Hier gut, da böse, alte These

In der Berichterstattung über den Krieg im Libanon halten die zwei größten italienischen linken Zeitungen an einem kruden Antiimperialismus fest. Eine Kritik an den dazugehörigen Feindbildern gibt es nur vereinzelt. von catrin dingler

Als Zeichen des Protests gegen »die grausame Zerstörung im Libanon und in Palästina« sollen die Italiener wieder ihre Pace-Fahnen aufhängen. Dazu rufen italienische Journalisten und Journalistinnen auf, die für verschiedene Fernsehsender und Tageszeitungen aus dem Libanon berichten. Anfang August verfassten sie einen gemeinsamen Appell und forderten, »dieser grenzenlose Wahnsinn« müsse gestoppt werden, dazu sei die einzige Lösung ein sofortiger und bedingungsloser Waffenstillstand. Dass in ihrem Appell die Zerstörung in nordisraelischen Städten durch den ständigen Raketenbeschuss der Hizbollah nicht erwähnt wird, passt zu den Bildern und Berichten, die seit Beginn des Krieges in den italienischen Me­dien vorherrschen. Im Vordergrund der Berichterstattung stehen dabei fast ausschließlich Bilder von zerstörten libanesischen Häuserfronten, wehklagen­den Frauen, verletzten Kindern. Doch insbesondere die beiden linken Tageszeitungen, die unabhängige »kommunistische Tageszeitung« il manifesto und die zur Regierungspartei Rifondazione Comunista gehörende Liberazione, titeln seit Beginn der Kampfhandlungen in ewig wiederkehrender Variation: Israel müsse gestoppt werden.

Israel wird in einer Verkehrung der Tatsachen der »Aggression gegen einen souveränen Staat« beschuldigt und dazu aufgefordert, den »brutalen und totalen Krieg« gegen den Libanon umgehend einzustellen. Israelis, die bei den Angriffen der Hizbollah getötet werden, zählen kaum, sie werden zur kleinen Nummer im ständigen Vergleich mit der größeren Zahl libanesischer Opfer. Allein anlässlich der Raketeneinschläge in Haifa wurde von der israelischen Seite berichtet.

Es verwundert kaum, dass in den beiden Zeitungen Kommentare, Analysen und historische Rückblicke zum Krieg in Libanon zu lesen sind, die sämtliche Dogmen eines Großteils der Linken bezüglich der Konflikte im Nahen Osten bestätigen. Auch rhetorisch. Wie bereits beim Krieg im Irak wird hier ständig und undifferenziert vom »Widerstand des Volkes« gegen den Besatzer berichtet.

Die bekannten linken Klischees über die Rolle Israels dominieren jedoch. Eines der deutlichsten Beispiele dafür lieferte vor zwei Wochen Angelo D’Orsi, Dozent an der historischen Fakultät von Turin, zunächst in il manifesto und dann in Liberazione. Der Historiker rief die italienische Linke dazu auf, nicht länger an das »Geschwätz« zu glauben, es ginge bei diesem Krieg um die Sicherheit Israels. Warum also nicht gleich die reale Bedrohung Israels relativieren: »Warum soll die iranische Atombombe (die es nicht gibt) ›böse‹ sein und die israelische (die es trotz einer eindeutigen Resolution der Uno gibt) ›gut‹?« »Warum hat Europa gegen die demokratisch gewählte Hamas Sanktionen erhoben?« »Warum sollen orthodoxe Chris­ten, Kopten, Katholiken, sunnitische und schiitische Muslime die unilaterale Annexion Jerusalems akzeptieren?«

