Grass mit Doppel-S

Das Bekenntnis von Günter Grass, früher in der SS gewesen zu sein, macht endgültig klar, dass der Nobelpreisträger in seiner Jugend ein Nazi war. Heute ist er nur noch ein glühender Nationalist. von jörg sundermeier

Die Zeiten, in denen die FAZ nur von einem »Graß« schrieb, um sich zu distanzieren, sind vorbei. Heute sitzt man gemütlich mit dem Nobelpreisträger im Garten und macht auf zwei Zeitungsseiten Werbung für seine in einigen Tagen erscheinende Biographie, die den für Günter Grass typischen Titel »Beim Häuten der Zwiebel« trägt. So geschehen letzten Samstag. Das Interview machte Furore, und zwar nicht, weil Grass vorgibt, Paul Celan sei neidisch auf ihn gewesen, da er auch gern Prosa geschrieben hätte. Auch die Behauptung von Grass, dass ein damaliger Teen namens Joseph, mit dem der junge Grass nach dem Krieg knobelte und der sich wie er in Gefangenschaft befand, wohl der spätere Papst Benedikt XVI. gewesen sei, sorgte nicht für großes Aufsehen. Wohl schon deshalb nicht, weil der Vatikan sich zu dieser Erinnerung nicht äußern wollte. Beide Anekdötchen sind Beispiele für Grassens seit Jahren wohlbekannte Großmannssucht, denn da er sich offensichtlich mit ­Nobel- und anderen Preisen, mit Museum und Millionenauflagen nicht ausreichend geehrt findet, muss er sich immer wieder mit Bekanntschaften schmücken. Diesen Bekanntschaften ist er in seinen eigenen Erzählungen selbst­redend überlegen.

Um für sein neues Buch ausreichend werben zu können, musste er jedoch zu einem recht drastischen Mittel greifen. Er gab sich als ehemaliger Angehöriger der Waffen-SS zu erkennen, indem er gestand, gegen Kriegsende für drei Monate dort gedient zu haben. Es ging erwartungsgemäß ein Aufschrei durch das Land, das neue Buch wird ab sofort wie wild vorbestellt.

Doch was ist dran an der Geschichte? Grass war zur Zeit seiner Zugehörigkeit zur SS 17 Jahre alt, was ihn nicht vollständig entschuldigt, wie Frank Schirrmacher meint, der den SS-Grass »ein halbes Kind« nannte. Vor allem aber hat Grass sich nach dem Krieg durchaus zum Nazi-Gegner gemausert, was nicht eben schwer war, dennoch selten blieb.

Was ihn wirklich beschäftigt, das verdeutlicht er auch in dem Interview. Es ist Deutschland. Er habe nicht glauben können, sagt er, dass Deutsche solche Gräuel begangen hätten, gibt er zerknirscht zu, um wenige Sätze später zu behaupten, dass er erst bei den Amerikanern erlebt habe, wie »direkter Rassismus« funktioniere. Seit Jahren müssen bei Grass die USA dafür herhalten, die Einmaligkeit der deutschen Ver­brechen, die er nie öffentlich in Abrede stellt, zu relativieren.

Viele Freunde machte sich der Schriftsteller mit seinem neuesten Bekenntnis nicht. Einige sprangen ihm bei, einige zeigten Verständnis. »Ein Meister der Feder hält Einkehr und überlegt sich: Was hast du im langen Leben zu berichten vergessen? Das hat er getan, und er verdient meinen Respekt«, sagte Walter Jens, der selbst allerdings bis heute »vergessen« haben will, dass er als junger Mann in die NSDAP eintrat.

Viele Kritiker warfen Grass nach der Veröffentlichung des Interviews vor, »zu lange« geschwiegen zu haben. Nun könnte man ja annehmen, dass es Scham war, die ihn so lange schweigen ließ, doch Scham wird man bei ihm vergeblich suchen. Eher schon erscheint wahrscheinlich, was Hellmuth Karasek konstatierte. »Wenn er es früher gesagt hätte«, meint Karasek, wäre ihm wohl der Nobelpreis nicht zuerkannt worden. »Aber auf einmal kommt alles in ein neues Licht.«

Einstige Gegner von Grass nutzten rasch die neue Situation, um ihnen unliebsame politische Aussagen des Schriftstellers weg­zuwischen. Michael Wolfssohn etwa glaubt nun ernsthaft, dass der ehemalige SS-Mann Grass den Besuch der Gräber von Bitburg, den Reagan und Kohl unternahmen, nicht hätte kritisieren dürfen. Das ist natürlich Quatsch, auch ein ehemaliger Mörder hätte Recht, wenn er Mord als verwerflich bezeichnet.

Was aber fügt dieses neue Wissen zum Bild von Grass hinzu? Der selbst ernannte »Freund Israels« nämlich ist in Israel seit jeher unbeliebt. Bereits 1971, bei seinem zweiten Besuch, wurde er mit Tomaten beworfen. Seither hat er Israel nie wieder besucht. Yoram Kaniuk, der 1991 mit Grass über den Golfkrieg debattieren sollte, erlebte in ihm den Jungen, »der einst der Hit­lerjugend angehört, jenen jungen Mann, der tief fliegende amerikanische Flugzeuge beschossen hatte«. Auch im »Krebsgang«, dem letzten großen Bucherfolg des Nobel­preisträgers, entdeckte Kaniuk den Hitler­jungen Grass. »Grass behauptet, dass ein gewisser David Frankfurter einst den Nazi Wilhelm Gustloff tötete, der dann zum Symbol und Märtyrer der Deutschen wur­de und nach dem das Schiff benannt wurde.« Nach dem Krieg sei Frankfurter Grass zufolge im israelischen Verteidigungsminis­terium tätig gewesen. »Der Plot gemäß Grass lautet also: erst einen Nazi töten, dann flüchten, dann Araber töten. Das ist Grass. Jetzt habe ich selbst noch mal nachgeforscht: Frankfurter ging nach Israel und arbeitete für die ›Jewish Agency‹ und half jüdischen Flüchtlingen.« Kaniuk unterstellt Grass ein wissentliches Verschleiern der Tatsachen: »Da begriff ich, was für ein mieser Lügner dieser Grass ist.«

Selbstredend zweifelte Grass auch Israels Existenzrecht an. Er sieht bis heute die Weimarer Republik von Nazis und Kommunisten vernichtet, letztgenannte hätten mit den Nazis »gemeinsame Sache gemacht«. In seiner viel beachteten Rede vor dem PEN-Kongress in diesem Jahr machte er den Friedenschluss von Versailles für den Zweiten Weltkrieg verantwortlich. Spätestens im »Krebsgang« hat er dafür geworben, die Deutschen auch als Opfer des Zweiten Weltkriegs zu sehen, explizit auch die Wähler der Nazis. Das alles zeugt von einem konsistenten nationalistischen Weltbild. Nur ist Grass kein Nazi. Er gehört zu jener Gruppe von Deutschtümlern, die Hitler vorwerfen, Deutschlands Ansehen geschädigt zu haben. Und das ist das Schlimmste, was Grass sich vorstellen kann.