Rote Nelken für den Staatsanwalt

Am 17. August 1956 verbot das Bundesverfassungsgericht die Kommunistische Partei Deutschlands. Die Maßnahme war Teil einer politischen Justiz im Kalten Krieg und zog massenhafte Repressionen gegen Linke nach sich. von rolf gössner

Stellen wir uns vor, jemand organisiert preiswerte Ferien für Kinder aus sozial benachteiligten Familien – und wird dafür mit einem Jahr Gefängnis ohne Bewährung, fünf Jahren Ehrverlust, Entzug des Wahlrechts und fünfjähriger entwürdigender Polizeiaufsicht bestraft, nur weil das Reiseziel die DDR war. So erging es nach dem Verbot der KPD tatsächlich etlichen sozial engagierten Frauen. Ihre Ferienvermittlung sei, meinten die Richter Anfang der sechziger Jahre, »staatsgefährdende nachrichtendienstliche Tätigkeit« und politische »Wühlarbeit« in einer »kommunistischen Tarnorganisation«, obwohl die Deutsche Bundesbahn jahrelang Sonderzüge für diese Fahrten zur Verfügung gestellt hatte.

Oder aber jemand trägt eine rote Nelke im Knopfloch und verteilt weitere rote Nelken an Passanten – auch dieses Verhalten wird ihm zum strafrechtlichen Vorwurf gemacht. Rote Nelken seien nicht etwa harmlos duftende Blumen, sondern ein Symbol: ein Zeichen der Verbundenheit mit der verbotenen KPD, so das Gericht. Oder eine andere Person agitiert gegen die Wiederbewaffnung des Landes; auch dies reichte aus, sie für Monate hinter Gitter zu bringen – nur weil die Kampagne von der KPD und der SED gesteuert worden sei.

Unter dem Tarnmantel des Rechts und auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung fand in der Bundesrepublik in den ersten beiden Jahrzehnten eine politische Verfolgung in großem Ausmaß statt. In der Zeit von 1951 bis 1968 gab es Ermittlungsverfahren gegen etwa 200 000 Personen. Eingeleitet wurden sie nahezu ausschließlich wegen gewaltloser linksoppositioneller Arbeit oder wegen politischer Kontaktschuld. Verfolgt und bestraft wurden Gegner der Remilitarisierung, weil sie organisiert gegen die Wiederaufrüstung Westdeutschlands protestiert hatten; Menschen wurden nur deshalb wegen »Staatsgefährdung« oder »Geheimbündelei« bestraft, weil sie für eine »Wiedervereinigung Deutschlands in freien Wahlen« oder für ein demokratisches, entmilitarisiertes und neutrales Gesamtdeutschland eingetreten waren, oder weil sie deutsch-deutsche Kontakte pflegten; sie wurden kriminalisiert wegen des Bezugs von Post aus der DDR oder wegen der Kandidatur als kommunistische Kandidaten für Landtage oder den Bundestag.

Zwar endete nur etwa jedes zwanzigste Ermittlungsverfahren mit einer Verurteilung – das ergibt etwa 10 000 Strafurteile. Doch schon die Ermittlungen waren für alle Betroffenen einschneidend: Observations- und Lausch­angriffe, monatelange Einzelhaft, Verlust des Arbeitsplatzes, Berufsverbote und Renteneinbußen. Direkt oder indirekt betroffen war davon mehr als eine halbe Million Menschen.

Mit dem Verbot der KPD im Jahre 1956 war der Höhepunkt der Kommunistenverfolgung in Westdeutschland erreicht. Nach über 50 Verhandlungstagen urteilte das Bundesverfassungsgericht gegen eine hierarchisch-autoritär strukturierte Partei, die längst an Bedeutung verloren hatte, auch weil sie sich mit ihrer Fixierung auf die KP der Sow­jetunion und die SED der DDR längst ins politische Abseits manövriert hatte. Gleichwohl verfügte das Gericht, dass die KPD aufgelöst werden müsse – nicht etwa wegen ihrer akuten Gefährlichkeit, wegen konkreter Umsturzversuche oder geplanter Gewalt, sondern weil sie »aggressiv kämpferisch« verfassungswidrige »Fernziele« verfolge. So jedenfalls werteten die Richter das Parteiprogramm zur »Nationalen Wiedervereinigung Deutschlands« und das eher vage Bekenntnis zur »Diktatur des Proletariats« – obwohl sich die KPD schon während des Verfahrens von Teilen dieses Programms gelöst hatte. »Eine Partei kann (…) auch dann verfassungswidrig (…) sein, wenn nach menschlichem Ermessen keine Aussicht darauf besteht, dass sie ihre verfassungswidrige Absicht in absehbarer Zukunft werde verwirklichen können«, argumentierten die Richter. Eine klare Präven­tionsentscheidung – ganz im Sinne der Zielsetzung des Staatsschutzrechts von 1951. Der Gesetzgeber glaubte damals, dass die »kalte Revolution« die eigentliche Gefahr für den demokratischen Staat sei. Zersetzungen würden unter dem Mantel der Gewaltlosigkeit durchgeführt: »Der allseits anerkannte Hauptzweck des Gesetzes ist es, den gewaltlosen Umsturz zu erfassen, einschließlich derjenigen Betätigungen, die das Land dazu reif machen sollen« (Protokoll des Bundesrats).

