Die Krake über unseren Häuptern

Google ordnet nicht nur das Internet, sondern immer stärker auch die nichtvirtuelle Welt. Ein Buch klärt auf über die Machenschaften einer Riesenfirma. von philipp steglich

Der Autor des Buches »Die Google-Story« sieht aus wie ein unfreiwilliger Zwilling des Microsoft-Gründers Bill Gates. Dämliches Grinsen und sehr schlechte Frisur sind ununterscheidbare Kopie. Dabei ist der Autor, David Vise, Pulitzerpreisträger und Reporter der Washington Post. Und vermutlich wollte er in seinem Buch darlegen, warum die Firma Google besser ist als der andere große Monopolist Microsoft, eine Firma, die für manche das Böse schlechthin verkörpert. Denn Microsoft beherrscht den Markt für Betriebssysteme auf PCs, lässt seine Programme »nach Hause telefonieren« und sich so nicht nur mitteilen, wann wieder einmal was abgestürzt ist, sondern auch, welche Filme sich der Anwender mit dem »Windows Media Player« angesehen hat. Und natürlich wird die Marktmacht benutzt, um etwaige Konkurrenten kleinzuhalten oder kleinzukriegen.

Ganz anders ist das Image von Google: Alle Produkte für Endbenutzer sind kostenlos. Google.com ist vermutlich die am häufigsten besuchte Seite des WWW. Schlank und schlicht, eine wirkliche Oase für Besucher, denen sonst auf den unübersichtlichen Portal-Seiten der Konkurrenz die Augen übergehen.

»Googlen« ist zum Synonym für Suchen im Internet geworden und wurde als Verb in den deutschen Sprachschatz integriert. Die Marke hat einen ungeheuren Bekanntheitsgrad erreicht, und das ganz ohne teure Werbekampagnen. Das Zustandekommen dieses Erfolgs schildert Vise auf knapp 300 Seiten, leider äußerst redundant und verliebt in die Kindereien der jungen Gründer in ihren Anfangsjahren. Denn Google war ein Projekt der beiden Stanford-Doktoranden Sergey Brin und Larry Page. In einem – von Bill Gates gestifteten und nach ihm benannten – Gebäude der Stanford University entwickelten sie 1995 eine Suchmaschine mit Namen BackRub. Denn die damals üblichen Suchmaschinen wie Altavista und Lycos waren sehr unpräzise, was die Qualität der Ergebnisse anging, und konnten zugleich nur einen Bruchteil des sich exponential ausbreitenden Web erfassen. Page entwickelte ein neues Ranking-Verfahren für Internet-Seiten, das einfach formuliert so lautet: Je mehr Links auf eine Seite verweisen, desto wichtiger ist sie. Dies wird dann bei der Anzeige der Suchergebnisse berücksichtigt.

Ursprünglich wollten Page und Brin nur diesen Suchalgorithmus verkaufen. Da der große Erfolg mangels Interessenten ausblieb, gründeten sie 1998 Google Inc., standesgemäß in einer Garage des Silicon Valley. Aber erst seitdem sie bezahlte Anzeigen verkaufen, bezogen auf den Inhalt der gestellten Suchanfrage, verdient Google Geld, viel Geld. 2004 erfolgte der Börsengang, die Krönung einer Geschäftsidee, Jahre nach dem Platzen der New Economy-Blase.

Vise bläht seine Geschichte mit den üblichen Dot Com-Accessoires auf: Da werden die Google-Gründer samt der abhängigen Beschäftigten als lustig-lockerer Haufen präsentiert, der versucht, seiner Kreativät – und der seiner Benutzer – freien Lauf zu lassen. Schließlich hätten wir es hier mit der »Story eines einzigartigen Erfolges« zu tun.

Und in der Tat lautet ja angeblich das Motto des Unternehmens »Don’t be evil« – »Sei nicht böse«. Alle Produkte des Unternehmens sind kostenlos: also nicht nur die Suchanfragen, sondern auch die Nutzung von Google Mail (mit 1GB Speicherplatz pro Account gestartet), von Google Earth, mit dem man Satellitenfotos der Erde erkunden kann, und einiger anderer Dienste und Programme mehr.

Der Haken an der Sache ist, dass der User Google vertrauen muss. So durchsucht das Unternehmen die abgelegten E-Mails des eigenen Freemail-Dienstes, speichert diese und generiert darauf bezogene Werbung. Der Benutzer wird zwar in den Datenschutzrichtlinien hierauf hingewiesen, sein E-Mail-Korrespondent aber logischerweise nicht. Und so recht präzise ist die Bestimmung in den Hinweisen nicht: »Google verarbeitet personenbezogene Daten nur zu den Zwecken, zu denen sie erhoben wurden.« Ja prima! Die Daten werden dabei automatisch erfasst und, nach eigener Aussage, nicht an Dritte weiter geleitet.

