Weiber, Knarren und rohe Gewalt

Zum Tod von Mickey Spillane, dem Erfinder des Detektivs Mike Hammer. von thomas blum

Auf dem Titel des vergilbten Taschenbuchs aus den siebziger Jahren ist zu lesen: »BRANDNEU, KNALLHART, SEXY«. Die Abbildung auf der vorderen Umschlagseite zeigt ein sparsam bekleidetes Pin-up-Girl mit hochhackigen Schuhen und einen Kerl mit einer Knarre.

Man schlägt die erste Seite auf und liest: »Sie hatten ihn mitten in einer Blutlache in seinem Schlafzimmer für tot liegen gelassen, mit aufgeschlitztem Bauch und dem Messer in der Brust.«

Hierbei handelt es sich zweifelsohne um einen äußerst gelungenen Romananfang. Das Wesentliche wird vom Ich-Erzähler in knappen, unprätentiösen Worten geschildert. Eine an Deutlichkeit wenig zu wünschen übrig lassende Szene. So könnte ein Film von Martin Scorsese oder Quentin Tarantino beginnen. Der Hausmeister des Gebäudes, in dem die wie oben beschrieben zugerichtete Leiche gefunden wird, kommt dem Phänotyp des ideellen Gesamthausmeis­ters auch erstaunlich nahe, er ist der dicke »Mensch mit dem Vollmondgesicht und der Bierfahne«, in dessen Wohnung der Held des Romans, ein raubeiniges, chauvinistisches Arschloch mit dem sprechenden Namen Mike Hammer, das Telefon sucht, um den Leichenfund der Polizei zu melden: »Das Zimmer war ein Eigenbau-Müllplatz, aber hinter einem Stapel leerer Bierkartons entdeckte ich das Telefon.« So geht das weiter, in einer Art deutlich angeschmutz­tem Realismus, der für den Leser stets lehrreiche Kommentare wie diesen bereithält: »Wirklich eine feine Stadt. Wenn die verpestete Luft dich nicht erledigt, dann der Verkehr. Und wenn du beides überlebst, dann schaffen dich wahrscheinlich die Straßen­räuber.«

Frank Michael Morrison »Mickey« Spillane, ge­boren 1918 in Brooklyn, der Erfinder des Detektivs »Mike Hammer« und Autor vieler Hardboiled-Krimis, war, was die Raffinesse seines Schreibens angeht, nicht gerade der feinsinnigste und sensibelste seiner Zunft. Er machte nie einen Hehl daraus, dass er seine schlichten Kriminalromane nach einem simplen Schwarz-Weiß-Muster, nach dem die gute rohe Gewalt über die böse rohe Gewalt triumphiert, jeweils in weniger als drei Wochen verfertigte, zu dem ausschließlichen Zweck, Geld damit zu verdienen. Dafür jedoch war er einer der produktivsten und erfolg­reichsten Romanschriftsteller des 20. Jahrhunderts. Mit mehr als 200 Millionen Büchern verkaufte er mehr als jeder andere lebende Autor. Darüber hinaus entstanden mehrere Filme und Fernsehserien um die Figur Mike Hammer in den vergangenen Jahr­zehnten.

Die Washington Post berichtet, dass Spillane, als er eines Tages auf einer Dinner Party von »irgendeinem Literaturburschen aus New York« darauf angesprochen wurde, dass es »schändlich« sei, dass sieben der zehn am besten verkauften Bücher aller Zeiten von ihm stammten, geantwortet haben soll: »Seien Sie froh, dass ich nur sieben Bücher geschrieben habe.«

Auf den Vorwurf, er schreibe nur um des Geldes willen, antwortete er vor elf Jahren seinem Interviewer: »Wofür denn sonst? Würden Sie arbei­ten, wenn man Sie nicht bezahlt?«

In den dreißiger Jahren arbeitete er als Bademeister, Krawattenverkäufer, Texter für Comics und verfasste Groschenheftgeschichten. Im zweiten Weltkrieg bildete er Kampfflieger für die US-Luftwaffe aus. Nach dem Krieg war er als Trampolinartist im Zirkus (»lebende Kanonenkugel«) und als Rennfahrer tätig.

Sein erster, 1947 erschienener Roman »Ich, der Richter«, der angeblich in nur wenigen Tagen ausschließlich zu dem Zweck, Geld für den Bau eines Eigenheims zu erwirtschaften, heruntergeschrieben wurde, schlug bereits den robusten Erzählton an, für den der Schriftsteller von seinen Lesern geschätzt wurde, nicht aber von blasierten Literaturkritikern, die ihm das vermeintlich Kunstlose und Drastische seines Erzählstils ankreideten: »Ich knallte ihm den Lauf meiner Pistole gegen die Kinnlade und legte den Knochen frei. Er ging zu Boden. Ich trat ihm in die Schnauze, und er spuckte Zähne und Blut. Er lag da und blubberte. Ich trat ihn noch einmal und er hörte auf zu blubbern.«

Das waren hübsche, explizite Gewaltdarstellungen, wie sie in den literarischen Erzeugnissen der vierziger und fünfziger Jahre sonst nicht zu bekommen waren. Was freilich zur Folge hatte, dass dem Verfasser die handelsüblichen Vorwürfe gemacht wurden: Er sei unmoralisch und produziere sittenverderbende Schmutz- und -Schundliteratur.