Das Verbotsurteil hatte verhängnisvolle Wirkungen. Die Illegalisierung der KPD führte zur weiteren Kriminalisierung von Kommunisten und ihren Bündnispartnern, aber auch von nicht kommunistischen Antifaschisten, Sozialdemokraten und Kirchenleuten. Funktionäre wurden verhaftet, Hunderte von Parteilokalen und Privatwohnungen durchsucht, Druckmaschinen und Vermögen beschlagnahmt. In der Folge kam es zu zahlreichen Strafverfahren gegen Vertreter von verdächtigen Vereinigungen und zum Verbot all jener Organisationen, die dem Umfeld der KPD zugerechnet wurden oder die angeblich ihre Ziele förderten – »Ersatzorganisationen« wie etwa das Friedenskomitee oder die Aktion »Frohe Ferien für alle Kinder«. Praktisch die gesamte politische Betätigung der kommunistisch orientierten Linken und ihrer Bündnispartner wurde kriminalisiert und aus dem öffentlichen Willensbildungsprozess weitgehend ausgeschaltet. Kriminalisiert wurde damit ausgerechnet die politische Betätigung von Menschen, die zumeist maßgeblich am Widerstand gegen den Nationalsozialismus beteiligt gewesen und seinerzeit mit äußerster Härte verfolgt worden waren.

Kriminalisiert, verfolgt und abgeurteilt wurden diese Menschen ausgerechnet von einer Justiz, die bekanntlich mit Hunderten von NS-Tätern errichtet worden war. Selbst die furchtbarsten Juristen der NS-Sondergerichte waren in Amt und Würden zurückgekehrt und besetzten Schlüsselpositionen – nicht zuletzt auch in den speziellen Strafkammern der Landgerichte, die extra für politische Strafsachen eingerichtet wurden. So kam es, dass die neuen Verfolger nicht selten die Täter von gestern waren und viele der Bestraften bereits unter den Nazis verfolgt worden waren. So musste sich etwa eine kommunistische Angeklagte in den sechziger Jahren vor dem Landgericht Lüneburg vorhalten lassen, dass sie »trotz schwerer Bestrafung in den Jahren des Nationalsozialismus nichts daraus gelernt« habe.

Die in den fünfziger und sechziger Jahren gegen Kommunisten und ihre Bündnispartner geführten Ermittlungen und Staatsschutzprozesse waren mit rechtsstaatlichen Prinzipien und bürgerrechtlichen Maßstäben kaum zu vereinbaren. Das diese Verfahren legitimierende und forcierende KPD-Verbot – ein Unikum in (West-) Europa – ist auch heute noch gültig: Selbst nach der deutschen Vereinigung und dem Ende des Kalten Kriegs ist es auf linke Parteien anwendbar und könnte je nach politischer Opportunität wieder aktiviert werden. Aus diesem Grund wäre es jetzt zum 50. Jahrestag höchste Zeit, das KPD-Verbot aufzuheben und die Justizopfer des Kalten Kriegs in Westdeutschland zu rehabilitieren. Nicht allein die (Stasi-) Geschichte der DDR ist es wert, aufgearbeitet zu werden, auch die dunklen Flecken der westdeutschen Staatsschutz-Geschichte müssen endlich auch offiziell der Verdrängung entzogen werden.

Rolf Gössner ist Rechtsanwalt und Publizist und seit 2003 Präsident der »Internationalen Liga für Menschenrechte«.