Kaum ist diese umfassende antijüdische Allianz aufgestellt, kommt der Autor im nächsten Absatz auf sein eigentliches Thema: »Tatsächlich ist nun der Moment gekommen, an dem man erklären muss, sich nicht länger von der Shoah erpressen zu lassen.« Die Opfer hätten sich längst in Täter verwandelt, im Namen von Ausch­witz würden Massaker, ethnische Säuberungen, Gesetzesverstöße, Mauern und tägliche Gewalt gerechtfertigt. Vor dem »ehrenrührigen« Vorwurf des Antisemitismus brauche man sich nicht zu fürchten, schließ­lich habe die italienische Linke sich lange genug mit dem Phänomen des Rassismus beschäftigt. Eine krude Definition von Anti­semitismus als »besonders bösartige Form des Rassismus« kann D’Orsi nur deshalb ernsthaft vortragen, weil in der italienischen Linken tatsächlich noch keine Auseinandersetzung mit der Geschichte des Antisemitismus, schon gar nicht mit seinen postfaschistischen Elementen, stattgefunden hat.

Diese Definition erlaubt es dem Histori­ker allerdings, zum nächsten Schlag auszuholen: Gegen die israelische Regierung, die 2003 den Vorsitzenden der damaligen Regierungspartei Alleanza Nazionale, Gianfranco Fini, nach Israel eingeladen und damit die Nachfolgeorganisation des italie­nischen Faschismus rehabilitiert habe, sowie gegen die italienische jüdische Gemein­de, die in den letzten Jahren mit der Regie­rung von Silvio Berlusconi sympathisiert habe, trotz der rechtspopulistischen Lega Nord. Ohne Zweifel denunziert D’Orsi hier zu Recht eine perverse Situation. Doch kommt es ihm nicht in den Sinn, dass für den Rechtsruck der italienischen jüdischen Gemeinden vor allem die Linke selbst verantwortlich sein könnte.

Während in Liberazione in einem Artikel zu D’Orsi Emanuele Fiano, ein Mitglied der Gruppe »Linke für Israel«, den »Krieg ums Überleben« verteidigen durfte, eröffnete il manifesto wenige Tage später mit einem Editorial von Rossana Rossanda. Die Mit­begründerin der Zeitung bekundete an exponierter Stelle ihr Einvernehmen mit D’Orsi. Es sei unerträglich, dass jede Kritik an Israel als antisemitisch gebrandmarkt werde. In einem kurzen historischen Rückblick spricht sie sowohl die kom­mu­nistische Arbeiterbewegung als auch die anti­faschis­tische Widerstandsbewegung vom Vorwurf des Antisemitismus frei, allenfalls sei es in der Neuen Linken der siebziger Jahre nach dem Sechstagekrieg zu »Ausfällen« gekommen. Rossanda belässt es bei der kurzen Anspielung, die scheinbare Distanzierung hebt sich im Fortgang des Textes auf, insofern nur die typische antiimperialistische Argumentation wiederholt wird. Trotzdem wird in Rossandas Text deutlich, dass die italienische Linke ein Erbe gegen den Revisionismus der letzten Jahre zu verteidigen hat. Doch genau aus diesem Grund sollten die blinden Flecken der eigenen Tradition endlich aufgearbeitet werden.

Deutlich widersprach in derselben Aus­gabe Ida Dominijanni, die innerhalb der Zeitung zur ersten Nachfolgegeneration gehört, in ihrer wöchentlichen Kolumne D’Orsi (und damit indirekt auch Rossanda): Es bestehe kein Grund, sich mit gutem Gewissen einzig und ganz der palästinensischen Seite zu verschreiben. Die Aufarbeitung der Shoah hätte zumindest dazu führen müssen, gegen­über identitären Zuschreibungen misstrauisch zu sein. Aufgabe der Kritik sei es, im Bewusstsein der Vergangenheit die Komplika­tionen der gegenwärtigen Situation zu reflektieren.

Dass sich die Texte von Rossanda und Dominijanni auf ein und derselben Seite gegenüberstanden, könnte man als Chance dafür betrachten, dass die Widersprüche, die innerhalb der italienischen radikalen Linken bestehen, offen ausgetragen werden und damit eine Auseinandersetzung mit dem eigenen Antisemitismus stattfindet. Eine Aufgabe, die in Italien längst überfällig ist.