Ausschweifende oder tiefgründelnde Re­flexionen wird man bei den eher grobmaschig gestrickten Helden seiner Romane in der Tat ebenso wenig finden wie erbauliche Teegesellschaftsplaudereien. Eine finstere Welt bringt naturgemäß nicht nur Micky-Maus-Heftchen hervor, und New York ist nicht Disneyland.

Spiegel online wundert sich anlässlich Spillanes Tod dennoch gewaltig: »Woher die Gewalt in seinen Romanen kam, konnte nie ergründet werden.« Dass nicht weni­ge kulturelle Erzeugnisse Gewalt zum Inhalt haben, weil sie die reale Gewalt in der Gesellschaft reflektieren, darauf könnte man eigentlich kommen, wenn man länger als drei Sekunden nachdenkt, auch bei Spiegel online.

Auch detailversessene Figurenkonstruktionen sind nicht die Spezialität Spillanes. Wozu auch? Ist doch auch in der vermeintlich seriösen Literatur das bis in seine feinsten psychologischen Nuancen geschilderte Individuum bereits abgemeldet und als Illusionskram enttarnt. Nun gut, Spillane ist nicht Beckett, Sie verstehen.

Die eindimensionalen Frauentypen, die sich an der Seite unseres Helden Mike Hammer finden und die im Verlauf des Geschehens in der Regel infolge heftiger Gewalteinwirkung sterben, stammen aus einer Welt, die einmal existiert haben muss, bevor es das Frauenwahlrecht, Hosen tragende Frauen oder Gender Studies gab, einer Welt demnach, wo Frauen noch solche Frauen sein durften, wie Männer, die noch richtige Männer waren, sie sich wünschten. Sie sind, wie Hammers »blonde und bildhübsche Assistentin« (Spiegel online) Velda, hingebungsvoll, fügsam, widersprechen nicht, tragen für gewöhnlich »prächtige, kastanienbraune Locken« zur Schau, die ihnen »über die Schulter hingen«, und sind auch sonst recht dekorativ und liebevoll: »Velda legte ihre Hand auf meine, und die Wärme ihrer Haut wirkte wie sanfte Massage.« Ansonsten gilt: »Ihr sanftes Lächeln sagte mir alles, was ich wissen wollte.«

Den Vorwurf, seine Schriften enthielten zu viel Sex, konterte Spillane mit der Frage, wie derlei denn möglich sein könne, wenn in seinen Romanen so viele Frauenfiguren erschossen würden.

1952 ist der Autor dann offenbar verrückt geworden, hat sich in einem Anfall geistiger Umnachtung den Zeugen Jehovas angeschlossen und hörte Jehova zuliebe einige Jahre ganz auf mit seiner literarischen Produktion: »Ich habe meine Handlungsweise geändert, um (…) ein gutes Beispiel zu geben als ein Verkündiger der guten Botschaft seines Königreichs.«

1961 nahm er seine schriftstellerische Tätigkeit dankenswerterweise wieder auf und schrieb weiter Kriminalromane. In den siebziger und achtziger Jah­ren posierte er in zahlreichen Reklamespots für eine US-amerikanische Biersorte. 1989 und 1996 erschien jeweils noch einmal ein Mike-Hammer-Roman.

»Hemingway hat mich gehasst. Ich habe viel mehr verkauft als er, das war der Grund. Er hat mich in einem Magazin einmal böse verrissen. Während einer Fernsehshow in Chicago wurde ich dann gefragt: ›Haben Sie gelesen, was Hemingway über Sie geschrieben hat?‹ Und ich habe geantwortet: ›Welcher Hemingway?‹ Das gab einen großen ­Lacher.«

Seit Mitte der neunziger Jahre wurden ei­nige der bekanntesten Mike-Hammer-Romane in Neuübersetzungen wiederveröffentlicht. Spillane ist zwischenzeitlich vom Literatur­betrieb und vom Popfeuilleton vom Trivialschmonzettenautor zum verdienstvollen Pulp-Fiction-Poeten umgetauft und zu einer Art Mr. Hyde einer literarischen Gattung umgedeutet worden, in der Raymond Chandler nur der Dr. Jekyll war. Auf den Buchumschlägen der Neuauflage sind abermals sparsam bekleidete Frauen mit hochhackigen Schuhen abgebildet und Männer mit Knarren. Am Montag der vergangenen Woche starb der leidenschaft­liche Waffensammler und Angler Mickey Spillane im Alter von 88 Jahren.