Im Ghetto eingesperrt

Im italienischen Padua ließ der linksdemokratische Bürgermeister einen Stahlzaun um ein Viertel errichten, in dem vor allem Migranten wohnen. von guido sprügel

Die norditalienischen Städte sind eine Reise wert. Alte Architektur, enorme Kunstschätze, angenehmes Klima. So auch die Stadt Padua, keine 50 Kilometer von Venedig entfernt, mit ihren knapp 200 000 Einwohnern. Sie ist eine der ältesten Städte Norditaliens, verfügt über architektonisch interessante alte Bausubstanz und mittelalterliche Fresken.

Seit einigen Tagen ist die Stadt um eine Attrak­tion reicher, eine unrühmliche allerdings. Quasi über Nacht hat die Mitte-Links-Stadtverwaltung von Bür­germeister Flavio Zanonato vor zwei Wochen eine Absperrung um die Wohnhausanlage »Serenissima« errichten lassen, in der vor allem Migranten leben. Der Linksdemokrat ließ einen Arbeitstrupp der Gemeinde auffahren, und innerhalb von zwei Tagen waren die sechs Wohnblocks von einem drei Meter hohen und 84 Meter langen Stahlzaun umgeben.

Jahrelang hatte sich die Stadtverwaltung nicht um das Gebiet um die inzwischen berüchtigte Via Anelli gekümmert. Die Wohnhäuser der »Serenissima« wur­den in den siebziger Jahren von der Stadtverwaltung gebaut mit dem Ziel, daraus Unterkünfte für Studen­ten zu machen. In den achtziger Jahren wurden aber die Gebäude an Private verkauft. Die italienischen Besitzer verlangen heute für die verfallenen 28 Quadratmeter großen Wohnungen bis zu 1 000 Euro Mie­te. In den insgesamt 280 Wohnungen haben sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten ganze Familien zusammengepfercht, vor allem Migranten und Menschen, die sich das Stadtzentrum nicht leisten konnten, unter anderem Drogenhändler und Kleinkriminelle.

Langsam bildete sich ein »Ghetto« heraus, in dem die Spannungen zunehmend eskalierten. Einen vorläufigen Höhepunkt erreichten sie am 26. Juli, als Bewohner aus Nigeria und Nordafrika mit Macheten, Messern und Knüppeln aufeinander losgingen. Es sei ein Krieg um das Monopol des Drogenhandels in der Gegend gewesen, war in den meisten Zeitungen am nächsten Tag zu lesen. Sondereinheiten der Polizei brachen mit Tränengas und Knüppeln in das Gebiet ein.

Die Stadtverwaltung zeigte sich nach der Eskala­tion der Gewalt ratlos. Zwar wird seit Jahren verkün­det, die Wohnblocks müssten saniert und die Leute in »menschliche« Unterkünfte umgesiedelt werden. Doch kurzfristig griff die Stadtregierung zu einem Mittel der kompletten Ghettoisierung. Nach Aussage der Stadtverwaltung ist die 80 000 Euro teure Umzäu­nung die »einzige kurzfristige Lösung für das Problem«. Und das, obwohl selbst Bürgermeister Zanonato eingestehen muss, dass Bewohner, denen neue Wohnungen außerhalb der Via Anelli angeboten wurden, keine Verbindungen zur Kriminalität haben.

Doch bereits die rechten Vorläufer der derzeitigen Stadtverwaltung träumten von einer radikalen Lösung des Problems. »Wir werden sie rausschmeißen«, erklärte Zano­natos Vorgängerin an der Spitze einer rechten Regierung, Giustina Destro. »Notfalls nehmen wir Hunde. Wissen Sie, dass Mus­lime Angst vor Hunden haben?« tönte sie gegenüber italienischen Medien.

Nun sind die 350 Menschen, die noch in der Serenissima wohnen, von einer Mitte-Links-Regierung eingesperrt worden, ein ständig von der Polizei bewachter Checkpoint stellt den Zugang zu ihren Häusern dar.

