polit-Schnack«, weil sie sich sonst »zu Tode langweilen«.

Dass etliche Menschen in Naharyah nicht vom mangelnden Zeitvertreib, sondern von den Raketen der Hizbollah getötet wurden, erwähnt der Text dann aber doch noch. In einem leichten Ton ist er geschrieben, so ganz im Gegensatz zu denen aus dem Libanon. In diesen geht es immer schwermütig zu, da gibt es nur den Tod, die »Leichenstarre« oder gleich die »Apokalypse«, die die israelischen Angriffe verursacht hätten. Wer die Reportagen aus Naharyah und dem Libanon vergleicht, kann schnell zu dem Schluss kommen, dass die Israelis ihre Aben­teuerferien im Luftschutzbunker verbringen, während in Beirut die Welt untergeht.

Die Korrespondentin Ulrike Putz hat für den Spiegel eine Reportage der besonderen Art abgeliefert. Sie berichtet aus der süd­lichen Vorstadt von Beirut, der Hochburg der Hizbollah. Zu der Fahrt dorthin hatte niemand anderes als die Terrororganisation selbst eingeladen. Das zwingt die Autorin dazu, wenigstens in einem Satz zuzugeben, dass sie sich auf einer Propagandaführung befindet. Diese Erkenntnis scheint sich jedoch nicht überall durchgesetzt zu haben. Oft werden in Meldungen oder Berichten die Hizbollah oder ihr Fernsehsender al-Manar als offizielle Quellen angegeben. Das ist in etwa so, als würde man die Nationalzeitung zitieren, wenn es um rechtsextreme Gewalt in Deutschland geht.

Die Berichterstattung als völlig unaus­gewogen zu bezeichnen, wäre dennoch nicht ganz zutreffend. Es kommen auch andere Stimmen zu Wort. Henryk M. ­Broder konnte auf Spiegel online das Ar­gument vorbringen, dass mit der Hizbollah und der Hamas schlicht und einfach kein Frieden zu machen sei, man sie also militärisch zerschlagen müsse. Der israelische Schriftsteller David Grossmann brachte in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vor, dass Israel nicht anders reagieren könne. In der Ausgabe des Tagesspiegel, in der Heidemarie Wieczorek-Zeul ihre Tirade gegen Is­rael losließ, sagte der ehemalige UN-Sonder­ermittler Detlev Mehlis in einem Interview: »Allerdings wird die israelische Invasion die Hizbollah politisch und militärisch deutlich schwächen und auf diese Weise das Problem lösen.«

Ganz erstaunlich auch die Zeit, die bereits im Aufmacher sagt: »Nie war Israel so in Gefahr.« In sämtlichen Beiträgen zum Nahostkonflikt wird unmissverständlich die Hizbollah als Aggressor und Israel als existenziell bedroht deklariert. Und natürlich sind auch die Bild-Zeitung und die Welt auf der Seite Israels.

Eine eindeutige Meinung zum Nahostkonflikt lässt sich in den deutschen Medien zumindest weniger ausmachen als in der Zeit der zweiten Intifada.