Ähnlich sieht es bei der Google-Desktop-Suche aus: Wenn man hier die »Suche auf mehreren Rechnern« aktiviert, werden die Dokumente des eignen Rechners indexiert und diese Dateien auf Google-Computern gespeichert. Und auch bei der Suche mit der Google Toolbar werden die jeweiligen Suchanfragen bei Google gespeichert.

Mit dem Besitz der privaten Daten kann man natürlich allerhand anstellen – man erhält ein sehr genaues Profil des jeweiligen Nutzers. Und wohl nur das positive Image (»Don’t be evil«) von Google verhinderte bisher eine generelle Kritik und öffentliche Auseinandersetzung mit dem Gebaren des Unternehmens. Man sieht, dass dieser Vertrauensvorschuss das wohl wichtigste Kapital der Firma ist. Konkurrierenden Unternehmen wie Microsoft, das auch E-Mail-Dienste, Messenger und eine Suchmaschine anbietet, ist ein solches Vorgehen verbaut, da sie sich ständig der Aufmerksamkeit von Netzaktivisten und Datenschützern gewiss sein können.

Aber selbst wenn Google die Daten nicht weitergeben wollte, wie dies nach dem Patriot Act gefordert wurde, dürfen Behörden in den USA die Herausgabe erzwingen. Und schon haben Geheimdienste und Co. ein sehr genaues und intimes Profil des Nutzers, welches dieser auch noch selbst angelegt hat. Eine Horrorvision orwellscher Qualität.

Ein anderes Projekt ist dagegen bis auf Regierungsebene umstritten: Google-Books. Google will nämlich alle existierenden Bücher einscannen und kostenlos der Öffentlichkeit zur Verfügung stellen. An sich ein grandioses Unterfangen, denn nicht jeder hat Zugang zu den großen Bibliotheken. Und die Verfügbarkeit der Bücher ist auch nie garantiert, Bibliotheksbenutzer sind vermutlich weltweit leidenserprobte Zeitgenossen. Dass aber der Bestand von amerikanischen Universitätsbibliotheken eingescannt wird, wie es Google-Books vorhat, kritisierte vor allem die Regierung Frankreichs. Sie äußerte die Angst, dass zukünftig die amerikanische Sicht auf die Welt Forschung und Wissenschaft dominieren werde, weil diese Publikationen viel einfacher verfügbar seien.

Als Gegenmaßnahme initiierte der deutsch-französische Ministerrat das Projekt »Quaero«, eine Suchmaschine, die multimediale Inhalte (irgendwann) darstellen soll. Dabei hat Frankreich jedoch übersehen, dass die großen amerikanischen Universitäten finanziell hervorragend ausgestattet sind. Sie verwahren nicht nur amerikanische Bücher, sondern haben auch einen umfassenden Bestand an europäischen Publikationen. Einen Bestand, von dem beispielsweise deutsche Universitätsbibliotheken weiterhin nur träumen dürfen.

Viel wichtiger als die nationalistischen Bedenken der europäischen Regierungen dürfte jedoch der Widerstand von Verlegern sein, deren Erzeugnisse ja dem Urheberrecht unterliegen. Mit Klagen haben sie bisher die kostenlose Verbreitung ihrer Bücher verhindert. Und sie fordern ihren Anteil, wenn das Buch online gegen Gebühr verkauft werden sollte. Dies wird jedoch einen Weiteren zum Verlierer machen: den Buchhandel. Er wird deutlich an Marktanteilen verlieren, auch wenn der Anteil wissenschaftlicher Schriften ohnehin nicht mehr groß sein dürfte, bedingt durch die fallende Anzahl interessierter Leser. Zudem werden sich die – bereits jetzt ablaufenden – Konzentrationsprozesse erheblich beschleunigen. Wenn man auf Google Books sucht, findet man nebenan Links, die auf wenige große Partnerbookstores verweisen, die das große Geschäft machen. Abgerechnet wird bald mit dem eigenen Bezahldienst Checkout.

Ist Google nicht also doch ein wenig böse?

Denn einerseits trägt es so zur Oligopol- und Monopolbildung bei. Und andererseits verdient Google sein Geld mit der Verfügbarmachung der Inhalte anderer. Gut, das machen z.B. Paketdienste auch. Aber in der Regel zerstören diese nicht die Geschäftsgrundlage ihrer Kunden, indem sie den Inhalt duplizieren.

Das Buch von Vise diskutiert diese Probleme jeweils ein Stück weit und ist ansonsten von einem Bekenntnis zum Hurra-Kapitalismus bestimmt. Da man aber bisher wenig über Google erfahren konnte, über die Firma, die das Wissen der Welt aufbereitet, bringt diese Neuerscheinung ein wenig Licht ins Dunkel. Und vielleicht sorgt es dafür, dass die Debatte über Datenschutz und Monopolisierung des WWW endlich stattfindet.

David Vise: Die Google-Story. Murmann Verlag, Hamburg 2006, 320 Seiten, 19,90 Euro.