Den Anwohnern des Nachbarviertels zufolge ist das als »Ghetto« bezeichnete Gebiet von Dealern, Prostituierten und Drogenabhängigen bevölkert. Die Anrainer forderten die Stadt schon seit längerem zu einem entschlossenen Eingreifen auf – rassistische Töne wurden dabei nicht ausgeschlossen. Einem Team der ARD schilderten Anwohner ihre Angst vor einer Eskalation der Gewalt und vergaßen dabei nicht, auf die vor allem afrikanische Herkunft der Bewohner zu verweisen. Der Sprecher der Anwohner, Paolo Manfrin, lobte die Maßnahme und erklärte dem Corriere della Sera: »Nach zehn Jahren Angst, unsere Häuser zu verlassen, ist die jetzige Militarisierung genau das, was wir wollen!«

Gegen solch einseitige Etikettierungen wehren sich die Anwohner der Via Anelli. In kleinen Protestversammlungen demons­trierten sie gegen den Bau des Zauns. Kinder hielten Schilder in die Höhe, auf denen sie versichern, keine Dealer zu sein. Andere weisen auf die schlechten Lebensbedingungen in den Wohnblocks hin.

Dass die Bedingungen alles andere als rosig sind, gesteht auch der Bürgermeister ein. »Hier leben auch viele rechtschaffene Familien«, so Zanonato im Interview mit dem Standard. Er sieht die Schuldi­gen für die miserable Lage auch in den »ehrenwerten Paduaner Bürgern«, die dort Wohnungen vermieten. Viele Dealer kommen seiner Meinung nach von außerhalb, um dort in einem als rechtsfreier Raum bekannten Gebiet zu agieren.

Die politischen Reaktionen auf die umstrittene Maßnahme ließen nicht lange auf sich warten und kamen vor allem aus der rechtspopulistischen Ecke. »Die Kommunisten errichten die Berliner Mauer«, tönte Luca Zaia von der Lega Nord, Vizepräsident der Region Venetien. Und für den Gouverneur Gian­carlo Galan, ebenfalls von der Lega Nord, bedeutet »die Mauer« das Scheitern der linken Einwanderungspolitik: »Erst lässt man sie einreisen, dann mauert man sie ein«, verkündete er in italienischen Medien. Ein gefundenes Fressen für die Rechte, einen Linken mit rechten Inhalten vorzuführen. So steigt auf der einen Seite die Legitimation für staatlich angewandten Rassismus deutlich, während die Rechte auf der anderen Seite ihren Rassismus als notwendig darstellen kann.

Lediglich Maurizio Saia von der postfaschis­tischen Alleanza Nazionale, ein ehemaliger Senator in Padua, steht im Corriere della Sera dazu, dass er in seiner Amtszeit auch am liebsten eine Mauer gebaut hätte. »Es stand in unserem Wahlprogramm, dass wir, wenn wir an der Regierung geblieben wären, in spätestens 100 Tagen eine solche Mauer gebaut hätten«, brüstet er sich im Interview. Die Lega Nord schießt sich auf den Rassismus ein. »Seid wach­sam, Prodi will ein Heer von Bingo-Bongos nach Italien einschleusen«, postulierte der Lega-Hardliner Roberto Calderoli unlängst.

Die Errichtung der Mauer ist in letzter Konse­quenz Wasser auf die Mühlen der rassistischen Parteien in Italien. Denn sie stellt die denkbar radikalste Lösung des Problems um städtische Elendsquartiere dar. Und sie zeigt, wie sich linke Stadtverwaltungen in den letzten Jahren als Modell für eine Politik von »Law and Order« profilierten.

Bologna, mit der Politik der sozialen Dis­ziplinierung, die von Bürgermeister Sergio Cofferati betrieben wird, stellt dabei ein Vorbild dar. Der ehemalige Generalsekretär der größten italienischen Gewerkschaft CGIL brachte 2002 Millionen von Menschen auf die Straße, um gegen die Arbeitspolitik der Regierung von Silvio Berlusconi zu protes­tieren. Seit 2004 ist er Bürgermeister von Bologna und betreibt dort eine Politik der »Null Toleranz« gegenüber Migranten, Armen und sozialen Bewegungen, die sehr umstritten ist (Jungle World, 49/05).

Die Wirklichkeit von Padua, sollte sie denn Bestand haben, könnte auf zukünftige Entscheidungen radikalisierend wirken. Zum Glück wären die Kosten für eine Umzäunung französischer banlieues wie Clichy-sous-Bois vermutlich zu hoch. Und da auch in Deutschland gespart werden muss, bleibt Marzahn wohl vorerst ebenfalls von einer Mauer verschont.